Seit 1998 treibe ich jährlich mein Unwesen auf der Buchmesse. Damals trat ich der Buchbranche offiziell mit dem Beginn meiner Ausbildung zur Buchhändlerin bei. Seitdem ist keine Buchmesse gleich: als Azubi, Verlagsmensch oder freischwebendes Elementarteilchen erlebt man ganz unterschiedliche Messen. Die Hallen mit den Publikumsverlagen unterscheiden sich krass von den Hallen mit den Dienstleistern, Fachverlagen und Bibliotheken. Diese wiederum scheinen kaum auf derselben Buchmesse zu sein wie die internationalen Hallen oder gar die des Ehrengasts.
Doch, halt! In diesem Jahr gab es mehr Durchmischung, da die Buchmesse nicht nur um eine Halle gekürzt war, sondern die Hallen neu nach Themenschwerpunkten sortiert waren. So konnte man die alten Buchmessegewohnheitshasentiere unsicheren Blickes durch die Hallen hoppeln sehen, abwechselnd auf die App und auf die Hallennummerierung blickend. Nun, es war teilweise … überraschend.

Statt selbstgekritzelter Visitenkarten gab’s diesmal ein selbstgekritzeltes Namensschild. Da baumelte wenigstens nicht unleserlich in Schritthöhe.
Irrungen und Wirrungen
Aber verlaufen habe ich mich nicht, zumindest glaube ich das. Nach fünf Tagen Buchmessegetöse sind die Erinnerungen doch etwas durcheinander. Sowieso kam es mir beim Eintreffen in den Heligen Hallen so vor, als seien wir seit dem letzten Mal gar nicht mehr nach Hause gefahren und alles zwischen der letzten und dieser Buchmesse war schlicht eingebildet. Schönen guten Tag, welche Pille haben Sie denn genommen?
Manches Phänomen markiert aber dann doch die Zeitläufte, etwa der überraschend dichte Bart des Messe-Mayers. Er schreibt meine Lieblingsbuchmesseklatschkolumne und ließ sich auch noch zu Schabernack breitschlagen. Siehe auch #2um2. Wer nicht weiß, was man denn nun über die Buchmesse lesen muss, nun, ich mag, was und wie Marga Stokowski im taz Buchmesseblog schreibt. Und dann schrieb ja der reizende Eric Jarosinski aka @NeinQuarterly bei der SZ über die Buchmesse. Leider muss man sich seine Beiträge offenbar mühsam zusammensuchen. Ans Post-Buchmesse-Binge-Reading denkt ja wieder keiner.

Die offizielle Eröffnung der Frankfurter Buchmesse. Natürlich mit dem Messe-Mayer.
Menschliches, Allzumenschliches
Irgendwo wird behauptet, es sei weniger geknutscht worden. Ich kann mir das sehr gut erklären: Da Heike Schmidt, Ute Weber und Stefan Möller diesmal fehlten, wen wundert dieser Umstand? Nun ist diese Buchmesse, wenn man diversen Taxifahrern glauben darf, im Gegensatz zu Messen anderer Branchen eher harmlos. Die Fahrten enden eher selten in halbseidenen Etablissements. Dafür pichelten die Büchermenschen ordentlich was weg. Etwa bei der Frankfurt Digital Night: Dreißig (30!) Flaschen Gin und dann reichte am Ende das Flaschenbier nicht – das gab’s nur einmal. Nämlich im letzten Jahr bei derselben Gelegenheit. Der Schluckspechtattitüde der Buchlinge wurde von der Wirtin Respekt gezollt. Ich selbst hingegen war brav wie ein Lämmchen. Und habe sage und schreibe zwei Bier getrunken. Ich werde alt.
Nun war ich aber auch vorab beim Hädecke Verlagsabend und satt und zufrieden. Der Abend war lang, aber schön. Lang, vor allem. Uffz.

Läuft bei allen. Frankfurt Digital Night im Orange Peel.

