„Sie packen nun ein paar Sachen zusammen und begeben sich bitte sofort in die Notaufnahme.“
Nicht über Los. Keine viertausend Mark. Ins Krankenhaus. Diagnose: Diabetes. Mein Hausarzt sprach von dramatisch erhöhten Blutzuckerwerten, gab mir noch Hinweise auf Krankenhäuser, die in Frage kämen, ich unterschrieb ein Disease-Management-Programm und stand erstmal vor der Tür. Um mich herum das übliche Treiben im Viertel.
Ich hatte lange gewartet und schon vorsichtshalber die Verabredung zum Mittagessen mit Herrn Hoffmann abgesagt. Doch er war noch da und ich schnell hin. Was für eine Nachricht.
Diabetes.
Als sich Mitte August meine Sehstärke innerhalb von ein, zwei Wochen dramatisch verschlechterte, reagierte ich wie ein normaler Mensch: Ich gab die Symptome in die Suchmaschine ein. Diabetes? Das schloss ich gleich mal für mich aus, denn – so mein Kenntnisstand damals – entweder man bekam eine bestimmte Form von Diabetes als Kind oder eben im Alter, wenn man faul und gefräßig oder schwierig erkrankt ist.
Was tun? Mein Augenarzt war im Urlaub. Die Vertretung konnte nichts Auffälliges feststellen. Alles sehr seltsam. Um arbeiten zu können, besorgte ich mir auf kürzestem Wege stärkere Brillengläser. Selbst als ich kurze Zeit später einen unbändigen und kaum zu stillenden Durst entwickelte, nachts oft raus musste und mich immer erschöpfter fühlte, schaltete ich nicht. Auch mein Hausarzt nicht, wobei ich auch gar nicht sicher bin, wie viel ich ihm erzählt habe. Und wie dringlich. Es gab da noch eine andere Ursache, wegen der er mein Blut untersuchte und ich ein Medikament absetzte. Denn seit März nahm ich eins wegen schlechter Triglyceridwerte und hohem Blutdruck. Nur den Blutzuckerwert überprüfte er nicht.
Im Rückblick fallen alle Puzzleteile ineinander und es ergibt sich ein verblüffend klares Bild. Auch die immer trockenere Haut, die trockenen Augen, insgesamt das Gefühl, auszutrocknen, die schwindende Muskulatur, die Wortfindungsstörungen, die fehlende Konzentration und wachsende Gereiztheit, all das ergab jäh einen Sinn.
Es gab in den letzten ein oder vielleicht sogar anderthalb Jahren Gründe, warum ich mich womöglich nicht so lebendig fühlte wie gewohnt: das gewaltig wachsende Myom, wegen dem mir im Januar die Gebärmutter entfernt wurde. Vermutlich Wechseljahre mit Hormontumult. Der natürliche Alterungsprozess. Und aus dem Hinterkopf kräht der ewige Kritiker: Faul, du bist einfach faul und bequem geworden!
Von wegen.
Stattdessen war mein Körper in Not und tat, was er konnte. Was er zunehmend weniger schaffte. Ich riss mich für Arbeitseinsätze mühsam zusammen und saß danach starr vor Erschöpfung auf dem Küchenstuhl. Ich sah mich nicht in der Lage, von meinem schlechten Zustand zu erzählen, weder nahen noch fernen Menschen. Ich lag mir selbst im Weg. Zumindest so lange, bis ich hörte, dass mein Hausarzt für drei Wochen in den Urlaub entschwinden wird. Zu diesem Zeitpunkt war auch mir klar, dass es so nicht weiterging. Erstmals schilderte ich jemandem die dramatische Lage.
Am Vormittag des folgenden Tages nahm ich alle Kraft zusammen und machte für den Buchladen das monatliche Instalive. In der Aufzeichnung ist nichts wirklich Ungewöhnliches zu erkennen. Am nächsten Tag folgte dann die Ansage, mich umgehend in die Notaufnahme zu begeben. Der Blutzucker lag bei fast 500 mg/dl. Normal sind etwa 70-120 mg/dl. Der Langzeitblutzuckerwert, der den Wert der vergangenen 8-10 Wochen misst, lag bei 12,2 %. Gesunde haben einen Langzeitzuckerwert von vier bis sechs Prozent.
