Eigentlich kennt dieses Phänomen wohl jeder von uns: Ein Lob von Freunden freut. Aber ein Lob von Fremden gilt ungleich mehr. Ähnlich scheint es in Social Media zu sein: ein Like oder Teilen von vertrauten Kontakten wird gleichmütig hingenommen, während man auf den erlösenden Zuspruch von Unbekannt lauert. Es ist skurril, oder? Ich kann mich nicht völlig davon freisprechen, zumindest was das Lob angeht. Unbewusst schreibt man Fremden größere Objektivität zu, während doch Freunde viel besser darum wissen, mit wieviel Beharrlichkeit und Kraft man sich etwas erarbeitet hat.
Über dieses Phänomen habe ich schon seit längerem nachdenken müssen. In Workshops äußern Unternehmen und Kulturinstitutionen mitunter ihre Unzufriedenheit mit dem Zuspruch in Social Media. Von den Inhalten und deren Aufbereitung abgesehen, fehlt es oftmals an einer klaren Vorstellung über die Menschen, mit denen man über diese Inhalte in Kontakt treten möchte. Deutlich wird, dass man eigentlich andere erreichen möchte. Und nicht die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem eigenen Haus oder Kolleginnen und Kollegen aus derselben Branche.
Diese Anderen möchte man, diese Kunden, die nicht Teil der Filterblase sind. Filterblase! Das ist auch etwas, das man in Gesprächen über Social Media oft hört. Insbesondere von denen, die sich das Geschehen lieber aus der Ferne ansehen. Ein Nasenrümpfen schwingt meist mit, als sei es anrüchig, wenn sich Menschen mit ähnlichen Vorlieben und Ansichten zusammenfinden.
Nun, von außen betrachtet wirkt es vermutlich auch etwas schräg. Zumindest wenn man sich etwa die Treffen von Social-Media-Menschen ansieht, die meist recht ausgelassen miteinander umgehen, so ohne allen Business-Firlefanz. Das wirkt dann rasch nach »nur Spaß« – und nicht nach seriöser Arbeit. Verdächtig! Sowas kann doch nur schwerlich Unternehmenszielen dienen, oder?
Auch nächste Woche, diese re:publica wieder. Da stehen dann ein paar tausend Menschen schwatzend mit Bier im Hof der Station und nennen es Arbeit. Es ist ein Skandal. Ja, natürlich, die Vorträge. Auch wieder so Filterblasenkram, dieses ganze netzpolitische Zeugs. Erst Selfies mit Kaffeetasse bei Facebook posten und dann über die Vorratsdatenspeicherung schimpfen. Ts! Lasst mich, ich muss mich da kurz reinsteigern. Zur Beruhigung der Blick in eine andere Filterblase:
Was denn jetzt: Filterblase oder Netzwerk?
Irritierenderweise werden Netzwerk und Filterblase häufig synonym benutzt. Ein Netzwerk ist im Grunde nichts anderes als eine Gruppe von Menschen mit ähnlichen Interessen, die sich austauschen und einander unterstützen. Dubios wurden Netzwerke außerhalb der Illuminati erst, als sie sozial genannt wurden und zum Eingangstor zu Digitalen wurden. Als Rotary Club, Reitverein oder Doppelkopfrunde galten sie noch als ganz normal und als After-Work-Bierchen-Gruppe sogar der Karriere dienlich.
Der Begriff der Filterblase wurde 2011 viel diskutiert, als Eli Pariser sein gleichnamiges Buch veröffentlichte. Die These ist, dass uns durch Algorithmen und eigene Filter nur noch Informationen und Beiträge in unseren sozialen Streams angezeigt werden, die zu uns und unserer Weltanschauung passen. Hierdurch wird auf den Einzelnen heruntergebrochen immer weniger Vielfalt erzeugt. Die Fülle an Informationen und Anregungen, die theoretisch für uns durch das Internet abrufbar wäre, wird also durch unser Verhalten mehr eingeschränkt als vorher. Als Stoff für Diskussionen blieb uns diese These bis heute erhalten.
Meiner Meinung nach schwächelt diese These am Bild des Menschen, die ihr zugrunde liegt. Erhellend finde ich diesen Artikel von Peter Glaser dazu. Es mag sein, dass es Menschen gibt, die alle Informationen über die Welt aus Social Media und ihrer Filterblase ziehen. Das blendet aber sowohl klassische Medien als auch den Kontakt zur Welt außerhalb von Bildschirmen ebenso aus wie die Serendipität, das zufällige und überraschende Finden von etwas Nicht-Gesuchtem. Als Prokrastineurin aus Überzeugung greift mir daher diese These etwas zu kurz. Auch vor dem Internet gab es Menschen, die sich ihre eigene lauschige, kleine Welt geschaffen und ihre Informationen maximal aus der Bildzeitung bezogen haben.
