Ich trete vor die Tür.
Die Winterjacke ziehe ich gleich noch etwas fester zu. Es geht auf Ende November zu und wir haben der Jahreszeit angemessene Temperaturen? Erstaunlich. Ich erinnere mich nicht, wann das zuletzt so war. Noch finde ich es schön, selbst wenn der Gang ins Heimbüro ein wenig vorsichtiger vonstatten geht. Die mit Laubbläser blitzblank gepusteten, festgetretenen Wege sind stellenweise von rutschigem Eis überzogen. Winterdienst? Nur für Autos.
Und, zack, schliddert ein Radfahrer an mir vorbei.
Das Kopfsteinpflaster ist mit einem rutschigen Film überzogen. Ich helfe ihm auf, glücklicherweise ist scheinbar nichts passiert. Oft bemerkt man doch erst später, ob man sich verletzt hat. Adrenalin macht’s möglich.
Es ist Montag und die Müllabfuhr macht ihre Runde. Eine gute Gelegenheit, neugierige Blicke in fremde Hinterhöfe zu werfen. Während man auf dem Land die Mülltonnen an die Straße stellen muss, holen sich die Müllmänner die Tonnen meist raus: aus Hinterhöfen, aus ebenerdigen Kellerräumen, aus Abstellräumen. Auch nicht immer ein Spaß, aber wir zahlen den Aufwand alle mit.
Ich schlingere mit dem Knipsgerät auf der Allee herum. Heute gibt es viel zu sehen. Da hält ein Radfahrer neben mir: „Wibke!“ Ich freue mich über einen Schwatz mit Jürgen, unserem weltbesten Schuhmacher aus dem Nachbarviertel Riehl. Er kümmert sich übrigens auch um Schuhe, die ihm zugesendet werden. Ich weiß von mindestens zwei Paar Wanderschuhen, die dank Jürgen wieder im Einsatz sind (Telefon: 0221 765344).
Am Anleger ist richtig was los.
Mir definitiv zu viel. Ich haste weiter, entferne mich vom Rhein, auf in den Park. Am Rheingold und am Rotkehlchen vorbei. Die Hundewiese ist unbelegt – nein, das ist falsch. Ich sehe einige Krähen im Laub herumstochern, weiter hinten eine Abordnung von Ringeltauben. An den Vögel lässt sich recht gut erkennen, warum es wichtig ist, im Winter nicht alles an Laub zu entfernen. Die herabgefallenen Blätter sind der Vorratsschrank für die Vögel, denn darin finden sich Käfer, Würmer und andere Insekten.
Nach den Blättern fallen nun wieder die Handschuhe. Ich freue mich über die geheimnisvollen Handzeichen der verlorenen Fingerwärmer. Und auch über die trotzige Blüte der Schwarzäugigen Susanne an der Straßenecke. Der Frost war noch nicht ihr Tod, beachtlich.
Gelesen
- „Die Struktur ist immer dieselbe: Die, die erklären müssen, verlieren. Die, die einfach behaupten, gewinnen. Und weil sich das gut klickt, wird daran konsequent festgehalten. Aus solchen Bedingungen entsteht eine Öffentlichkeit, die Reizpunkte wichtiger nimmt als Inhalt. Eine Öffentlichkeit, die nicht fragt, was jemand sagt, sondern nur noch, ob es knallt.“
Ich werde mitunter misstrauisch, wenn mich ein Text allzu sehr in meinen Ansichten bestätigt. Diese Medienkritik möchte ich dennoch hier ablegen, damit ich sie nach einer Weile des Nachdenkens wiederfinde. - Ganz anderes Thema: Nur wenige sitzen optimal auf dem Fahrrad. Ich dachte lange, wirklich viel zu lange, es läge an mir, wenn mir das Hinterteil beim Radfahren schmerzt. Die erste Radreise habe ich rund 900 Kilometer lang stumm durchlitten und das völlig ohne Not. Ich brauchte einen anderen Sattel und eine passendere Einstellung am Rad. Schon gehörten diese Schmerzen zur Vergangenheit. Ich bin sehr froh, vor einer Weile etwas Geld in ein gutes Bikefitting und in einen gute Sattel investiert zu haben. Nun seufze ich jedes Mal behaglich, wenn mein Hinterteil den Sattel berührt. Und das auch noch nach vielen Kilometern.
Gehört
- Die Geschichte von Seweryna Szmaglewska, die das KZ Auschwitz-Birkenau überlebte und als Zeugin in den Nürnberger Prozessen aussagte. Nora Hespers und Sophie Rebmann erzählen in ihrem neuen starken Podcast von der polnischen Widerstandskämpferin. Alles Geschichte: jetzt in der ARD Audiothek. (Dort gibt es auch einen Podcast über die Nürnburger Prozesse, ebenfalls sehr hörenswert.)
