Es vergeht kaum ein Tag ohne Artikel über Ello. Es berichteten beispielsweise Zeit, NZZ, Stern, Welt, Deutsche Welle, Deutschlandradio, WDR, RTL und Viva. Wer Lesestoff sucht, braucht bei Google lediglich mit dem Stichwort Ello nach den News der letzten Woche zu suchen. Heise, t3n, Netzpolitik und zahlreiche Blogs sind natürlich auch dabei.
Ich halte das für fatal. Denn Ello ist wirklich sehr Beta. Gestern noch erschienen alle möglichen Postings entweder nicht oder bis zu sechs Mal im Stream. Das ist eine Baustelle. Die Artikel locken viele Leute zu Ello, die aufgrund der Berichterstattung ein funktionierendes, fluppendes, surrendes und, vor allem, sensationell neues soziales Netzwerk erwarten.
Das piesackt mich und mich drängt es, einige vollkommen subjektive Worte über Ello zu verlieren. Ist Ello nun hop oder top? Sollt Ihr Euch das antun oder lieber (noch) nicht? Dieser Artikel erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Ich werde hier auch nicht im Detail erklären, wie Ello funktioniert. Unten gibt es ein paar Links, die man dafür aufsuchen möge.
Ello ist nicht das bessere Facebook
Ello ist momentan nicht viel mehr als ein Textfeld zum Reinschreiben und eine Möglichkeit, Bilder hochzuladen. Links werden nicht aufgelöst, sondern können bei Text wie in einem Blog als Hyperlink hinterlegt werden. Man kann anderen folgen. Seit einiger Zeit kann man sogar kommentieren.

Schreiben oder Bild hochladen. Kommentieren. Vernetzen. Mehr geht noch nicht.
Das funktioniert nicht immer. Hier und dort liest man dieser Tage viele Klagen, was alles nicht funktioniere, wo etwas klemme, wo befremdliche Dinge geschehen. Wer sich auf eine Beta einlässt, muss sich bewusst machen, dass Dinge schiefgehen können: Inhalte können verloren und Daten Irrwege gehen. Das ist blöd. Das sollte eigentlich nicht passieren. Aber wer schon mal selbst versucht hat, etwas mit Interaktion zu stricken, weiß vielleicht, dass man alles mögliche planen kann. Aber der Faktor Mensch ist immer für Überraschungen gut. Außerdem besteht natürlich die Möglichkeit, dass sich eine Beta-Version vollkommen anders entwickelt, als man sich selbst das so vorstellt.
Nun wird Ello als das andere Facebook verkündet. Und die Gründer teilen gegen Facebook auch gut aus und betonen die Werbefreiheit von Ello. Erinnerungen an Hypes um Diaspora oder Path werden wach. Vergleiche zum kurzlebigen One-Trick-Pony Amen werden gezogen (das mir übrigens genau zwei Wochen lang echt Spaß machte – bis ich es vergass.) Oder zu App.net, das mal eine Alternative zu Twitter sein sollte (oder wollte?). Deshalb gibt es auch in den Artikeln von Internetmenschen* eher müdes Abwinken, weil die Hoffnungen auf etwas ganz Neues oder ein anderes Facebook aus ganz unterschiedlichen Gründen in der Vergangenheit zu häufig enttäuscht wurden.
Enttäuscht? Zu Recht! Neu? Ein Social Network? Ich bitte Euch. Das Prinzip der Vernetzung bleibt an sich stets dasselbe, da lässt sich (mutmaßlich) nicht wirklich etwas Neues erfinden. Als die jetzt erfolgreichen Social Networks entwickelt wurden, gab es quasi zeitgleich u.a. mit Ajax-Technologien und schnellem Internet einen echten technologischen Sprung. Etwas Vergleichbares vermag ich aktuell nicht zu sehen. Ein anderes Facebook? Wir erinnern uns mal kurz:

Zur Erinnerung am #throwbackthursday: Mark Zuckerbergs Profil bei Facebook im Jahr 2006.
Das war 2006. Facebook hat einige Jahre der Entwicklung hinter sich, in dem Funktionen nach und nach erweitert wurden. Gruppen kamen hinzu, der Chat, die Seiten, Anzeigen, Spiele, Apps. Es hat sich ein gigantischer Dienst entwickelt, der am Anfang auch nicht wirklich viel konnte. Vor allem erreicht Facebook inzwischen die breite Masse, was es so nützlichlich wie unbrauchbar macht – je nachdem, was man möchte und wie man seine Strategie anlegt.
