Studenten können keine Rechtschreibung mehr: Als ich heute morgen den Artikel in der FAZ las, dachte ich an eine Vorlesung, die DRadio Wissen mal als Mitschnitt gesendet hatte. Darin sprach ein amerikanischer (oder britischer) Professor über die Entwicklung der Sprache, und insbesondere über die der Rechtschreibung.
Das war hochinteressant, weil es eine einheitliche Rechtschreibung noch gar nicht lange gibt. Noch vor hundert Jahren konnte man an der Rechtschreibung ablesen, woher jemand stammte oder lebte. Im Zuge der Gründung des deutschen Reichs und dem Erstarken des (Bildungs-)Bürgertums entschloss man sich dann Ende des 19. Jahrhunderts, eine einheitliche Rechtschreibung für alle Deutschen einzuführen. Wenn ich das alles noch richtig erinnere. Leider finde ich den Radiobeitrag nicht, auch eine Anfrage bei den freundlichen Menschen vom Rundfunk blieb erfolglos.
Abgrenzung durch richtiges Schreiben
Der Radiobeitrag machte mich nachdenklich, denn es ging auch um Kritik an der Rechtschreibung, weil sie als Abgrenzung benutzt wird: »Ich beherrsche die Rechtschreibung, also bin ich gebildeter (= was Besseres) als Du.« Schwierig. Und ich fummelte nachdenklich an meiner eigenen Nase herum. Dafür muss ich, wenn es um Rechtschreibung geht, die Hand recht weit hochheben.
Und weil ich die Radiosendung suchte, stieß ich auf zahlreiche andere Beiträge beim Deutschlandfunk über Sprachwandel und Rechtschreibung. Ich habe einige überflogen, aber es ist erstaunlich, wie viele unterschiedlichen Meinungen es zum Thema gibt. Nun ist verständlicherweise die Sichtweise der Mutter eines Kindes, das vielleicht deshalb ein unglückliches Verhältnis zu Sprache und Rechtschreibung hat, weil es sich von der Lehrerin abgelehnt fühlte, eine andere als die einer Professorin, die zunehmend ob der mangelnden, nachlässigen Rechtschreibung ihrer Studenten verzweifelt. Es gibt offenbar unzählige Studien, die sich mit der Rechtschreibung beschäftigen. Das macht mich immer etwas misstrauisch, denn wollten wir Studien glauben, wäre das Abendland schon längst der Titanic gleich untergegangen.
Mich selbst gruselt eine schlechte oder nachlässige Rechtschreibung, selbst wenn ich nach der letzten Rechtschreibreform ab und an aus Bequemlichkeit ein Mashup aus alt und neu pflege. Deppen Leer Zeichen können mich ebenso in den Wahnsinn treiben wie ein D’Eppen Apo’Stroph. Ich muss allerdings auch gestehen, dass mir Rechtschreibung und Grammatik immer Vergnügen bereiteten. Im Deutsch-Unterricht habe ich Rechtschreibung und Lyrik schätzen gelernt, später, im Latein-Unterricht Grammatik und die Kunst des Geschichtenerzählens. Ich hatte Lehrerinnen und Lehrer, die in mir den Ehrgeiz weckten, den Code der Sprache zu knacken – und gut sein zu wollen.
Inwieweit hängen Schreiben und Lesen zusammen?
Diese “Schreib’, wie Du denkst”-Lehrmethode in den Grundschulen habe ich noch nie verstanden. Meinem Eindruck nach entsteht dadurch eher Frust und Unsicherheit, die eigene Sprache betreffend. Auch das Lesen wird dadurch erschwert, weil man ja irgendwann nicht mehr Buchstabe für Buchstabe liest, sondern Wörter und wiederkehrende Satzstrukturen mehr als Bilder erfasst. Wer aber gar kein Bild ablegen kann, liest und schreibt stockend, unfroh und oft unverständlich für alle anderen. Zumindest ist das meine persönliche Erfahrung mit Lesen und Schreiben. Und es ist eine Meinung, die ich nicht wissenschaftlich untermauert habe.
