Ich trete vor die Tür.
Das Licht ist fahl, grau der Himmel. Nach Herbst rieche es schon, meinte meine Frau Mutter gestern am Telefon. Ich wiegelte es ab, doch – ich höre seit ein, zwei Tagen keine Mauersegler mehr. Ist ihr Zirpen wegen des unwirtlichen Wetters verstummt oder sind sie schon abgereist? Seltsam still ist es. Ferienzeit in der Stadt. Kein bunt gekleidetes kleines Gemüse auf dem Weg in Kindergarten und Schule. Weniger Menschen, die am Morgen in ihre Büros eilen.
In den Straßen findet sich Ausgeräumtes. Es ist Monatswechsel und diverse Umzüge spülen ihr Strandgut an die Wegesränder. Und so ist heute wohl Tag der offenen Schranktür.
Am Anleger ist was los.
Eine ordentliche Reihe von Rollkoffern, ein unordentliches Häuflein von Menschen gehobenen Alters, ein stumm im Strom wippendes Flusskreuzfahrtschiff. Man trägt legere Freizeitkleidung und verbreitet die müde Missmut von Wartenden. Was ist das Gegenteil von Vorfreude?
Auch auf dem Rhein selbst ist in diesem Moment was los. Ein Schiff rheinaufwärts, eins rheinabwärts. Vom Ufer aus sieht es immer so aus, als seien das stets sehr knappe Begegnungen. So können sich die Herrschaften von Schiff zu Schiff bequem grüßen. Hände heben sich, man ahnt ein Nicken.
In den Hochbeeten am Rheinufer halten die Bäumchen in die Luft, was sie in den letzten Wochen hergestellt haben: Die Zierapfelbäume hängen prall voller Früchte. Dazwischen stehen Bäumchen mit geheimnisvoll verpacktem Saatgut. Der Erfindungsreichtum von Mutter Natur begeistert mich zuverlässig.
Nein, herbstlich ist es noch nicht.
Aber nach Sommer fühlt sich das auch nicht an. In diesen Tagen werden mir von digitalen Diensten Erinnerungen reingereicht. Darunter sind viele Erinnerungen an vergangene Frankreichreisen, so auch die mit dem Rad im letzten Jahr in den Osten von Frankreich. Vor einem Jahr begann nach langer Trockenheit eine Hitzewelle und wir waren oft bei über 40 Grad unterwegs. Ich weiß ja. An die extremen Ausschläge beim Wetter werden wir uns gewöhnen müssen, selbst wenn wir als Menschheit trotz der gegenteiligen Bestrebungen gewisser Knilche (w/m/d) in Politik und Wirtschaft noch einigermaßen die Kurve bekommen sollten.
Womöglich kommt gerade schlicht vieles zusammen. Wie Mehltau liegt die fürchterliche Katastrophe in unserer Region auf allem, dazu die Sorge wegen der Pandemie und der Impfunwilligkeit zu vieler. Ich wünsche mir sehr, dass die Impfstoffe da landen, wo sie dringend erhofft werden und wo die Menschen solidarischer denken. Ja, dann die nahende Wahl … Es ist alles keine rechte Freude.
Die muss man sich suchen, um bei Verstand zu bleiben. Plötzlich liegt sehr viel Arbeit hier. Dieses „Machen wir dann nach meinem Urlaub” ist, wie überraschend, da. Innerlich klammere ich mich noch an die Tage im Périgord und in der Normandie. Wie konnten sie nur so rasch vorübergehen?
Es gibt Augenblicke, in denen eine Rose wichtiger ist als ein Stück Brot. (Rainer Maria Rilke)
Währenddessen komme ich am Institut für deutsch-französische Wirtschaft vorbei, wo beinahe zu allen Jahreszeiten eine der Rosen blüht, die an der Umrandung des Grundstücks ranken. Während in meinem Rücken die Autos auf der Rheinuferstraße vorüber brausen, versenke ich meine Nase in der rot leuchtenden Rose. Als ich mich abwende, sehe ich eine kleine Handwerkerkolonne, die gerade Gerüstteile ablädt und mich angrinst. Hoppla. Menschen. Und das hier! Lachen, winken, grüßen. Meine Wangen leuchten nun auch ein wenig rosenrot. Nu ja.
Auf der Hundewiese ist wenig los, als ich dort ankomme. Auf meinem Weg dorthin begegnete ich zwei bekannten Hundegesichtern: der rote Pudelmix ist frisch geschoren und trabt elastisch an mir vorbei, Freund Labrador nickt mir zu und seine Inhaberin grüßt. Allmählich kennt man sich.
Im Rosengarten treffe ich auf den Rosengärtner, der mit großem Gerät den Buchs in Form bringt. Demnächst stünde die Augustblüte an, meint er. Momentan wirken die Rosen etwas gedrückt, aber das sei nur eine Pause. Traurig sprechen wir vom Veedelsflaneur, der regelmäßig mit dem Rosengärtner beim Kaffee saß, dienstags gab’s Mohnkuchen, manches Mal war ich zu Gast und saß mit den Herren im Rosengarten. Nun heißt es, er sei gestorben. Ob das stimmt, versuche ich herauszufinden. Ach, ach.
Ich grüße die ersten Pilze, die ich im Agnesviertel sehe. Und dort, ein neues Sitzmöbel vor der Agneskirche. Nicht weit entfernt steht ein Dixi-Klo. Eine Guerilla-Aktion der Gemeinde, denn die Stadt kommt nicht aus den Puschen. Dabei braucht es hier unbedingt eine öffentliche Toilette. Nicht erst seit der Pandemie wird der öffentliche Raum um die Kirche herum als verlängertes Wohnzimmer benutzt. Und leider benutzen viele das Grün um die Kirche auch für ihre Geschäfte. Nun steht aus Notwehr ein Dixi-Klo vor der Kirche, in der Hoffnung, dass es benutzt und das Zeichen verstanden wird.
Immerhin gibt es nun wieder geöffnete Gastronomie. Die Außengastronomie ist stark erweitert worden. Wo vorher Autos standen, findet man nun Tische, Stühle und grüne Bäumchen. Wie wohl das tut. Ich passiere den Bücherschrank und sehe, wie jemand ein Buch herausangelt. Immer wieder schön. Das Büdchen. Der Bücherschrank. Warum der von diesen lästigen Elektrorollern umzingelt ist, ist mir indes ein Rätsel. Da wird wohl eine Nachricht an die Inhaber fällig. Denn für Menschen mit Rollator oder Kinderwagen sind sie ein Hindernis. Kurz prüfe ich, ob im Bücherschrank alles einigermaßen ordentlich ist. Eine*r der anderen Pat*innen scheint am Morgen schon dort gewesen zu sein. Gut.
Ich atme noch einmal durch und stehe schon vor der Haustür.
Wohlan.