Ich trete vor die Tür.
Das Licht hat nun einen eindeutigen Silberton: November. Etwas Oktobergold klammert sich hier und da noch an die Äste der Stadtbäume. Unter meinen Füßen rascheln die entkräfteten Blätter der Platanen. Ich öffne meine Jacke. Ich öffne meine Strickjacke. Ich stopfe meine Mütze in die Tasche. Die Temperaturen sind nicht das, was ich vom November erwarte. Jäh Sehnsucht nach Raureif und frostkalter Luft.
Die Kunstlitfaßsäule um die Ecke ist frisch bezogen. Schon seit Mitte Oktober, lese ich. Diorama heißt das Motiv der Leipziger Künstlerin Felicitas Fäßler, eine poetische Verbindung von Stadt und Natur. Schön, dass sich Kunst an Kölner Litfaßsäulen etabliert hat. Ich bin Fan.
Kra-kra! Den Soundtrack liefern die Krähen.
Sie verbringen in Köln den Winter. Es gibt immer Krähen in Köln. Aber im späten Herbst trifft die Verwandtschaft aus nördlicheren Gefilden ein, um im wärmeren Rheinland zu überwintern. Das gibt in jedem Jahr ein herrliches Palaver, wenn die mitternachtsschwarzen Rabenvögel in den Baumkronen sitzen.
Mein Gang ins Heimbüro führt mich die Allee entlang, Richtung Rheinufer. Ich habe eine Zeit erwischt, in der wenig los ist. Die meisten Menschen sind weggepackt in Büro- und Schulräume oder Ladenlokale. Hier und da stehen die Lieferwagen mit frischen Lebensmitteln vor den Restaurants. Hinter den Fenstern zu den Küchen geschäftiges Treiben. Ich gehe im Kopf die Markteinkäufe von gestern durch und überlege, was es bei uns heute geben wird.
Vor mir das Eckbüdchen. Der Büdchenmann raucht vor der Tür. Ein kleiner, hellbraun gelockter Hund nähert sich, seinen Inhaber im Schlepptau. Der Hund, vielleicht eine Mischung aus Pudel und Dackel, näher sich hocherfreut wedelnd und beginnt zu singen. Aha, man kennt sich. Der Büdchenmann zum Packel: „Ein Leckerchen?“ Der Packel nickt, während er seinen Inhaber bereits zielstrebig mit ins Büdcheninnere zieht.
Am Anleger ist alles ruhig.
Seitdem ich durch Bad Kleingarten und vor allem durch die Nutzung von Flora Incognita der Pflanzenwelt ein deutliches Stück nähergerückt bin und viele Gewächse beim Namen kenne, gehe ich mit anderem Blick durchs Viertel. Neben all den invasiven Neophyten, die sich breitmachen, finden sich auch immer ein paar erfreuliche heimische Stauden wie Nachtschatten, Schafgarbe, Wolfsmilch und Schwarze Nessel.
Etwas verstörend finde ich die joggenden Menschen heute, die nicht in der Lage zu sein scheinen, von ihrem Weg abzuweichen. Zwei sind förmlich in mich hineingerannt, obwohl die Eine eindeutig auf der falschen Seite war und der Andere mich hätte überholen müssen. Hä? Mich irritiert sowas. „Was ist nur los mit den Menschen?“ ist eine Frage, die förmlich ein Ohrwurm geworden ist.
Ich atme. Lasse die Schultern fallen. Senke das aufgebrachte Kinn. Entspannung fließt in meinen Körper.
Am Referenzbaum vorbei.
Er hat wieder diesen schönen Teppich aus bunten Blättern unter sich ausgebreitet. Von links nähert sich eine Frau mit zwei Hündchen. Leinen los! Das graue, struppige wendet sich zügig der Wiese zu, riecht kurz prüfend an den Grashalmen und lässt sich behaglich seufzend fallen. Es folgt ein beachtlich energisches Wälzen mit beseeltem Blick. Die Inhaberin eilt besorgt herbei.
An Duftaromen scheiden sich die Geister. Das weiß man, wenn man etwa regelmäßig die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt, im Handel arbeitet – oder einen Hund hat. Ich erinnere mich lebhaft an die, nun, bemerkenswerten Düfte der Hinterlassenschaften von Igel und Fuchs, mit denen sich ein gewisser Familiendackel hingebungsvoll parfümierte. Tödlich beleidigt war er, wenn er mit spitzen Fingern und gerümpften Nasen unter den Duschkopf bugsiert wurde.
Die Uhr, die immer Punkt Zwölf zeigt. Zu vermieten. Lässt sich Zeit mieten?
Baumläufer voraus!