Irgendwie scheint das Üben aus der Mode. Mit Kritik sollen die lieben Kleinen nicht behelligt werden. Kein Wunder, dass die Rechtschreibung auf den Hund kommt. Wenn es eh egal ist, wie man schreibt, bemüht man sich eben nicht. Als junge Erwachsene auf dem Weg ins Berufsleben bekommen sie ihre mangelhaften Leistungen dann um die Ohren.
»Der Verzicht auf Anleitung führt dazu, dass eine Fehlerkontrolle ausbleibt und die Schüler in ihrem oftmals falschen Selbstbild von ihren Leistungen nicht nur bestärkt, sondern paradoxerweise gleichzeitig auch alleine gelassen werden.« (Zitat aus dem FAZ-Artikel)
Vielleicht ist es dann eines Tages wieder so wie bei Goethe, der seinem Verleger eine Erläuterung zu seiner ganz persönlichen Rechtschreibung beigelegt hat. Davon berichtete zumindest jener Professor in der Vorlesung über die Geschichte der deutschen Rechtschreibung.
Falls jemand einfällt, wie ich diese Radiosendung wiederfinden könnte, bin ich für Tipps dankbar.
Goethe sagte auch sinngemäß, dass es ja egal sei, wie man schreibe, wichtig sei nur, dass einen jeder verstehe.
Eine gemeinsame Definition von Rechtschreibung erleichtert das gegenseitige Verständnis. Wie du schon schreibst, lesen wir ja nicht in Buchstaben, sondern in Wortbildern. Eine gewisse Standardisierung ist da schon wichtig. Das Argument Bildung greift da nur wenig, denn dieses Wissen erhält jeder Schüler in der Grundschule. Wichtig ist nur die spätere Pflege.
Und die ist schwer. Ich habe den Eindruck, dass sich die Rechtschreibung auch deshalb verschlechtert, weil sich die schriftliche Kommunikation demokratisiert hat. Wo früher nur Dinge nach gründlichem Redigieren und Korrigieren veröffentlicht wurden, kann heute jeder mal schnell runtertippen, was ihm durch die Finger flutscht. So verbreiten sich auch falsche Schreibweisen rasant. Gerade in Hinsicht auf Deppenleerzeichen und -apostrophe konnte ich in den letzten Jahren sprunghafte Anstiege bemerken. Ähnliche Ansätze beobachte derzeit mit dem Weglassen jeglicher Interpunktion.
Ob diese Demokratisierung der Rechtschreibung und Gramatik, wenn ich das mal so nennen darf, in Goethes Sinn ist, weiß ich nicht.
Mitunter habe ich den Verdacht, dass an der nachlässigen Rechtschreibung auch deutlich wird, dass vielen Menschen gleichgültig ist, ob sie sich verständlich machen können. Es geht nur darum, etwas zu sagen. Die Empörung, wenn anderes das dann anders verstehen, ist dann irrsinnigerweise groß.
Herrje, jetzt klinge ich selber schon wie eine Kulturpessimistin, über die ich mich sonst gerne lustig machen. Irgendwas wird wohl bei der Veränderung der Sprache herauskommen. War ja schon immer so.
Eben. Dagegen wehren macht nur verbittert. Solange Sätze auch noch ohne Interpunktion und mit Deppenleerzeichen von allen gleich verstanden werden, solange werden sie auch so geschrieben. Wenn wir uns irgendwann nicht mehr verstehen, dann werden wir auch dafür sorgen, dass dem wieder so ist. (Querverweis auf Whatsapp und Co., wo Wörter durch Emojis ersetzt werden. Wir kehren wieder zurück zur Bildsprache.)
Oder, wer weiß, zurück zum gesprochenen Wort? Bewegtbild macht’s möglich.