Netzwerk und Filterblase sind also nicht dasselbe, aber sie bedingen einander. Auf welche Weise ich mein Netzwerk gestalte, damit bestimme ich meine Filterblase. Formiere ich mein Netzwerk nur aus Tennis spielenden, in der Stadt und vegan lebenden Menschen, die Internet-Heavy-User sind, wird meine Filterblase anders aussehen als ein Netzwerk mit sehr heterogener Zusammensetzung. Ich persönlich habe etwa eine recht weite (oder große?) Filterblase, weil ich viele unterschiedliche Interessen und ein sehr vielfältiges Netzwerk habe – online wie offline.
Das Wachsen des Netzwerks bringt eher andere Nachteile mit sich, wie etwa die Tatsache, dass man nicht mehr alles mitbekommt oder manchmal auch zuviel … Davon abgesehen finde ich es gerade für meine Arbeit hilfreich, auch mit Menschen zu sprechen, für die Internet höchstens eine Rolle als Telefonbuch und Gelegenheitskaufhaus eine Rolle spielt. Sie lehnen das Internet gar nicht ab, benötigen es nur nicht. Andere benötigen es, aber sie leben in Regionen, wo das Internet nur in homöopathischen Dosen ins Smartphone tröpfelt. Deutschland ist bekanntlich nicht so super in Sachen schnelles Internet …
Meiner Ansicht nach hat jeder die Gestaltung seines Netzwerks und damit seiner Filterblase in der Hand. Wenn man das Gefühl hat, dass im Netzwerk etwas fehlt, sollte seine eigene Filterblase durch den Ausbau dieses Netzwerks weiten. Es ist möglich. Kostet Zeit? Jau. Zahlt sich aber langfristig aus: durch fruchtbaren Austausch, kritische Auseinandersetzungen, stetes Hinterfragen und ungewöhnliche Kooperationen.
Mich stört an den kritischen Meinungen zur Filterblase, dass damit automatisch der Wert eines Netzwerks verkannt wird. Auf der einen Seite heißt es immer, dass Social Media ohne den Aufbau eines Netzwerks nicht funktioniert, Geben und Nehmen, Dialog, Influencer und so weiter. Auf der anderen Seite wird das Netzwerk offenbar umso weniger geschätzt, je vertrauter es wird. Die oftmals mühsam aufgebauten Beziehungen werden nicht gepflegt, weil die anderen, die unbekannten Leute auf der anderen Seite des Zauns viel interessanter wirken. Dieses Verhalten kennt man ansonsten doch vor allem von Telekommunikationsunternehmen, die neue Kunden mit funkelnden Zückerchen locken, während die bestehenden Kunden auf der Magerweide geparkt werden. Also:
Liebt Euer Netzwerk!
Das hat nicht direkt etwas mit Flausch und Zuckerwatte zu tun, sondern dient letztlich auch Euren unternehmerischen Zielen.
Es geht um Reichweite.
Bei allem Pochen auf qualitative Erfolgskriterien kann vermutlich niemand verhehlen, dass man auf die quantitativen Werte schaut: Likes, Shares, Retweets oder Favs zeugen davon, dass Beiträge in die Welt hinausgereicht werden. Natürlich sollte man die Zahlen einordnen, sie in einen realistischen Zusammenhang setzen (z.B. Größe einer Nische oder Vergleichszahlen von ähnlichen Inhalten) und sich ansehen, wer da geteilt oder geliket hat.
Sind Empfehlungen aus dem Netzwerk weniger wert die von Unbekannten? Mumpitz! Ganz im Gegenteil: Wer sich geduldig und aus Überzeugung ein Netzwerk mit Leuten aufbaut, die ähnliche Interessen vertreten, erhöht die Wahrscheinlichkeit, durch ihre Unterstützung mögliche Kunden oder Mitstreiter zu erreichen.
Es geht um Sichtbarkeit.
Beiträge von Menschen (und Marken), denen man sich verbunden fühlt, nimmt man im Stream eher wahr. Das ist schlicht eine Frage von Wiedererkennung, Orientierung und Sympathie. Trifft man auf eine Menschenmenge, hält man Ausschau nach bekannten Gesichtern. Herdenbildung. Menschen sind so. (Gut, oder man flüchtet lieber. So sind Menschen auch.)