Also, neues Facebook? Meiner Meinung nach Mumpitz, wenn auch öffentlichkeitswirksamer Mumpitz. Nichtsdestotrotz kann ein soziales Netzwerk mit eigener Note entstehen.
Einer der Gründer, Paul Budnitz:
“You cannot create something truly new by competing.
That’s the long, dry, empty road to nowhere where know-it-alls spend their lives. Instead, we create naively, acting as if nothing in the world existed before us, and that nothing will continue when once we’re done.
Ello is built to be the network that we ourselves want to use. That’s the spirit that people sense when they join us for first time. It’s the reason that Ello works.
There’s a lot of love here.
Over there, in that other place, there’s just a lot of advertising — and the rumble of slow, steady, subtle machinery telling each of us, over and over, that we have no power to change the world.
Der Ton ist der entscheidende Unterschied. Der Ton bei Ello ist angenehm, angenehm wenig geschäftsmäßig. Storytelling beginnt mit einem Wort, werde ich nicht müde, in Seminaren oder Beiträgen zu vermitteln. Klar, funktionierende Funktionen sind wunderbar und spätestens mit Verlassen der Beta nötig. Ich möchte auch grundsätzlich die Gewissheit oder immerhin den Eindruck haben, dass die Gründer wissen, was sie tun und worauf es ankommt.
Heute morgen lag ein Rundschreiben von Ello im digitalen Briefkasten. Beim Lesen wurde mir eins klar: es wird Menschen geben, die Ello lieben werden. Und es wird Menschen geben, die sich irritiert abwenden.

Newsletter von Ello am 2.10.2014
Spätestens wenn, wie angekündigt, Funktionen gegen Zahlung kommen oder andere Details zum Geschäftsmodell veröffentlicht werden, kommt es sicherlich nochmal zu Diskussionen wie bei der um die Finanzierungsspritze für Ello durch Venture Capital. (Wobei Aral Balkan nun auch was am Start hat. Nun ja.^^)
Braucht jeder Ello?
Es ist wie die Frage: »Brauche ich ein weiteres Fahrrad?« Es gibt Menschen, die brauchen nicht mal ein einziges. Andere horten wiederum gleich einen ganzen Haufen von Fahrrädern. Es gibt Spezialisten, die mit einem einzigen Fahrrad Kunstwerke oder Heldentaten vollbringen können – oder für die ihr Rad einfach das nützlichste Verkehrsmittel oder Sportgerät ist. Fahren kann man sowieso immer nur eins. Warum also könnte man mehr als eins haben wollen? [Verfasserin blickt vielsagend und zieht verschwörerisch die Augenbrauen hoch.]
Also, niemand braucht Ello allen Ernstes wirklich. Aber es kann aus bestimmten Gründen sehr angenehm oder aufregend sein, es zu haben. Ob es an Bedeutung gewinnen wird oder nicht, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehen.
Warum ich Ello schon jetzt nicht mehr missen möchte
Ich brauche nicht noch ein weiteres soziales Netzwerk. Hauptsächlich nutze ich persönlich Facebook, Twitter und Instagram, für bestimmte Zwecke auch Google+, LinkedIn, XING, Youtube, Pinterest und Vine. Für Kundenprojekte kann das nochmal anders aussehen. Ich leide nicht unter Langeweile. Dass ich mich trotzdem immer wieder als eine der Ersten auf frisch aufplöppende Dienste und Netzwerke stürze, rede ich mir gewohnheitsmäßig als fachlich verpflichtende Forschungsarbeit schön.
In der Hauptsache ist es schlicht Neugier. Ich bin ein neugieriger Mensch. Ich finde es faszinierend, etwas Neues auszuprobieren und mich selbst in etwas Neuem auszuprobieren. Mit Blick auf Social Media bedeutet das, andere Inhalte zu schaffen, die vom anderen Umfeld inspiriert werden, oder dieselben Inhalte in einem anderen Umfeld zu testen. Wer sich mit Ideenfindung und Kreativität beschäftigt, weiß, wie wichtig die Atmosphäre und der Rahmen sind. Ello ist alles andere als ein graubrauner Meetingraum ohne Tageslicht, mit kalten Kunststofftischen oder gar Glasplatten und zu warm gepolsterten Stühlen.
Anders gesagt: In der jetzigen Form interessiert mich Ello genug, um Zeit dafür abzuzwacken.
Sind da nicht immer dieselben wie anderswo auch?
Ja. Völlig normal in einer Beta-Version. Es treibt immer wieder denselben Schwung Leute in einem solchen Stadium in Social Networks. Wenngleich die meisten nur mal kurz reingucken und “Ich brauche das nicht, das ist ja total unnötig!” rufend wieder rausrennen. Auch wenn ich mit vielen Leuten auf Ello angebandelt habe, die ich von anderen Social Networks schon kenne, gestaltet sich die Kommunikation und das Netzwerk selbst anders.
