Ich trete vor die Tür.
Jeder Körperteil, den ich aus der Haustür schiebe, bildet umgehend Eiszapfen. Auf den Straßen wenig Menschen. Das wird sich wohl ändern, wenn es zum Wochenende hin wärmer wird … Es ist schwierig: In der Stadt leben einfach viele Menschen auf wenig Raum. Und wenn nur ein Bruchteil von ihnen auf die Idee kommt, dass man doch jetzt einen Spaziergang machen und die Kinder lüften könnte, wird es prompt voll. Zumal es manchem an Phantasie mangelt. Man geht dann dorthin, wo man immer hingeht: an den Rhein und auf die Plätze. Und nicht in die stillen Seitenstraßen und auf weniger ausgetretene Pfade.
Doch, halt, nicht schon wieder Gedanken wälzen.
Mein Schritt ist heute morgen ohnehin leichter: Am Freitag füllte ich den wirklich unbürokratischen Antrag auf die NRW-Soforthilfe aus. Schon am Samstagvormittag erhielt ich digital den Bewilligungsbescheid. Bereits diese Woche soll die Beihilfe auf dem Konto eintreffen. Nachdem mir durch Corona die meisten Aufträge weggebrochen sind oder sie in eine ungewisse Zukunft verschoben wurden, ging mir der Allerwerteste ganz schön auf Grundeis. Und das bei gleichzeitiger Schockstarre. Wie das alles mal so werden wird, ist nach wie vor unsicher. Aber nun plagt mich akut keine existentielle Not mehr. Was den Kopf öffnet für weitere Überlegungen und Handlungen.
Alltag in einer Ausnahmesituation
Mir kann ja auch niemand erzählen, dass man natürlich wie gewohnt weiterarbeite und alles tippi-toppi gewuppt bekomme. Ich sehe Menschen in Kreativität ausbrechen, andere in Wut oder in Tränen. Manche verpuppen sich und laufen auf Sparflamme. Letzteres stelle ich bei mir fest. Mein Alltag hat sich nicht mal so sehr verändert. Nun ja, mehr oder weniger. Wie twitterte @ne_ratte so treffend:
„Du bist doch als Freiberufler eh Homeoffice gewohnt.“ „Ja. Aber mit Aufträgen.“
— ’ne Ratte (@ne_ratte) March 25, 2020
Arbeitsalltag in einer Ausnahmesituation
Über das Arbeiten im Heimbüro kursieren nun sehr viele Artkel und Ratschläge: wie man arbeitet, wie man aufsteht, wie lange und wieviel man arbeitet, ob man effektiv genug ist, wie man mit Kindern, Hund und kleiner Wohnung siebenzwölfzig Dinge zugleich hinbekommt, was gegen Langeweile tun und nebenbei sollen alle sich und die Kinder weiterbilden, dies streamen und das, kreativ sein, backen, basteln, nähen und ein nützliches, funktionierendes Mitglied der Gemeinschaft sein. Ohne durchzudrehen. Haha.
Während um uns herum eine diffuse bis konkrete Bedrohungssituation herrscht und Stresshormone durch Körper pulsen. Natürlich. Ich ziehe meinen Hut vor allen, die in diesen Tagen ihren Alltag und ihr Geschäft auf die Reihe bekommen.
Im Gehen löst sich manches.
Es ist so verstörend wie beruhigend, dass Mutter Natur unbeeindruckt ihren Geschäften nachgeht. Ja, die ist so Eine, die alles tippi-toppi gewuppt bekommt. Wenn man sie lässt und nicht mit Schweinigeleien in ihrem Tun stört. Die Bäume hängen voller Rüschen. (Nur die Insekten fehlen. Noch?)
Köln nudelt den Frühling wie in jedem Jahr zügig durch.
Während ich heute morgen staunend auf Schneebilder aus der Eifel starrte, werden die Kastanien schon grün. Ihre jungen Blätter sehen aus, als habe jemand nasse Putzlappen an die Luft gehängt. Die Meisen sehe ich nur noch mit irgendwelchem Nistmaterialgebimsel im Schnabel. DJ Specht ist wieder am Werk: Auch in diesem Jahr hämmert ein Specht wieder begeistert auf einer Straßenlaterne herum. Sein Hämmern ist weithin hörbar. Man fragt sich –den Specht kann man indes nicht fragen. Er hämmert. Drrr. Drrrrr.