Wenn man auf die Güte der Inhalte dieser vertrauten Menschen (oder Marken) vertrauen kann, teilt man diese Beiträge gern oder schenkt ihnen anderweitig Aufmerksamkeit. Das ist ein Grund, warum sich der Aufbau eines starken Netzwerks empfiehlt – und einer wohlgesinnten Community, die wiederum ihrerseits darauf vertrauen kann, dass sie mit bereichernden Inhalten versorgt werden.
Hat man verloren, wenn man fürs eigene Netzwerk sichtbar ist? Kokolores. Sichtbarkeit im Netzwerk trägt zur Glaubwürdigkeit bei, eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau von neuen Beziehungen und die Wahrnehmung von Angeboten.
Es geht um Relevanz.
Gut, wer möchte seine Inhalte schon als irrelevant abgetan wissen? Relevanz der Inhalte sind also ein wichtiges Ziel in Social Media. Ob nun Texte, Bilder oder Filme: diese Inhalte führen ebenso zum Rückschluß auf die Relevanz der Marke wie der Umgang mit dem bestehenden Netzwerk und neuen Kontakten. Gerade bei der Vielzahl der Inhalte, die täglich durchs Social Web schwirren, entscheidet oftmals das Vertrauen, ob man seine Zeit fürs Lesen, Ansehen, Verstehen und vielleicht Teilen, Kommentieren oder Liken investiert. Manchmal genügt schon die Solidarität zu einer Person oder Marke, um diese mit einem Like oder Fav zu bekunden. Man nennt das gemeinhin auch Vertrauensvorschuss. Sichtbarer Zuspruch bleibt es.
Werden Inhalte also automatisch entwertet, weil das Netzwerk sie als relevant empfindet? [Ich gucke einfach nur vielsagend.]
Es geht um Konversion.
Wer Social Media für ein Unternehmen oder eine Institution benutzt, unterliegt selbstverständlich anderen Zwängen und Bedingungen als Privatnutzer. Irgendwann kommt ein Hüter von Finanzen und Personalressourcen um die Ecke und fragt, was das denn alles bringt, dieser Klimbim mit Social Media. Klar. Letztlich drehen diese Ziele sich um die große Frage der Kostensenkung oder Umsatzsteigerung.
Was um Himmels willen haben uns also die Römer, ähem, diese Dependancen und Ausflüge im Social Web gebracht? Hierüber sollte man sich Gedanken machen, bevor man sich mit dem Pochen auf Ziele wie Kundengewinnung oder Produktvermarktung in die Bredouille bringen lässt.
Wenn sich zum Beispiel bei einem Museum herausstellt, dass im Netzwerk viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus anderen Museen sind: Ist das Engagement in Social Media demnach vergebliche Liebesmüh? Oder sind andere Kulturarbeiter nicht nur mögliche Besucher, sondern auch wichtige Empfehler? Von der stärkeren Präsenz von Kultur im Verbund mal ganz abgesehen, die allen Beteiligten zugute kommt – weil sie dem Thema Relevanz verschafft?
Ein gutes Netzwerk ist meiner Ansicht nach mit das Wertvollste, das man durch Social Media erreichen kann. Einen praktischen Nebeneffekt hat: Man macht sich plattformunabhängig. Denn ein gutes Netzwerk findet sich nicht nur rasch auch bei anderen Diensten wieder, sondern funktioniert auch außerhalb aller Bildschirme.
Zur Reizblase Twitter empfehle ich übrigens sehr den Blogbeitrag von Marc Lippuner.
Die Ranpirsche ans eigentliche Thema führt vielleicht erst dreimal um selbiges herum, aber okay. Solange die Argumentationskette in sich geschlossen ist und nachvollziehbar bleibt ist das kein Problem. Im Gegenteil, Wichtiges und (noch mehr) Unwichtiges im Snack-Format gibt es wie Sand am mehr. Schön also, wenn mal wieder ein (guter) Gedanke episch entwickelt wird. Danke Frau Ladewig.
PS
Eine ketzterische Frage habe ich aber noch: Lieben Sie Ihr Netzwerk auch?
Lieber Herr Last,
genau aus diesem Grund hsbe ich es geschrieben. Ich habe ein wunderbares Netzwerk und ich bemühe mich, geschätzte Kollegenfreundinnen oder kreative, besondere Projekte nach Möglichkeit zu unterstützen – ob online oder offline. Aus meinem Netzwerk heraus sind Freundschaften und Projekte entstanden.
Insofern freue ich mich auch sehr, einen großen Teil meines aktiven Netzwerks nächste Woche in Berlin zu sehen.
Passend dazu gab es in der aktuellen WIRED-Kolumne einen guten Beitrag zum Thema Filterblase (über den Tweet von @punktefrau kommt man an den im Member-Bereich verorteten Text: https://twitter.com/punktefrau/status/593092787849064448).