Ich trete vor die Tür und stehe im April.
Vermutlich sind ringsum in der Eifel und im Sauerland die Bäume so gerade mal eben in Knospe. In Köln zeigt sich schon viel junges Grün. Alles mögliche blüht. Die Vögel sind äußerst geschäftig; es ist ein einziges Singen, Trällern, Rufen und Umherfliegen. Man hat Dies und Das im Schnabel. Ich halte ein kleines Zwiegespräch mit einem etwas zerzaust wirkenden Amselmann, während seine Gattin im Hintergrund einen Wurm aus der Erde zupft.
Die Krähe indes merkt misstrauisch auf, als ich stehenbleibe, um sie zu beobachten. Beobachten funktioniert bei Rabenvögeln höchstens aus dem Augenwinkel. Fixiert man sie, bemerken sie das sofort und unterbinden diesen Übergriff durch Abgang in die Kulissen. Natürlich habe ich, wie jeden Tag, mein Fernglas vergessen. Dä.
Das Halstuch nehme ich gleich wieder ab.
Klage ich zuletzt noch über die Kälte, begebe ich mich heute in der leichten Übergangsjacke auf den Gang ins Heimbüro. Da kürzlich der Reissverschlussnupsi meiner Winterjacke mit einem beherzten Hui in die Freiheit sprang, bin ich doppelt froh über die wärmenden Sonnenstrahlen. Kaputte Reissverschlüsse sind dieser Tage plötzlich keine Bagatelle mehr.
Hier in der Innenstadt ist man schrecklich verwöhnt, denn so gut wie alle Läden des täglichen Bedarfs sind bequem zu Fuß erreichbar. Das sind sie nach wie vor. Aber ob sie geöffnet haben, wie lange, wann und wofür, das gilt es herauszufinden. Bei unserer bevorzugten Schneiderin, die auch eine Reinigung betreibt (oder ist es umgekehrt?), gab es zuletzt Abholzeiten. Nun aber nutzt sie diese Zeit, um zu renovieren. Nun ja, die Winterjacke kann warten.
Es ist Tag des Sperrmülls im Viertel.
An den Rändern der Möbeldünen findet man die Ausläufer: Patricia Highsmith wurde vor die Tür gesetzt. Irgendjemand hat den Sommer abgesagt. Bißchen früh, vielleicht.
Die Luft ist so unfassbar klar.
Ich kann mich kaum sattsehen. Und atmen lässt es sich auch. In Köln! Am Rhein treffe ich zufällig auf Peter und Greta. Letztere im kurzen Flauschmantel, den ich begeistert durchkrabbele. Wir besprechen kurz, worüber wir morgen im Podcast sprechen. Es wird tierisch. Als ich weitergehe, seufze ich bei mir.
Meine Zeit als Notbewegungshelferin fürs weiße Riesenpferd ist vorbei. Nach drei Wochen werden die Notbewegungshelferinnen einmal komplett durchgewechselt. Zuletzt gab es im Stall allerdings einige unschöne Begebenheiten, weshalb ich Groll in mir fühle. Nun ja. Diese Krisenzeit ist eine Herausforderung für alle. Und mitunter führt sie einen vielleicht zu Erkenntnissen, die man nicht bestellt hat. Leben eben.
Rrrring!
Noch während ich hier schreibe, geht das Telefon. Ein Gespräch, das mir wieder einmal bewusst macht, wie rasch sich in den letzten Wochen unser aller Alltag gedreht hat. Und wie wenig sich derzeit darüber sagen lässt, wie es weitergeht. Nun schreibe ich Angebote in zwei Varianten: eine für digitale Workshops, eine für Workshops nicht-digital.
Von Hundert auf Null
Ich erinnere mich daran, wie aufgedreht ich vor zwei oder drei Wochen war, wie müde dann in der letzten Woche. Nun hat sich so etwas wie Krisenalltag eingestellt. Das Geschehen kommt mir nach wie vor surreal vor, aber das Surreale ist nun mit der Realität verwachsen. Der Gedanke, an einem historischen Weltereignis teilzunehmen, ist nach wie vor seltsam, aber da.
Nachher werde ich rausgehen und alle Hinweisschilder der Läden und Restaurants fotografieren, auch das unserer Schneiderin. Es sind historische Dokumente fürs Coronarchiv. An dieser Stelle möchte ich übrigens auf diesen tragischönen Text meines Kollegenfreundes Stefan Geyer hinweisen. Zeiten sind das. Und wir sind ihre Zeug:innen. Aus dem Grund fotografiere ich auch, wie der Express aus dem Coronavirus flotterdings ein Lifestyle-Thema macht.
Alles ist erleuchtet
Bevor ich meinen Schritt wieder heimwärts lenke, erfreue ich mich noch an Bildern aus der Kreidezeit und an den licht leuchtenden Blättchen der Bäume im Park. Ein Vater führt seine sehr kleine Tochter spazieren. Sie wirken beide bedrückt. Ich wünsche ihnen, ich wünsche uns allen wieder unbekümmertere Zeiten.
Das Telefonat vorhin beendeten die Anruferin und ich mit der Versicherung, dass wir das gemeinsam durchstehen. Und auch wenn manche Erlebnisse in den vergangenen drei Wochen vom Gegenteil zeugen, so erlebe ich doch überwiegend sehr viel Solidarität und Entschlossenheit zum Gemeinsinn.
Apropos Entschlossenheit
Die Blaumeisen haben den Filz entdeckt, den ich auf den Feuerbalkon gelegt hatte. Eine dampfte soeben ab, mit einem Schnabel voll Filz.
Das Leben geht weiter. Einfach so.
P.S.
Die sehr gemochte Avalon Jazz Band hat ein feines Corona-Cover von Duke Ellington’s Don’t Get Around Much Anymore gemacht.