Aber es sind auch einige neue Leute darunter. Da es aber derzeit keine Hashtags gibt oder andere Möglichkeiten, Inhalte nach Themen zu filtern, ist das Finden von Kontakten außerhalb des eigenen Dunstkreises zum jetzigen Zeitpunkt eine Sache von Glück und Zufall. Gefühlt Millionen von Amerikanern schwappen im Zuge eines Hypes gerade rein und folgen scheinbar wahllos Hinz und Kunz. Auf vergleichsweise hohe Followerzahlen kann man sich also leider auch nichts einbilden ;-).
Ist Ello die Abteilung Kunst in Social Media?
Ich mag den hohen Anteil an Kreativen bei Ello, woran nicht zuletzt die Affinität der Gründer zu Kunst und Design (und Fahrrädern!) verantwortlich ist. Wie beinahe jedes soziale Netzwerk ist es übrigens stinklangweilig, wenn man sich nur berieseln lassen will. Ich empfehle in diesen Fällen, auf den guten, alten Fernseher zurückzugreifen – oder mal was auszuprobieren, wofür man sonst in diesem Internet keinen Platz fand.
Dass Ello gerade in der funktionalen Schlichtheit die Kreativität der Menschen anregt, zeigt sich etwa in dem Toast. Da es kein Like gibt, und Love als Belohnungssystem bisher nur angekündigt ist, haben einige Nutzer kurzerhand den Toast ins Leben gerufen. Smileys gehen nämlich mit der Cheat List. Und somit erhalten Beiträge, die gefallen, im Kommentar ein :bread: (das wirklich aussieht wie ein Toastbrot).

Sprechen wir einen Toast aus!
Facemaker? Ah, stimmt, da war ja noch was. Mit dem Ello-Smiley kann man nämlich mit einem Bildgenerator herumspielen: https://ello.co/facemaker. Feine Sache! Den Fehler, den Account @faces im Stream aufzunehmen, sollte man allerdings nicht machen. Das rattert nur so durch …
Mitunter fühle ich mich geradezu als Botschafterin für Ello. Was für ein Quatsch. Mir ist der Laden zunächst mal sympathisch. Und ich finde es gut, wenn Leute was ausprobieren und ihre Unzufriedenheit mit einem Zustand in Energie für ein eigenes Projekt umwandeln.
Aber die zeigen da Brüste! Und Schlimmeres! Müssen wir nicht unsere Kinder vor Ello schützen?
Dass man auch nacktes Fleisch posten darf, was für einige Zeitungen sogar der Aufhänger war, mag nicht nur Künstler freuen. Wie angekündigt, kann man selbst entscheiden, ob man ein Erwachsenen-Ello oder die Kinderversion haben möchte. (Man sagt, das Internet sei voll mit wüstem Zeugs. Wer dafür auf ein soziales Netzwerk wartet … ach Gottchen. Mein Servicetipp: Der 15-jährige Sohn des Nachbarn kann vermutlich die besten Seiten rasch in einer Linkliste zusammenstellen.)
Und wenn schon, kann man wenigstens stilvoll Frauen auf Fahrrädern anschmachten: @bitchesonbicycles. #fahrradporn
Was andere sagen
Wie beschrieben gibt es zahllose Artikel zu Ello. Hilfreich sind etwa der Beitrag im Socialmediawatchblog: Ello – Tipps zum Einstieg und Abwägen und Johannes Mirus Tipps für den schnellen Einstieg. Für mehr Optimismus wirbt auch Florian Blaschke. Der Zwischenrant von Juna bezieht sich zwar nicht unbedingt auf Ello, aber er sei an dieser Stelle wärmstens empfohlen. Er hat nämlich mehr mit der aktuellen Diskussion um Ello zu tun als man zunächst vielleicht denkt.
Immer mit der Ruhe.
Ello ist in der aktuellen Form eher vergleichbar mit Twitter (ohne Zeichenbegrenzung), Medium oder Tumblr. Wer weiß, was daraus wird. Lasst die Leute bei Ello mal arbeiten. Sie kommunizieren in Feature List und Newsletter, was sie tun und planen. Die Gründer sind ansprechbar. Ich denke auch, sie sind auf Feedback angewiesen, wenn etwas komisch ist oder nicht klappt.
Beta bedeutet, dass man in einem frühen Entwicklungsstadium Leute reinlässt, um etwas mithilfe der Nutzer im Sinne der Nutzer zu verbessern und reifen zu lassen. Das macht, zumindest für mich, den Reiz aus, im Beta-Stadium mitzumachen.