Die Nachbarschaft grüßt Norbert.
Hallo, Norbert! Währenddessen passiere ich ein Rudel Mülltonnen. Alles, was sich dieser Tage rudelt, fällt direkt ins Auge. Ich komme an einer Bank vorbei, auf der Paris und die Niederlande ausgesetzt wurden. Und die Litfaßsäulen mit immer mehr Leerraum sind wohl ein Fall fürs neue Coronarchiv:
Hier sammeln wir ab sofort Eure Erlebnisse, Gedanken, Medien und Erinnerungen zur „Corona-Krise“. Warum? Weil im Zuge dieser Pandemie gerade sehr viel in und um uns herum passiert – und obwohl sie uns alle angeht, ist doch jede*r ganz unterschiedlich davon betroffen. Diese Diversität möchten wir durch eine Dokumentation der Gegenwart einfangen und für die Nachwelt erhalten.
Gute Sache. Vielleicht hilft ein solches Projekt, die Tragweite zu begreifen, mit der unser Alltag gerade auf den Kopf gestellt wird.
Ich betrete das Haus, die Wohnung, die Küche.
Denn am Küchentisch ist momentan mein Heimbüro, während der Mann mit seinem größeren Gerät am Schreibtisch residiert. Die Heimbürogemeinschaft ist eine schöne Begleiterscheinung in dieser Zeit. Manchmal erschrecke ich mich zwar, dass da noch jemand über Tag in der Wohnung ist. (Also, außer der Hausmaus.) Aber es ist doch ein sehr angenehmer Schrecken.
Zur Einstimmung für diesen Montag ist mir nach herzhaftem Quatsch. Julie Andrews im Dirndl, jodelnd mit einem Geißbock. Ihr ahnt es vielleicht: Das kann nur die Muppet Show sein.
P.S. Eine Ansprache
Bestellt im lokalen Buchhandel, wenn Ihr Bücher, Hörspiele, Tonies oder Spiele braucht. Die meisten liefern. Viele verkaufen auch E-Books. Sie beraten Euch, empfehlen Lektüre oder Spiele. Sie packen Päckchen für Menschen in Quarantäne oder versenden Eure Geburtstagsgeschenke. Wenn Euch keine Buchhandlung in Eurer Nähe einfällt: genialokal.de kann eine Lösung sein.
Es kann sein, dass nicht alles so bequem und technisch ausgefeilt ist wie bei Amazon. Womöglich braucht es mehr als einen klick. Vielleicht führt ein Anruf sogar schneller zum Ziel. Aber, verdammte Hacke, vielleicht wird momentan auch verständlicher, warum es sinnvoll ist, bei Unternehmen zu kaufen, die Steuern zahlen, mit denen u.a. Krankenhäuser finanziert werden. Unternehmen, die Euer Viertel oder Euren Ort beleben, wo Menschen aus Eurer Nachbarschaft arbeiten, wo Eure Kinder irgendwann auch wieder ein Schülerpraktikum machen können und die zukünftig auch wieder lokale Sportvereine unterstützen. Wenn ich in diesen Tage noch einmal lese, dass das eine Mitleidsnummer sei und es doch genüge, dass man den eigenen Service herausstelle, RASTE ICH AUS.
Niemand muss irgendwo aus Mitleid kaufen. Aber aus Klugheit im lokalen Handel kaufen, das wär’s.
Das war nun eine Ansprache, oder? Ja, jede*r hat eine frei, habe ich gehört*. Aber es musste raus. Und sicher ist mir klar, dass viele von Euch bereits genau das tun, im lokalen Handel kaufen, die Gastronomie in der Nachbarschaft unterstützen. Die reißen sich nämlich gerade alle Beine raus, um ihre Services nochmal zu verbessern. Wie etwa Dorothee und ihr Team.
*erfunden
Ach ja.
Sir Patrick Stewart liest übrigens jeden Tag ein Sonett von Shakespeare. Viel Liebe dafür!