Dies ist keine Klage. Und auch kein Vorwurf dem Krankenhaus gegenüber, in dem ich sieben Tage verbrachte und in dem ich mich sehr gut versorgt fühlte. Das möchte ich voran schicken, wenn ich heute von einem Thema erzähle, um das sich im kranken wie im gesunden Zustand alles dreht: Essen. Ernährung.
Essen muss der Mensch.
Ich blättere flüchtig im Internet und bin verblüfft, wie lange der Mensch ohne Nahrung zu überleben vermag. Zumindest so lange er Flüssigkeit erhält. Aber förderlich für die Gesundheit ist ein Fasten auf Dauer nicht. Der Begriff der Gesundheit beschäftigt mich, denn ich werde mich noch daran gewöhnen müssen, nun als chronisch erkrankt zu gelten. Das passt so gar nicht zu meinem Selbstbild. Und auch nicht zu meinem Gefühl: Ich fühle mich seit Greifen der Insulintherapie so irrwitzig gesund. Die Rosine ist wieder eine Traube, werde ich nicht müde zu verkünden. Tatkraft und Schaffensdrang sind zurück, ich fühle mich dem Leben nicht nur wieder gewachsen, sondern habe auch wieder Lust, es zu packen und herauszuschütteln, was geht. Ich fühle mich wieder so, wie ich mich mein Leben lang kenne.
In den letzten Monaten galt ich als gesund und warf mir selbst meine Erschöpfung und mangelnde Energie vor. Ganz sicher hatte ich irgendetwas falsch gemacht, oder? Aber ich wusste nicht, dass die Glukose einfach an meinen immer enttäuschteren Zellen vorbeirauschte. Es war kein Insulin da, das ihr die Tür zu den Zellen öffnen konnte, wo Glukose in einem gesunden Körper in Energie umgewandelt wird.
Essen ist Energie. Körper und Geist brauchen Energie, um den Laden am Laufen zu halten. Lebensmittel wirken sich unterschiedlich stark auf den Blutzucker aus. Normalerweise produziert der Körper nach oder beim Essen die benötigte Menge Insulin. Die Glukose gelangt zu den Zellen, wenn dort Energie benötigt wird, oder wird für schlechte Zeiten in Form von Fett eingelagert. Diese Energie gibt die Kraft, um sich zu bewegen, anzustrengen oder zu denken. Seitdem ich sie wieder spüren kann, bin ich so dankbar.
Weise speisen: Messen, spritzen, essen
Im Krankenhaus begann mit der Therapie eine tägliche Schulung, verbunden mit ausführlichen Beratungsgesprächen und Raum für all meine Fragen. Ich war ganz verblüfft, in welch gut sortiertes Netz ich fiel. Ich erfuhr aber auch, dass ich fortan deutlich mehr Verantwortung für mich selbst übernehmen muss.
Vorm Essen messe ich nun meinen Blutzucker. Dann spritze ich anhand der Blutzuckerwerte und der Mahlzeit die benötigte Menge Mahlzeiten-Insulin (Bolus). Dann kann ich essen. Ich messe dann rund drei Stunden später, ob ich mit allem richtig gelegen habe und korrigiere, falls nötig. Einmal am Tag spritze ich ein Langzeitinsulin (Basis), das eine Grundversorgung ist. Als Typ 1 kann ich mithilfe dieser Insulintherapie mein Leben ansonsten weitestgehend gewohnt weiterführen.
Ich lernte in der Schulung, was Überzuckerung und Unterzuckerung für mich bedeuten, was ich und mein Umfeld über das Handeln im Notfall wissen muss und was Folgeerkrankungen sein können. Es gab eine Auffrischung in Sachen Ernährung, ein Thema, bei dem ich zunächst viele Störgefühle hatte. Dass für viele Menschen hochverarbeitete Fertig- und Tiefkühlprodukte sowie Snacks, Kuchen und zuckerhaltige Limonaden zum Alltag gehören, blendete ich oft aus. Ein schärferer Blick ins Angebot der Supermärkte ist doch recht erhellend.
