Der Hinterhof ist ganz saftig vom Landregen, der in der Stadt seinen Sommerurlaub verbringt. Von der Linde tropft es. Die von der Mauser ganz struppigen Gartenvögel hopsen ohne Mucks im Efeu herum. Lesewetter, ohne Frage. Aber auch Wetter für Erledigungen. Für ein aushäusiges Getränk. Und für solidarisches Vorbeischnüren beim Kommunalwahlkampfteam.
Herumirren im Elektronikgroßmarkt
Erledigungen, also. Der Samstag bot sich an, einen Gang zum nicht weit entfernten Kaufladen für elektronische Geräte zu machen. Das neu erworbene Mobilgerät erzeugt weitere Käufe, das ist alles sehr lästig. Der Blick auf den Haufen Elektronikkrimskrams, der von Jahr zu Jahr den Haushalt immer mehr unschön verschlämmt – nun ja.
So überfordert wie griesgrämig schaue ich auf das erstaunliche Angebot im Kaufhaus. Dass die Wohnfläche pro Kopf seit Jahren zunimmt, mag vielleicht auch auf die immer neuen Geräten zurückzuführen sein, die deutsche Haushalte verstopfen. Zumal sie immer größer werden, analog zu den immer voluminöser werdenden Autos auf der Straße. Die Welt indes wird nicht größer, sie wird eher immer enger. Auch innerlich. Weltschmerz drückt dieser Tage täglich.
Im Nun-nicht-mehr-Saturn finden wir den größten Teil des Gesuchten, also genau zwei eher handliche Dinge. Wir erfahren aber erstaunt, dass es keine Mikrofone zu kaufen gibt. Herr Hoffmann wendet sich seiner Superheldenkraft zu: der Internetrecherche. Kurz amüsieren wir uns über die nicht unerhebliche Auswahl von Mikrofonen im Online-Shop des aufgesuchten Elektronikgroßhandels. Nö, lasst mal.
Am Abend sind wir zu Gast bei einer sehr schönen Feier.
Satt von guten Speisen und Getränken und munterem Gespräch fallen wir ungewohnt spät ins Bett. Der Tag darauf wird dann ein stark verlangsamter mit Gartenschläfchen und Rumhängen. Je langsamer der Tag, desto rascher manchmal rum. Ein Jammer. Aber:
Lesewetter, wie ich bereits erwähnte.
Und so las ich quasi in einem Rutsch Kristina Hauffs neues Buch, Schattengrünes Tal. Spannend, ohne Frage. Die Autorin beherrscht das psychologische Kammerspiel. Am eine Spur zu glatten Ende blieb ich mit einem leichten Störgefühl zurück, das ich nicht näher zu benennen vermag. Am meisten mochte ich die Beschreibungen des Tals im Nordschwarzwald und des Hotels, in dem die Zeit stehengeblieben ist und nun nach Vergangenheit müffelt.
Wie sich Tourismus seit seiner Mainstream-Werdung verändert (und wie er Orte und Menschen verändert, so oder so), finde ich immer sehr interessant. Und dann dieser angedeutete Konflikt eines Försters im Spannungsfeld seines Berufs, der Klimaveränderungen und des Naturschutzes. Das hätte mich womöglich doch noch mehr interessiert als die ziemlich überspannte Dreiecks-Beziehung. Aber damit wäre es ein völlig anderes Buch.
Wilder Honig. Ein blumenprächtiges Cover. Obstgarten. Wales. Das waren vermutlich die Auslöser, warum ich mir das Leseexemplar von Caryl Lewis gegriffen hatte. Ich geriet in den lauen Sud eines schon zu oft wiederverwendeten Teebeutels: eine alte Liebe, der Tod, das Testament, das Geheimnis, die Schwestern, die Selbstfindung, eine neue Liebe. Garniert mit Apfelsymbolik. Ich blätterte dann mehr, als ich las. Und legte es mit einem verärgerten Schnaufen zur Seite. Ein Foto vom Buch habe ich erst gar nicht gemacht. Dafür vom Essen.
Ich schnappte mir das Leseexemplar von Annegret Liepolds Debüt. In Unter Grund erzählt sie von einer jungen Frau, die sich mit ihrer Vergangenheit in der rechten Szene und ihrer Familiengeschichte auseinandersetzt. Angesiedelt in Franken, eine Erinnerung daran, dass Rechtsextremismus wahrlich kein allein ostdeutsches Thema ist. Ich zögerte länger, ob ich das Buch wirklich lesen will. Allzu groß ist die Präsenz von rechtsextremistischen Themen und Menschen – aber die Sprache zieht mich sofort rein ins Geschehen.
Und dann interessiert es mich doch. Es braucht sicher gerade jetzt die Erinnerung an das weit verbreitete und vererbte Schweigen in den Familien nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes. (Ich kenne es aus meiner eigenen Herkunftsfamilie.) Wer einen Eindruck von Autorin und Buch bekommen möchte: Capriccio hat einen guten Beitrag dazu.
Das Lesen bietet in diesen Tagen einmal mehr Schutzräume.
Was sich derzeit in der Politik und in der Gesellschaft abspielt – ich komme da nicht mehr mit. Oder hinterher? In diese enge, kalte, korrupte, gesetzlose, emotional verarmte und düstere Welt, in die uns Konservative Seite an Seite mit Faschisten und Rechtsextremenen führen? Nein.
Widerstand findet im Kleinen statt. Im Garten etwa ernten wir Gemüse aus samenfestem Bio-Saatgut und nicht aus dem Saatgut von Konzernen wie Sperli oder Kiepenkerl. Ich taste mich ans Mittun im Kommunalwahlkampf heran. Im Kleingartenverein geht es in Sachen Naturschutz und Gemeinschaft weiter, im Buchladen für kulturelle Vielfalt und ein gutes Miteinander im Viertel.