Eine gefiederten Mäuschen gleich huscht der kleine Vogel mit dem langen Schnabel einen Baum herauf. Zuverlässig wird er unsichtbar, sobald ich das Mobilgerät zücke. Darf ich bitte ein Foto ..? Nein. Abgelehnt. Also gut. Gucken ja. Knipsen nein. Ich habe verstanden.
Ich passiere das Tor zum Rosengarten. Kein einziges Mal war ich in diesem Jahr dort. Seitdem wir mit Bad Kleingarten einen eigenen Rosengarten haben, hat dieser grüne, stille Ort für mich an Relevanz verloren. Aber ich weiß noch zu gut, wie wichtig mir dieser Ort war, als es noch keinen Garten als Fluchtort gab.
Eigentlich wollte ich mir rasch in der Agneskirche die Krippe ansehen.
Es gibt in diesem Jahr einen großartigen Neuzugang im Krippenpersonal. Der Journalist und NS-Widerstandskämpfer Nikolaus Groß lebte im Agnesviertel. Es ist eine wirklich fabelhafte Idee, ihn auf diese Weise sichtbar zu machen. Ich erlaube mir, den Text von Peter Otten hier zu teilen, der die Größe dieser Idee und die beteiligten Menschen vermittelt:
Die Idee, den seligen Nikolaus Groß – Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, Kölner Familienvater und im Agnesviertel beheimatet – als Figur an der Weihnachtskrippe zu zeigen, entstand im Advent 2023 beim Treffen des neu gebildeten Krippenteams von St. Agnes. Die Umsetzung erfolgte im Laufe des Jahres 2025. Das Projekt der Agnespfarrei hat dabei eine neue Perspektive gewählt: Die Figur zeigt ihn mitten im Leben – als Chefredakteur der Ketteler Wacht, als Ehemann, Familienvater, Mann aus dem Agnesviertel und als Krippenfreund.
Bekleidet ist die Figur mit einem Straßenanzug im Stil der 1930er Jahre aus braunem Nadelstreifenstoff, ergänzt durch Hemd und Weste. Ein besonderes Detail: Sie wird mit einem Krippenstall in Miniaturform gezeigt werden, gestaltet nach einer Bauanleitung, die Nikolaus Groß 1935 selbst in der Ketteler Wacht veröffentlicht hatte – nach der er auch seine eigene Familienkrippe errichtete.
Caroline Weber, Köln (Vorsitzende der Landesgemeinschaft der Krippenfreunde in Rheinland und Westfalen e. V., Mitglied im Krippenteam St. Agnes) sorgte maßgeblich für die Umsetzung der Idee. Holzbildhauer Rudi Bannwarth aus Ettlingen hat den Portraitkopf wunderbar beeindruckend aus Lindenholz gestaltet. Kostümbildnerin Elfriede Bauer aus Hürth, die schon viele Kostüme für das Kölner Hänneschen-Theater geschneidert hat, fertigte den Anzug im Stil der 1930er Jahre. Für den Bau des Miniatur-Krippenstalls sorgte Bernd Philippskötter aus Glandorf bei Osnabrück. Er ist Krippenbaumeister und Vorsitzender der Krippenfreunde Osnabrücker Land und Emsland e. V.Die Realisierung der Figur wurde finanziell ermöglicht durch großzügige Unterstützung der Landesgemeinschaft der Krippenfreunde in Rheinland und Westfalen e. V. anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens. Nikolaus Groß war selbst Krippenfreund und Mitglied der LG; durch den Förderverein von St. Agnes, die KAB Köln sowie einige Einzelstiftungen.
Schon bin ich an der Wohnungstür.
Heute ist Weltdiabetestag.
Ich bin immer noch nicht gramgebeugt.
Andernorts
- Ute Vogel betreibt Familienforschung. Das ist ausgesprochen faszinierend, was sie in den unterschiedlichsten Quellen an Informationen über ihre Familie herausfindet. Seit kurzem weiß sie: Es gibt Familie in den USA.
Ich schichte gerade Mitgliedschaften und Abonnements um. Ein Teil meines Medienbudgets geht fortan an diese Beiden. Zeit wird’s:
- Wer Gutes und Kluges lesen möchte, ist hervorragend bei Frau Frohmann untergebracht: Umsehen lernen.
- Eine weitere Empfehlung: Kristina Klecko. Was mache ich denn da? Verdammt gute Essays.
- Ihr fragt Euch, was der Weltklimagipfel in Brasilien eigentlich bewirken soll? Frau Büüsker ist vor Ort.

Sehr gerne gelesen. „Der Packel nickt.“ 😄
Und danke fürs verlinken. <3