Ich bin neugierig, was hier passieren wird. Entwickelt sich Ello so, dass es mir angenehm und nützlich ist, werde ich es nutzen. Stelle ich fest, dass ich es nicht brauche oder mag oder Ello für mich in irgendeiner Hinsicht unbequem wird, schaufele ich eben wieder mehr in anderen Netzwerken Sand in mein Eimerchen.
tl; dr: Ello ist zum jetzigen Zeitpunkt ganz sicher nicht das bessere Facebook. Forscher und Abenteuerlustige mit eigenen Ideen und Inhalten werden sich aber möglicherweise dort wohlfühlen.

Das Ello-Gefühl. Gemacht mit dem Facemaker von Ello, der zum Spielen mit dem Logo einlädt: https://ello.co/facemaker.
[Für alle, die sich fragen, was Ello ist: Ello ist ein neues soziales Netzwerk, das momentan in einer geschlossenen Beta-Phase ist. Das bedeutet, dass man nur mit ein Einladung durch ein Mitglied reinkommt.]
*In|ter|net|men|schen, die: Man sehe es mir nach. Mir fällt einstweilen keine bessere Bezeichnung für die Menschen ein, die den digitalen Raum besiedeln und sich zu eigen gemacht haben. Damit meine ich vor allem diejenigen, die neue Entwicklungen begeistert bis kritisch begleiten und neue Dienste als Erstes ausprobieren.
Wer übrigens einen Invite-Code haben möchte, hinterlasse bitte seine Mailadresse hier in den Kommentaren. Solange Vorrat reicht (zehn habe ich derzeit noch).
Danke für die Erleuchtung – dieser Post wird sich dann in meine zukünftige “Was andere sagen”-Liste einreihen. Ich freue mich über einen Invite-Code an: k_rudolph@gmx.de
Ist aus! 🙂 Und danke.
Oh, ich habe aus Versehen zweimal auf Resent gedrückt – solltest Du den Invite nun dreimal bekommen haben …
War zweimal – gefressen vom Spamfilter …aus lauter Euphorie & Erkunden folgt die Antwort erst jetzt. Ein tolles langes Wochenende!
Dank dir – alles, was mit Fahrrad zu tun hat, her damit! 😉 Würd’ mich freuen. wiebke at menonroll.com
Ich hätte gern eine Einladung! Danke. schoen.sabine[at]gmx[dot]net
wie “damals”, als es auf der welt offenbar nur das iphone als smartphone gab und alles andere nur als “iphone-killer”, “iphone-alternative” oder “das bessere iphone” verkauft wurde. die maxime liegt vor allem wohl darin, nach möglichkeit alle “internet-artikel” irgendwie mit den wörtern “google” oder “facebook” zu besetzen, besteht dieses internet traurigerweise für viele doch nur aus eben diesen beiden namen. es geht halt (primär) um klicks, nicht um inhalte.
Interessanter Einblick… Jetzt bin ich aber auch mal gespannt: foleybirgit@gmail.com …falls ich nicht wie immer zu spät bin ;D
Auch ich würde mich über einen Invite freuen 😀
l.hexe95@web.de
Ist raus! Und kommt hoffentlich auch an. Mit einigen Providern gibt es leider mitunter Probleme …
Danke für die Einblicke in Ello. Ich freue mich über einen Invite-Code: m.seubert@seubert-pr.de Danke!
Ist raus!
Spannender Beitrag. Wenn es noch einen Code gibt, würde ich mich drüber freuen. Gerne als PN via Twitter InesMeyrose.
Danke!
Die Invites gehen nur mit Mailadresse. Ich habe aber nun erstmal leider keine mehr.
Ich würde mich über einen Invite ebenfalls freuen. timoehrke at gmail punkt com
Ist raus.
Danke dir. Ist angekommen. Dann will ich mal sehen…
Eine Einladung wäre klasse 🙂 silentfux [ät] me.com
Ich spiele eine über Bande zu, weil ich selbst leider einstweilen keine mehr habe.
Ich sage Herzlichen Dank 🙂
Noch eine da? ninawellbrock@gmx.de Merci (vor allem für den guten Post!) 🙂
Danke sehr! Invites sind leider erstmal alle weg … Aber vielleicht findet sich hier jemand?
Hi und Hallo,
dein Beitrag hat mich auf jeden Fall auch neugierig gemacht.
Falls doch noch ein paar Invitelinks eintrudeln, würde ich mich auch sehr darüber freuen.
—- > bms1985 [aeht] me.com