Der Tag endete für mich nach einer kleinen Odyssee von Krankenhaus zu Krankenhaus (mit dem Rad, übrigens gut für den Blutzucker!) und langen Stunden in der Notaufnahme im Krankenhausbett. Der Zugang war schwierig zu legen und brachte den Pfleger gehörig ins Schwitzen, weil meine Adern sich vor lauter Dehydrierung sprichwörtlich verzogen hatten. Über einen Tropf liefen in dieser Nacht vier Liter Flüssigkeit in meinen Körper. Die erste Erleichterung, als der große Durst nachließ.
Es war ein Samstag.
Bis zum Montag würde nicht viel passieren. Dann sei das Diabetesteam wieder im Haus, erfuhr ich. Zunächst mal ging es darum, meinen „reduzierten Allgemeinzustand“, wie es im Arztbericht stehen würde, zu verbessern. An diesem Wochenende wird mich die Nachricht erreichen, dass meine Frau Mutter ebenfalls ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Ich ahnte, dass wir uns nicht mehr wiedersehen werden. Was ich wusste: An diesem Tag beginnt ein neuer Lebensabschnitt.
Ich. Diabetes. Wie ist das möglich?
Ich wusste so wenig. Ich begann hier und da im Internet zu blättern. Mir wurde eine seriöse Quelle genannt, wo ich mich einlesen konnte: diabinfo.de. So ganz weiß ich gar nicht, was ich in den ersten Tagen tat. Ich hatte in meiner Panik einen absurd großen Stapel absurd dicker Bücher mitgenommen. Mein Sicherheitspaket. Die innere Unruhe indes verhinderte konzentriertes Lesen. Und dann waren auch meine Augen Jojos mit schwankender Sehkraft.
Was für ein großes Glück die Unterstützung durch meinen Mann war und ist. Ich hatte zwar haufenweise Bücher eingepackt, aber Dies und Das an Nützlichem vergessen. Außerdem landeten Tomaten und Gurken aus unserem Garten bei mir, die eine hochwillkommene Aufwertung der echt kargen Krankenhauskost werden sollten.
Im Krankenhaus (das St. Hildegardis in Lindenthal) waren alle ganz reizend zu mir. Ich hatte das Glück, mein Zimmer für mich allein zu haben. Und dann auch noch die Suite, wie ich sie nannte: mit Balkon und Blick auf die Krankenhauskapelle. Mit geringen Mitteln war das luftige Zimmer freundlich gestaltet. Und ich konnte am Tag wie auch in der Nacht alle Fenster auf Kipp und die Balkontür weit geöffnet halten. Durchatmen. Luft haben. Dem Draußen nah sein. Das war eine Wohltat.
Achteinhalb Wochen sind nun vergangen.
Schon. Oder erst?
Damit mir selbst bewusster wird, wie sich mein Leben verändert hat, muss ich schreiben.
Dies ist der Anfang.

Meine Güte was für eine Odyssee , und solange die Symptome „übersehen“, bzw ignoriert. Was diese Verdrängung angeht, und das Verschweigen eines nicht mehr funktionierenden Körpers, bei mir ist es ja eher die Psyche, das kenne ich nur zu gut.
Ich wünsche dir alles Liebe, und dass du schnell eine Ausgewogenheit in Ernährung und körperlicher Betätigung findest.
Ganz liebe Grüße Elke
Danke Dir, liebe Elke. Ich habe Diabetes Typ 1, eine Autoimmunerkrankung, meist genetisch bedingt. Im Unterschied zu Typ 2 hat Typ 1 nichts mit falscher Ernährung oder mangelnder Bewegung zu tun. Typ 1 ist nicht heilbar, Typ 2 schon.