Vor einigen Wochen machte ich mich auf zum Kunstpilgern: Das Paradies auf Erden. Drüben bei den Herbergsmüttern zog ich ein Resümee mit einer Ableitung für Kulturorte. Und in meinem Denkarium erscheinen nach und nach Beiträge aus Sicht der Reisenden. Als nächstes wird dazu in dieser Woche ein Artikel über das Kloster Kamp erscheinen – quasi das Überraschungsei unter den Kunstpilgerstätten.
Als Social Web Ranger stellten sich mir viele Fragen: Wer hatte die Idee, wie kam es von der Idee zur Umsetzung, wie erfolgte die Auswahl der Orte und Reisenden, wer war Zielpublikum der Aktion und welche Ziele wurden mit Kunstpilgern verfolgt? Glücklicherweise konnte ich Alissa Krusch von der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und Paul Laarmann vom Tourismus NRW e.V. ausquetschen, die für das Projekt Kunstpilgern von der Idee über die Umsetzung bis zur Auswertung zusammen mit Jens Nieweg veantwortlich sind.
Manchen kommen die Ideen beim Duschen, anderen in der Kneipe. Wie und wo ist die Idee zum Kunstpilgern entstanden?
Paul: Die Zusammenarbeit von Tourismus NRW e.V. und der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen liegt ja schon namentlich nahe und wir pflegen tatsächlich gute Kontakte zueinander. In diesem Jahr hat sich endlich die Möglichkeit einer Zusammenarbeit ergeben. Bei einem ersten Treffen haben wir überlegt, ob wir etwas zur großen Miró-Ausstellung oder zu THE PROBLEM OF GOD machen wollen.
Alissa: Wie Paul schon gesagt hat, wir haben eine ähnliche Spezialisierung in Bezug auf die Kulturkommunikation mit digitalen Medien. Auch wenn es bei NRW Tourismus vorwiegend um touristische Perspektiven geht und wir als Museum mit einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Zielgruppen kommunizieren, sind wir uns in unserem Ansatz und unseren Möglichkeiten sehr ähnlich. Und daraus wollten wir etwas entwickeln. Unser erstes Gespräch drehte sich um den „Kulturblogger als solchen“ – wenn es denn so etwas gibt.
Paul: Ich habe dann stark für THE PROBLEM OF GOD plädiert, weil nur dieses Thema die Öffnung des Projekts für andere Institutionen im Land und somit auch die Idee von Reiserouten ermöglichte. Als Kulturtouristiker haben wir eine Vogelperspektive auf ganz Nordrhein-Westfalen und können sozusagen „metakuratorisch“ einzelne Ausstellungen unter verschiedenen Aspekten verknüpfen, größere Geschichten erzählen und unterschiedliche Landesteile auch im Sinne unserer touristischen Aufgabe miteinander verknüpfen. Irgendwann hat es dann „Plopp“ gemacht und der Hashtag #Kunstpilgern war geboren, der sich dann festgesetzt hat.
Alissa: Die Themen, die unsere Ausstellung berührt, also wie sich religiöse Motive in der Kunst wiederfinden und fortschreiben, sind sehr aktuell. Schon mit den ersten Ankündigungen über dieses Projekt haben wir in den Medien und Netzwerken ein großes Interesse und eine Dialogfreude beobachtet, die außergewöhnlich war. Im Brainstorming haben wir schnell, gemerkt, dass man das Thema tatsächlich weiterspinnen kann. So ist Kunstpilgern entstanden.
Paul: Mir war wichtig, dass wir die Reise der Multiplikatoren nur als ein Element in eine Kampagne einbetten, die für uns ganz unterschiedliche Ziele hat: Zum einen die Schaffung neuer Reise- und Ausflugsanlässe, zum anderen der Ausbau unserer Kooperationen mit Partnern aus der Kultur, die PR-Wirkung für unseren Verband, Sammlung von Erfahrungen kulturtouristischer Leistungsträger und Selbstaneignung neuer Tools (Pageflow, SurveyMonkey etc.) und Kompetenzen.
Ideen sind schön, machen aber viel Arbeit (frei nach Karl Valentin): Wieviel Zeit verging von der Idee zur Umsetzung – und was gehörte eigentlich alles dazu?