Es gab noch einen Flashmob auf der Rolltreppe. Der neuen Rolltreppe vor Halle 3. Dolles Ding.
Kein Rolltreppen-Flashmob ohne Messe-Mayer. Der fotografiert gerade irgendwo da unten, wie wir von oben herab fotografieren. Verrückte Welt.
Sein und Zeit
Soviel zum gemütlichen Teil. Aber natürlich haben wir auch pflichtschuldigst gearbeitet. Das alles ist ja auch Arbeit, sozusagen. So organisierte und moderierte ich für den AKEP eine Veranstaltung über Die fragile Schönheit des Digitalen, die erfreulicherweise viel Zuspruch fand und in der wir uns mit der Frage beschäftigten, was wir im Digitalen als schön empfinden. Gäste waren Andrea Schmidt, Johannes Frank und Dominik Ziller vom Verlagshaus Berlin, die seit einer Weile nach einer Lösung suchen, wie man Lyrik im Digitalen darstellen kann. Warum das nicht so einfach ist, haben sie eindrucksvoll präsentiert. Ausführlicher dazu mitsamt den Slides und Thesen folgt ein Beitrag im Akeplog.

Die fragile Schönheit des Digitalen. Ist das nicht allein ein schöner Titel?
Orbanism Space, Twittertreffen und #printtwitter
Christiane Frohmann und Leander Wattig schufen mit dem weißgekleideten Orbanism Space einen Ort für die digital lebenden Menschen. Es gab WLAN. Es fehlten die rügenden Blicke, wenn man einträchtig nebeneinander saß und in sein Smartphone guckte oder tippte. Und Christiane und Leander haben ein vielfältiges Programm zusammengestellt und Menschen mit Inhalten einen Ort gegeben, wo sie diese vorstellen oder Treffen statfinden lassen konnten. Am Donnerstagmittag gab es ein Twittertreffen, das ich mit einer kleinen Lesung aus #printtwitter eröffnen durfte.
Dann wurde munter durcheinandergequasselt. Leider musste es im Gewühl allzuoft beim Speed-Dating bleiben. Aber immerhin, man hat sich mal in 3D gesehen und erlebt. Das Lunch-Meetup der Digital Media Women kam kurzerhand dazu, denn das Wetter draußen war zu usselig für lauschiges Miteinander auf der Agora.
Christiane, Leander, tausend Dank für Euch und Euren Ort. Ich hoffe, neben der Anerkennung für Eure Organisation lässt die Buchmesse auch was springen und es hagelt Aufträge für Folgeveranstaltungen. Immerhin habt Ihr mit dem Orbanism Space für den größten Buzz im digitalen Raum gesorgt. Gut, neben den Cosplayern. Und der Orbanism Space darf hoffentlich noch etwas wachsen und gedeihen.
„Unsere Lustspiele bestanden in Verkleidungen und Zaubereien; und Prügeleien waren die witzigsten Einfälle derselben.“ (Lessing)
Keine Buchmesse ohne Schabernack. Oft wird übersehen, dass Ernsthaftigkeit in der Sache nicht bedeutet, den ganzen Tag über mit gewichtiger Miene und getragener Stimme Fachvorträge zu halten. Das Schöne an der Buchmesse ist, dass es auch viele lustige und unerschrockene Menschen gibt. Da es auch etliche gibt, die aus unterschiedlichen Gründen der Buchmesse fernbleiben mussten oder wollten, experimentierten Michael Schneider und ich mit einer Impro-Show via Livestream. Ziel war, etwas vom Geist der Buchmesse nach Hause auf die Sofas, Krankenlager und an die Schreibtische zu bringen: #2um2 war geboren.
Periscope machte es möglich, dass wir drei Tage hintereinander 15-25 Minuten einigermaßen problemlos von der Buchmesse streamten. Am ersten Tag holperte es noch gewaltig, aber kein Wunder: Wir hatten die Partyhütchen und die Tiere vergessen! Erst als Menschen, Tiere, Sensationen vereint waren, klappte es auch wunderbar mit der Impro-Show. Mit 44, 53 und 67 Zuschauern im Livestream und etlichen “Nach-Gückern” waren wir nicht so unerfolgreich. Die Sendung vom Tag 3 war dann auch gleich Messepartygespräch bei Dumont, weil wir Buchhändlerin und Buchhändler mit Partyhütchen hatten. Ha! Da könnta gucken!
Wobei, eigentlich nicht mehr. Denn Periscope-Videos bleiben lediglich 24 Stunden online, was bei diesem flüchtigen Format auch schlicht angenehm ist. Ich verrate einfach nicht, dass ich die Sendungen alle gespeichert habe. Man weiß nie, ob man mal belastendes Material braucht. Hrr hrrr. Nein, ist ein Witz. Es war alles einfach sehr sympathisch und witzig. Mal sehen, was wir daraus machen. Eigentlich könnte man das Format noch etwas ausgefeilen werden und ab damit für eine halbe Stunde auf die Bühne …