Ha, aber ich bin doch ganz anders, ne? Nun neige ich dazu, glücklich machende Kohlenhydrate nach Lust und Laune in mich hineinzuschaufeln. Das funktioniert so nun nicht mehr – das Insulin muss möglichst genau zur gefutterten Menge an Kohlenhydraten passen. Es ist aber ein Segen, dass ich von jeher am liebsten frisch und selbst zubereitete Gerichte esse, viel Gemüse, Salate, Obst, Nüsse, Naturjoghurt und als Getränk am liebsten Wasser. Dann kam die Sprache auf Chips und – mit Wein, Sekt und Bier – Alkohol, die problematisch sind. Da wurde ich kleinlauter. Zwar ist eine falsche Ernährung keine Ursache von Diabetes Typ 1 (im Unterschied zu Typ 2), aber zu hohe oder zu niedrige Blutzuckerwerte gilt es zu vermeiden. In Chips ist alles drin, was den Blutzucker hochjagt. Das sind kleine Mengen schlicht vernünftiger.
Kleine Mengen. Chips. Haha.
„Verboten“ sind sie dennoch nicht. Momentan verspüre ich gar keinen Heißhunger auf Chips. Mal sehen, wie sich das entwickelt.
Abhanden gekommen ist mir ein unbeschwerter Umgang mit Alkohol. Zwar bin ich fern von einem versteckten Alltagsalkoholismus. Und ich sehe deutlich, wie problematisch Alkohol in unserer Gesellschaft ist. Ich habe nun selbst einige Situationen erlebt (Buchmesse, Gaststätte), in denen es etwas seltsam anklang, einfach Wasser trinken zu wollen. Es gibt zwar inzwischen vermehrt alkoholfreie Alternativen. Aber wenn man nicht unbedingt einen Zuckerschock (sic!) erleiden will, bleibt oft nur Wasser. Das ich auch im Alltag ohnehin bevorzugt trinke. Ich mag die meisten sogenannten Softdrinks nicht, weil zu süß. Es drängte mich aber auch niemand zum Alkohol. Mir geht es momentan besser, wenn ich ihn nicht trinke.
Aber ich weiß es doch zu schätzen, Regionen mit ihren unterschiedlichen Böden und Anbaumethoden in ihren Weinen zu erschmecken. Oder den feierlichen Geschmack von Sekt zu genießen. Auch hier ist mir nichts verboten, aber alkoholische Getränke wirken durch den enthaltenen Zucker zunächst sehr stark auf den Blutzucker, um ihn dann jäh zu senken. Gerade am Abend ist das problematisch, weil nachts zu unterzuckern schlicht lebensgefährlich sein kann. Zeit für mein Mantra: Alles wird sich finden.
Weder Alkohol noch Chips sind im Krankenhaus ein Thema. Und momentan sind es für mich auch nicht die drängenden Themen.
Krankenhausessen fasziniert mich.
Als ich Anfang des Jahres in der Uniklinik Köln war, staunte ich über das gute Essen. Dass das kein Standard in allen Kölner Krankenhäusern ist, wurde mir erst bewusst, als ich auf das erste Tablett im sonst so tollen St. Hildegardis blickte. Hm. Hier ist ein externer Caterer am Werk. Und was auf den Tabletts in den Krankenhauszimmern landet, illustriert recht gut, mit wie wenig Mitteln Krankenhäuser auskommen müssen. Ich lese, dass es wohl 5 Euro sind, die täglich für jede*n Patient*in zur Verfügung stehen.
