Ich atme ein. Hole tief Luft. Ich spüre, wie mein Oberkörper sich weitet. Die Bauchdecke spannt sich an. So, und jetzt ausatmen. Aber nichts passiert. Ich hole noch etwas Luft – und sie bleibt stecken. Ich hebe an zu sprechen und quetsche ein paar Sätze heraus. Meine Stimme klingt hoch und dünn. Ich hole noch etwas Luft und das macht es nicht besser. Ich bin ein prall gefüllter Medizinball, lasse mich zu Boden fallen und springe zur Tür hinaus, die Straße hinunter und weit, weit weg. Lampenfieber.
Gut, der Teil mit dem Fallen lassen und Hinausspringen ist erfunden. Aber der Rest der Geschichte ist wahr. War wahr. Manchmal schien dieses Lampenfieber auch ein fieses, haariges Monster zu sein, dass mir mit Leibeskräften den Hals zudrückte und wie ein Stein auf meiner Brust saß. Diese Aufregung, die meine Vorstellung von einem gelassenen und überzeugenden Auftritt zunichte machte, ärgerte mich immens. An dieser Stelle gab es zwei Möglichkeiten: Mich selbst fertigzumachen, der Unfähigkeit zu bezichtigen und fortan auf Situationen zu verzichten, in denen ich vor einer Gruppe oder in der Öffentlichkeit reden muss. Oder mir zu sagen, dass Lampenfieber normal ist und ich einen Weg finden werde, damit umzugehen. Da ich nach wie vor öffentlich Vorträge halte und Veranstaltungen moderiere, ahnt Ihr vermutlich, welche Möglichkeit ich gewählt habe.

Das Lampenfiebermonster greift an.
»Lampenfieber ist normal, wenn Dir etwas wichtig ist.«
Klingt banal. Aber wenn man darüber mal nachdenkt, ist es von einer bestechenden Logik. Aufgeregt zu sein, gehört dazu, wenn man seinem Tun einen gewissen Stellenwert einräumt. Und da liegt dann auch die Erkenntnis nahe, dass es anderen Menschen ganz genauso geht. Lampenfieber ist kein exklusives Gefühl. Allein das zu akzeptieren ist schon beruhigend. (Und banal.) Bei meiner Suche nach Abhilfe bin ich auf ein Hörbuch gestoßen, das mir sehr geholfen hat: ICH REDE. Die Rhetorik-Trainerin, Seminarleiterin, Rednerin und Moderatorin Isabel Garcia findet Bilder, mit denen ich etwas anfangen konnte. https://ichrede.de/
Drachenschwanz, Rabenschwingen und Elefantentrampeln
Seitdem ich das Hörbuch gehört habe, imaginiere ich also einen formidablen Drachenschwanz, auf dem ich mich aufstützen kann. Ich spüre quasi meine riesigen Rabenschwingen, mit denen ich den Raum fülle. Und vor allem habe ich gelernt, auszuatmen. Ich brumme und summe meine Anspannung weg. Und wenn es ganz arg ist, suche ich mir vorab einen ruhige Ort, stampfe wie ein Elefant herum und klopfe mich feste ab, um aus dem kurzatmigen Kopffüßler wieder einen frei atmenden Menschen zu machen.
Klingt lustig? Ist es! Lachen ist übrigens super vor einem Vortrag oder einem öffentlichen Auftritt. Und auch währenddessen! Immerhin möchten die meisten Menschen doch auch Menschen auf der Bühne sehen. Und keine vom Blatt ablesenden oder auf ihre Powerpoint-Slides starrenden Roboter. Allen kann man es ohnehin nicht recht machen. Manche denken daran, dass sie zuhause noch die Blumen gießen oder das Auto zum TÜV bringen müssen. Andere twittern derweil gemütlich ein Ründchen. That’s Entertainment.
»Kneifen gilt nicht.«
Lampenfieber habe ich nach wie vor. Mal mehr, mal weniger. Aber nun weiß ich, dass ich diesem Aufgeregtsein nicht hilflos ausgeliefert bin. Und ich weiß ja, dass ich mir das selber ausgesucht habe mit diesem Bühnen-Tamtam. Kneifen gilt also nicht. Dass mich die Nervösität dann manchmal trotzdem packt – tja, vielleicht braucht es einfach noch hundert Vorträge oder Auftritte, um mehr Gelassenheit zu entwickeln. Und man lernt immer wieder dazu. Meine letzte Erkenntnis war, dass ich mir künftig nicht mehr den Auftritt meines Vorredners ansehen werde. Schlimmstenfalls ist man danach völlig geplättet und fragt sich, wie man die jäh erschlaffte Aufmerksamkeit des Publikums wieder einfangen kann.
Singt das Lampenfieber notfalls weg. Innerlich. Oder lauthals. Gitte hilft Euch dabei.
Übrigens mag ich die Bühne inzwischen sogar sehr. Aber es gibt nach wie vor eine Situation, der ich mich nochmal aussetzen muss: Nachdem ich vor schätzungsweise 25 Jahren bei meiner letzten Teilnahme an einem Reitturnier den Richtern beinahe ohnmächtig vor Aufregung auf den Richtertisch gekippt bin, muss ich mich dem wohl nochmal mit all den gewonnenen Erkenntnissen aussetzen. Wer weiß, vielleicht klappt es vor den gestrengen Richteraugen auch endlich mit der Gelassenheit!
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Dieser Beitrag ist übrigens für die Blogparade im LVQ Karriere-Blog: Blogparade gegen Lampenfieber und Prüfungsangst #LampenFieberTipps. Dazu angestiftet hat mich der sehr geschätzte und freundliche Lars Hahn mit einem billigen Trick <3. Es macht PLING bei Facebook und in den Nachrichten las ich: Hi liebe Wibke! Heute mache ich bei Dir mal Influencer Relations. [„wink“-Emoticon] Endlich, endlich, endlich! […] Mit der Tür ins Haus. Sehr schön. Da bin ich doch gern dabei.
P.S. Übrigens las ich gern den Beitrag zum selben Thema von Christian Spließ: Mit rosa Elefanten und Mammuts. Und ZACK.
Auch mir klopft das Herz vor jedem Entern der Bühne wie der Dampfhammer in einer Gesenkschmiede. Erstaunlich ist, umso intensiver ich vorbereitet bin, umso stärker. Aber wenn das Podium erst mal erklommen ist, dann verfliegen Aufregung und Herzrasen auch wieder recht schnell.
Das Ignorieren des Vorredners ist übrigens ein sehr guter Tipp. Ihm zu lauschen ist für die eigene Performance meist nicht so förderlich. Dabei ist es (bei mir) egal, ob der Vorgänger auf der Bühne vor allem mit Defiziten glänzt und sich das Publikum zunehmend mit iPhone & Co. beschäftigt. Oder ob er brilliert und man sich als Nachfolger wie ein «Showstopper» vorkommt.