- Dem Insektenforscher Thomas Hörren folge ich bei Instagram (@totholz.thomas) ziemlich begeistert. Er hat eine Art, von seiner Forschung und seinem Blick auf die Natur und die biologische Vielfalt zu erzählen, die ich als ungemein einnehmend und erhellend empfinde. Leidenschaft mit Bedacht. Er schreibt auch fabelhafte Bücher. Nun gibt es einen Podcast: Stimmen der Biodiversität – Der Podcast zu biologischer Vielfalt.
Gesehen
- Nun, diese Dokumentation war überraschend: Geraubtes Wirtschaftswunder – Die übertünchte Vergangenheit der Deutschen. (Es ist doch auch immer wieder verblüffend, welche ollen Kamellen uns insbesondere die CDU seit Jahrzehnten als neu und selbst erdacht verkaufen wollen.)
- Herr Hoffmann wies mich auf diese Doku-Reihe bei Arte hin: Schrecklich schöne Bausünden. Der Titel mag ja ziehen, aber er ist irreführend. Es geht (auch) um ziemlich tolle Architektur, die noch nicht oder nicht mehr dem aktuellen Geschmack entspricht. Wer Bausünden sehen will, muss selten weit gehen: In den Städten werden momentan kostengünstig fantasielose Karnickelställe gebaut, die dann umso teurer vermarktet werden. Spaziere oder wandere ich durch Neubausiedlungen im Umland, starre ich auf überdimensionierte Eigenheime mit Carport auf in Relation handtuchgroßen Grundstücken, die mit grüner Rasenwüste, Kirschlorbeer oder gar mit Schotter verziert werden. Die hohen Sichtschutzwände drumherum in grauem Plastik nicht zu vergessen. Wah. Sofort schlechte Laune und ich höre Herrn Hoffmann innerlich mit verstörtem Gesicht flüstern: Abreißen, alles abreißen!
- Lieber noch was Schönes: Ich bin Fan der Loki-Schmidt-Stiftung. Sie loben nicht nur die Auszeichnung Blume des Jahres aus. Sondern sie stellen dann das ganze Jahr über den Lebensraum dieser Pflanze vor. In diesem Jahr ist der Feldrittersporn Blume des Jahres. Die in ihrer Vielfalt sehr bedrohten Agrarlandschaften werden 2026 Thema sein. Dazu gibt es neben umfangreichem und schön gestaltetem Informationsmaterial ein ausgesprochen nettes Video. Sympathische, ernsthafte Leute, unprätentiöses Erzählen aus Sachkenntnis heraus, kein überaufgeregtes Chi-chi.
Und sonst?
Im Sauerland haben wir einiges aus dem Hausstand meiner Frau Mutter adoptiert. Ich glaube, es hätte ihr gefallen, dass der Teppich nun bei uns herumliegt und ich in ihrer warmen Strickjacke sitze. Es fasst mich seltsam an, wie sehr sie nach ihr riecht. Vielleicht fasst mich noch mehr an, dass der Duft weniger wird. Und ich weiß, dass das für immer sein wird.
Ich las zwei gute Bücher:
Gute Momente von Mely Kiyak
Vom Alltag, vom Stadtleben, vom Schreiben, von der Familie, von Erinnerungen: Ich lese, ich blättere, ich streife durch Gute Momente von Mely Kiyak. Wie sehr ich ihren Sound mag. Ihren Blick in die Welt und ins eigene Selbst. Schönes Buch.
Texte als Rastplatz zwischendrin.
Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten von Anna Maschik
Ein Bauernhof an der Nordsee. Die Geschichte einer Familie. Mosaikartig, in kurzen Szenen, setzt sie das Wesen dieser Familie über mehrere Generationen zusammen, manchmal brachial, manchmal zart, manchmal höchst realistisch (wie das Schlachten des Schafes gleich eingangs des Buches), manchmal geradezu magisch. Es passiert viel auf diesen großzügig bedruckten, wenigen Seiten. Ganz starker, eigener Ton. Mag ich.
Das beeindruckende literarische Debüt einer Autorin, die ich im Blick behalten werde. Wird im Regal zwischen Hohle Räume von Nora Schramm und Krummes Holz von Julja Linhof stehen.
Ich las? Ich lese. Beide nämlich noch nicht ganz. Es gibt so viel, was mir momentan Zeit und Ruhe raubt. Auch das Diabetesmanagement erfordert viel Zeit. Ich werde mich daran gewöhnen müssen, dass die Termine in der Diabetologischen Praxis jeweils einen halben Tag Zeit benötigen. Inzwischen trage ich übrigens testweise einen Blutzucker-Sensor, ein Test, der sicherlich Alltag werden wird. Denn laufend über Aufstieg und Fall meines Blutzuckers informiert zu sein und und die Auswirkungen von Mahlzeiten und Insulin beobachten zu können, ist einfach grandios.
In der Heimbürokantine genieße ich derweil die Winterküche. Momentan gibt es so viel Gutes und Frisches auf dem Markt. Die Saure-Gurken-Zeit folgt ja erst Ende Januar, Anfang Februar, wenn die Lager sich leeren. Und noch stehen in Bad Kleingarten die Wintergemüse. Gute Sache.