Es gibt seit Jahren rege Diskussionen darüber, in welchem Kontrast das Essen in Krankenhäusern zu dem steht, was die Ernährungsberatung empfiehlt. Dabei wäre das Krankenhaus doch ein guter Ort, den Menschen am eigenen Leib erfahren zu lassen, wie eine sinnvolle, gesunde Ernährung schmeckt und sich auswirkt. Wer meint, sich übers Essen beim Krankenhauspersonal beschweren zu müssen: Die sehen das gar nicht anders. Aber sie entscheiden nicht über die Vergabe von Mitteln und die Finanzierung.
Essen im Krankenhaus ist nicht selbstverständlich.
Es gibt Länder, in denen Patient*innen von der Versorgung durch Angehörige abhängig sind. Und ein Krankenhaus ist eben kein Hotel mit Vollpension. Und dass für manche das Essen zuhause oder im Pflegeheim deutlich schlechter ist, stelle ich etwa an der Reaktion meiner temporären Bettnachbarin fest, die beherzt reinhaute und von dem Fischgericht in der Liste mit Gerichten schwärmte, aus der man auswählen darf.
Als Frau Vogel vor einer geraumen Weile (und damals noch bei Twitter, meine ich?) ihr Krankenhausessen gepostet hatte, entspann sich eine muntere Diskussion um das Thema, in die sich auch Renate Künast einschaltete. Sie setzte sich in ihrer politisch aktiven Zeit (und vielleicht immer noch?) sehr für die Verbesserung von Krankenhausessen ein.
Ästhetisch finde ich Krankenhausessen höchst faszinierend.
Das Arrangement von runden und eckigen Gefäßen auf dem eckigen Tablett mit runden Ecken, die reduzierten Farben, kein Chi-chi. Toll! Dazu liebevolle Kleinigkeiten wie diese rührende Salzbrezel, die das Abendbrot verzierte. Es schmeckte mir zumindest immer besser, als der erste Eindruck vermuten ließ. Ich wurde satt. Ich studierte interessiert die Zusammensetzung der Nährstoffe und merkte sie mir für Zuhause. Der kleine Salat zum Abendbrot oder den Joghurt oder das Stück Obst zum Mittagessen waren für mich durchaus nochmal eine Inspiration. Froh war ich dennoch, dass Herr Hoffmann mich getreulich mit frischem Gemüse aus Bad Kleingarten versorgte. Damit ließ sich noch jedes Essen retten.
Nach einer Woche, die für mich eine Zäsur war, ging es dann wieder nach Hause. Wie würde das wohl werden?
Was zuvor geschah:
Mein neues Leben mit Diabetes (1): Ab in die Notaufnahme
Mein neues Leben mit Diabetes (2): Es geht um Leben und Tod
Mein neues Leben mit Diabetes (3): Lauter erste Male
Mein neues Leben mit Diabetes (5): Zu Fuß und zu Tisch
Mein neues Leben mit Diabetes (6): Mehr als ein Abschied

Herrlich, deine Essenstablettfotos! Da sind ja sehr interessante Kombiationen dabei (Omelette mit Salzkartoffeln?!)
Ich hatte das damals in den Kunststrudel geschrieben und Frau Künast hatte sich tatsächlich auf Mastodon dazugeschaltet – und sich fürchterlich aufgeregt. 😄
(Wobei das bei dir ja nochmal ein ganz anderer Schnack ist – wenn die Ernährung bei er Erkrankung eine tragende Rolle spielt)
https://www.kunststrudel.de/krankenhausessen/
Aaaah, genau, bei Kunststrudel war das! Ich suchte bei Vogelsfutter. Verlinke ich noch ordentlich im Beitrag selbst, danke Dir. Ja, das Omelette erinnerte mich auch sehr an die frühen vegetarischen Gerichte in der Bonner Mensa damals. Ich esse im Krankenhaus ja doch lieber vegetarisch. Wer weiß, wo bei diesen geringen finanziellen Mitteln das Fleisch herkommt … Die Uniklinik zeigt doch eigentlich, dass es auch anders geht. Da gab es sogar mal einen richtig guten, frischen Salat! Dunnerlittchen.