Paul: Das erste Protokoll ist auf den 17. Juni datiert, seitdem arbeiten Jens, Alissa und ich kontinuierlich parallel zu unseren anderen Aufgaben an dem Projekt. [Anmerkung von Wibke: Wow. Das habt Ihr aber flott eingetütet!] Eigentlich hatten wir uns fest vorgenommen, die Zeit, die wir in das Projekt stecken, ordentlich zu erfassen. Aber dafür fehlte am Ende natürlich: die Zeit. Zu den Aufgaben, die wir bei Tourismus NRW e.V. im Rahmen unserer Arbeit für Kulturkenner.de übernommen haben, gehörten: Entwicklung der Idee, Auswahl und Erzählung zu den Orten, Entwicklung von Pageflow & Flyer, Gestaltung und Umsetzung des Auswahlverfahrens, Projektkommunikation mit allen 39 beteiligten Institutionen und mit den Tourismus-Akteuren, Organisation & Betreuung der ersten drei Tage der Testreisen und den ganzen lustigen Verwaltungskram.
Alissa: Für die digitale Kommunikation der Kunstsammlung war Kunstpilgern ein Baustein eines größeren Pakets, von daher war unser Part neben Organisation und Abstimmung auch, wie wir das Projekt integriert kommunizieren. Wir haben uns überlegt, an welchen Stellen wir Kunstpilgern in unsere Medien aufnehmen können, so hat unser Volontär Deniz Elbir eine Vorstellung aller Pilger für unser Online-Magazin #32 geschrieben.
Am dritten Tag der Reise fand unsere Pressekonferenz zur Ausstellung statt. Auf der Piazza haben wir den #Kunstpilgern Feed gezeigt und damit auf einer ganz anderen Ebene auf das Projekt aufmerksam gemacht. Da alle Gruppen am Eröffnungstag in Düsseldorf zusammen gekommen sind, war für uns die Planung des Finaltags im K21 die Hauptaufgabe. Besonders toll war, dass sich unsere Kuratorin Isabelle Malz bereit erklärt hat, kurz vor der Eröffnung am Abend mit immerhin rund 850 Gästen für die Gruppe noch einmal extra die Ausstellung zu öffnen und eine Führung anzubieten.
Ihr habt einen Schwung Testreisende zum Kunstpilgern geschickt. Ich gehörte dazu. Was mich natürlich auch vor diesem Hintergrund interessiert: Welches Zielpublikum hattet Ihr vor Augen mit dem Kunstpilgern? Und was waren Eure Kriterien für die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer?
Alissa: Wir sind von Museumsseite sehr offen daran gegangen: Wen gibt es im Netz, der sich für unsere Themen interessiert und darüber schreibt, fotografiert oder sich kreativ auseinandersetzt und Lust hat, sich auf dieses Experiment einzulassen? Daraus ergibt sich das Publikum. Ein gewisses Verständnis von Kultur und Religion haben wir vorausgesetzt, ebenso die Bereitschaft, sich ernsthaft diesem komplexen Thema zu nähern. Ein fundierter Kunst-Background war jedenfalls keine Bedingung.
Paul: Uns war wichtig, dass wir keine Bloggerreise organisieren, sondern tatsächlich Multiplikatoren erreichen, die aus ganz verschiedenen Kontexten kommen und die auf verschiedenen Kanälen in ganz unterschiedlicher Form kommunizieren. Wir waren sehr dankbar, dass wir durch das Engagement des Kulturministeriums kurzfristig in der Lage waren, acht und nicht, wie zunächst geplant, vier Teams loszuschicken, um ein so schönes Mosaik von Eindrücken zu erzeugen, wie es sich noch immer in unserem Content-Feed widerspiegelt.
Die halbe Museumswelt erzählt was von Audience Development – wir haben versucht, dieses Schlagwort zumindest in Ansätzen auch bei diesem doch anspruchsvollen Thema umzusetzen. Wobei klar ist: Wir konnten nur aus den 69 seriösen Bewerbungen wählen, die uns erreicht haben.
Ich glaube an die Notwendigkeit von Offenheit in solchen Prozessen. Natürlich hatten wir alle ein paar Hilfskriterien, die letztlich auf eine Mischung aus Qualität der Inhalte und Popularität hinausliefen, aber letztlich haben wir wirklich versucht komplementär zu besetzen: jung & alt, Profis & Neugierige, Video & Text etc. Was dabei herausgekommen ist, sieht man ja jetzt.