Das Foto knipste Michael Schneider, derweil sich Dorothee und Markus die vorbereiteten Fragen zogen. Zum Beispeil nach dem Skandal der vergangenen Messepartynacht. Hoho!
Sym|po|si|um, das
Ein Symposium wurde ursprünglich ein Trinkgelage oder Gastmahl genannt. Das wir neuzeitlich darunter nun eine Konferenz oder Tagung verstehen, stimmt mich nachdenklich. Auf jeden Fall hieß das Symposium des Berufsverbands Information Bibliothek „Total vernetzt!” und ich war mit meinem Kollegen Christoph Deeg an einem der Tische im Open Space, um mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern über den Kunden als Co-Produzenten zu sprechen. Es waren aber viele Studierende am Beginn ihres Studium dabei. Daher ging es dann doch auch viel darum, was sich in den Bibliotheken verändert und wie die Bibliotheken sich in Gegenwart und Zukunft entwickeln.

Wenn ich wüsste, wer das Foto gemacht hat … Offenbar erkläre ich gerade etwas Amüsantes.

Bereichernd. Intensiv. Berauschend schön. Die Expedition Lyrik.
Jenseits der bekannten Welt leben Drachen: Expedition Lyrik
Der Freitag war kein guter Tag. Den ganzen Tag über litt ich irgendwie vor mich hin. Müde. Hunger. Pipi. Mein Gesicht auf dem #genussie beim wundervollen Hädecke-Verlag spricht Bände. Zombie-Apokalypse. Doch es galt, verflixt nochmal, durchzuhalten. Denn am Abend gab es immerhin noch eine Herzensveranstaltung: die Expedition Lyrik. Davon hatte ich nach der Leipziger Buchmesse hier schon mal herumgeschwärmt. Und nun in Frankfurt, andere Location, andere Besetzung, anderer Musiker. Und abermals war es fantastisch. Wie es sich für eine Forschungs- und Entdeckungsreise in wilde Sprachlandschaften gehört, war es wieder überraschend und berückend schön. Dazu blogge ich aber nochmal separat. Denn es war fantastisch. Hach. Hach!
Da klappte es danach auch plötzlich mit der Dumont-Party gut (herzlichen Dank für die Einladung, liebe Julia!). Ich traf einen Weggefährten aus alten Verlagszeiten und ohnehin einen Haufen netter Menschen und das war fein.

Wie verändert sich Literaturkritik im und mit dem Netz?
Zwischen Feuilleton und Haul
Haul. Das musste ich erstmal goggeln, als Felix mir damals den Titel seiner Diskussionsrunde durchgab. Wer könnte daran teilnehmen? Letztlich war es die perfekte Runde. Ich bin beinahe auf mich selbst neidisch, dass ich dabei war. Wenn man mit so eloquenten, munteren und entspannten Menschen wie Nora Gomringer, Jan Drees und Stefan Mesch auf der Bühne über ein faszinierendes Thema sprechen kann, ist das schon ein großes Geschenk. Felix, das war klasse! Gibt’s im übrigens sogar als Video wie auch als Audio mit Artikel im Börsenblatt.
Und damit ist natürlich die Buchmesse nicht vollends umfasst. Es ist wie immer nach diesen tollkühnen Tagen ein unzulängliches Gestammel. Und bestimmt habe ich vieles vergessen.
Danke an all Euch wunderbaren Menschen, mit denen ich die Tage verbracht habe. Die Buchfamilie. Die neuen und lange liebgewonnen Kollegenfreundschaften. Ein extragroßes Dankeschön an Michel Schneider, an dessen AKEP-Stand ich mich niederlassen durfte. Und überhaupt. Gehet hin und poetisiert euch.
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