Welche Erwartungen, Ziele oder Hoffnungen hattet Ihr?
Paul: Bei einem Erstling wie diesem war es sehr schwer quantifizierbare Ziele zu definieren. Ich habe mir ganz platt gute Inhalte (Marketingdeutsch: „Earned Content“) gewünscht und eine stärkere Vernetzung von Tourismus NRW sowohl mit Kulturinstitutionen, als auch mit unterschiedlichen Social Media-Szenen. Bezogen auf die Gestaltung der Routen habe ich schon gehofft, dass sie in ihrer Andersartigkeit wahrgenommen werden und als Thema auch von anderen aufgegriffen werden.
Alissa: Meine „Mindesterwartung“ war, dass die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen mit dem Projekt ihre Sichtbarkeit im Netz erhöht und durch den Multiplikatoren-Effekt idealerweise Menschen erreicht, die noch nicht unsere Fans sind. Das Ziel war definitiv, dass wir die Teilnehmer neugierig machen wollten auf das was hier im Museum passiert, auch einen Blick hinter die Kulissen zulassen, der sonst nicht möglich ist.
Wir möchten ins Gespräch kommen und vielleicht einen längeren Dialog aufbauen. In den vergangenen zwei Jahren haben wir haben verschiedene Projekte im Digitalen entwickelt, dem Thema des Bloggens haben wir uns mit Kunstpilgern aber erstmals in einem größeren Zusammenhang gewidmet. Daher auch die Hoffnung, dass wir ganz viel für unsere weitere Arbeit lernen, vor allem über die Bedürfnisse und Wünsche der – wenn man so will – „neuen Zielgruppe“.
Wurde diese Erwartungen erfüllt? Oder kamen letztlich vielleicht sogar andere Erkenntnisse oder Ergebnisse dabei heraus?
Alissa: Einer der spannendsten Momente, den man sicher nicht vorplanen kann, war das Aufeinandertreffen der acht Gruppen bei uns im K21. Da sind noch einmal ganz eigene Dynamiken entstanden, die ich so nicht erwartet hatte.
Paul: Meine Erwartungen wurden in jeglicher Hinsicht erfüllt. Das Projekt hat mit dem Entstehen der Pilger-Metapher plötzlich eine große Dynamik bekommen, die wir so nicht geplant hatten. Ich finde es sind aus kulturtouristischer Sicht teilweise mustergültige Inhalte entstanden. Außerdem war die PR-Wirkung phänomenal: Es ist immer wieder erstaunlich, wie unglaublich stark aufs Digitale ausgerichtete Projekte auch Aufnahme in Zeitungen (Reichweite > 4 Millionen, Aufnahme des Themas durch dpa, BILD und in der WAZ Gesamtauflage) finden.
Im Kleinen: Wir haben unglaublich viel gelernt. Dieses Projekt ist in seiner Anlage mit Sicherheit ein Solitär, aber bei kommenden Projekten werden wir viele Dinge anders umsetzen. Auch unser Blick über das Land hat sich geschärft: Wir wissen jetzt exemplarisch, wo NRW gut dasteht und wo noch Vermarktungspotenzial besteht. Und nicht ganz unwichtig: Es hat unglaublich Spaß gemacht, die Routen zu entwickeln und die Touren zu begleiten!
Alissa: Auch unsere Erwartungen, die ich oben beschrieben habe, wurden definitiv zu 100% erfüllt. Wie sich ein Journalist auf einer Pressekonferenz verhält, was er benötigt und wie er arbeitet, wissen wir schon lange. Und nun wissen wir auch, wie sich die Institution Museum – der ja gern in Bezug auf das Digitale Behäbigkeit und Starre vorgeworfen wird – schlägt. In unserem Fall gar nicht mal so schlecht, finde ich. Für unser offenes WLAN habe ich z.B. viel Lob bekommen…
Welche Schlüsse zieht Ihr für dieses oder andere Projekte dieser Art?
Paul: Die anspruchsvollste Kür war mit Sicherheit die Testreise: Einige Missverständnisse und divergierende Erwartungshaltungen wären hier einfach durch ein noch besseres, frühzeitiges Briefing (in alle Richtungen) zu vermeiden gewesen. Ich persönlich bin auch ganz klar sensibilisiert für unterschiedliche Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen. Merke: Nicht jeder reist wie man selbst. Solche Projekte müssen aber von der Anlage her immer offen sein, ein Zuviel an Struktur und Vorgaben hemmt die Entfaltung, die man letztlich nicht gänzlich steuern kann.
Alissa: Wir fühlen uns auch bestätigt, dass der persönliche Kontakt vor Ort unersetzlich ist – übrigens ebenso wie in der Kunst die Begegnung mit dem Original. Mit Hilfe der digitalen Medien nähern wir uns aber vielleicht anders an, stellen andere Fragen. Und bekommen andere Antworten. Darüber hinaus: Für Projekte dieses Umfangs braucht man gute Partner, verlässliche Netzwerke und auch institutionelle Kontakte. Diese würde ich beim nächsten Mal gerne intensiver einbeziehen und auch mehr Raum für Gespräche schaffen.
Nun ist Kunstpilgern ja mit der Reise Eurer Kunstpilger-Gruppe nicht abgeschlossen. Wie geht es weiter?
Alissa: Im Museum bedeutet eine Eröffnung immer, dass wir uns schon bald dem nächsten Projekt widmen müssen. Dennoch läuft THE PROBLEM OF GOD ja noch bis 24. Januar. Wir werden Kunstpilgern weiterhin in die Kommunikation aufnehmen und sind gespannt, was noch entsteht. Außerdem möchten wir die Erfahrung intern dokumentieren und in unsere digitale Strategie einfließen lassen. In meinem Bereich ist es ganz wichtig, das gewonnene Wissen weiter zu geben und mit meinen Kollegen zu teilen – und damit auch dafür zu werben, dass wir so etwas noch einmal machen können.
Paul: Noch immer erreichen uns im Nachklapp alle zwei Tage neue Artikel, Videos und Fotos vom Kunstpilgern, insofern sind wir noch mittendrin. Ganz praktisch planen wir mit einigen Teilnehmern die Synagoge Bochum noch „nachzupilgern“, wir konnten sie wegen der Vorbereitung für das Jom-Kippur-Fest nicht besuchen. In der Winterausgabe des Magazins ArtMapp wird es zwei Artikel über #Kunstpilgern geben und auch unser Flyer wird beiliegen. Im Social Web werden wir den Hashtag in jedem Fall bis Ende Januar 2016 pflegen und unterstützen. Es gibt tatsächlich auch erste Überlegungen auch noch weitere Aktionen unter dieser Klammer zu organisieren.
Herzlichen Dank Euch beiden!
Von mir kommt auf jeden Fall auch noch ein Schwung Reiseberichte. Kunstpilgern hat mir persönlich sehr viel Freude gemacht – und auch neue Bekanntschaften, die ich gern vertiefen möchte. Außerdem freue ich mich darauf, was Ihr weiterhin ausheckt und habe Euch durch das Kunstpilgern und die Begegnungen und Gespräche sehr viel besser auf dem Schirm.
Alissa Krusch ist seit 2010 in der Kommunikationsabteilung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen aktiv. Für die drei Häuser K20, K21 und Schmela Haus war sie zunächst in der Pressearbeit tätig, seit Herbst 2013 leitet sie zudem den neu geschaffenen Bereich für Digitale Kommunikation. Ihr erstes Museumsabenteuer fand – neben freien Tätigkeiten für den HMKV Hartware Medienkunst Verein in Dortmund – in der Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum in Duisburg statt. Im Anschluss an ihr Studium der Medienwissenschaft und Kunstgeschichte war sie dort für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich und hat den Kulturberuf mitten in ihrer Ruhrgebietsheimat kennen und bis heute lieben gelernt.
Jan-Paul Laarmann arbeitet für Tourismus NRW e.V. unter anderem im Bereich Kulturkommunikation, in der Freizeit gibt er die Literaturzeitschrift „Richtungsding“ heraus. Bisherige berufliche Stationen führten ihn nach ausgiebigem Studium der Germanistik und Sozialwissenschaften unter anderem zur Ruhrtriennale und der Berliner Digitalagentur Creative Construction.