Am vergangenen Mittwoch fand nach längerer Zeit wieder ein Twittwoch in Köln statt: »Das Ziel des Twittwoch ist es, Unternehmen, deren Mitarbeiter und Selbständige an die Digitale Transformation heranzuführen, voneinander zu lernen und sich untereinander auf Augenhöhe auszutauschen.« Fortan findet der Twittwoch wieder regelmäßig und mit thematischen Schwerpunkten statt. So ging es vor einer Woche um Buchbranche und digitale Transformation. Für diese durften Steffen Meier und ich antreten. Steffen widmete sich den Verlagen und begann bei der Buchbranche im Jahre 564 nach Gutenberg. Seinen Vortrag kann man hier bei Youtube nachholen.
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Eine typische Szene, nicht nur vor Ort, sondern auch im Internet.
Ich nutzte die Gelegenheit, am Beispiel einer Kölner Buchhandlung zu zeigen, wie sie den digitalen Raum erforscht und ihn nutzt. Aber auch, wie sie mithilfe von Netzwerken ihre Präsenz und Relevanz vor Ort sowie die Bindung zu ihren Kunden stärkt. Hier stehen ganz klar das Ladenlokal und der Kunde vor Ort im Mittelpunkt. Alles, was online passiert, ist additiv und ersetzt keine Aktivitäten im Laden. Auch wenn die Vorwürfe oft anderes vermuten lassen: der Buchhandel ist im Vergleich zu vielen anderen Sparten des Einzelhandels bereits sehr weit, nicht zuletzt angetrieben durch Amazon. Mir war es ein Anliegen, genau das an diesem Abend zu zeigen.
Wie eine Buchhandlung sich treu bleibt und zugleich die digitale Transformation beim Wickel nimmt
Natürlich gibt es Gegenbeispiele, keine Frage. Wie der Internetexperte William Gibson mal so schön sagte, ist die Zukunft zwar da, aber ungerecht verteilt. Meiner Meinung nach ist es aber an der Zeit, mal nicht zu zeigen, was aus unserer Sicht, nämlich der Sicht der digitalen Heavy User, alles Tolles möglich wäre. Sondern ein Beispiel aus der Praxis zu zeigen, eine Buchhandlung, die tut, was ihr im Alltag möglich ist – und die sich dabei treu bleibt. Besonders schön war es natürlich, dass Dorothee Junck, die Inhaberin des Buchladen Neusser Straße, anwesend war und am Ende viele Fragen beantworten konnte. Wobei …
Es war eine seltsame Stimmung an diesem Abend. Den Twittwoch erinnere ich eigentlich als fröhliche, aufgeschlossene Runde, in der man sich recht unvoreingenommen und neugierig anhört, wie Unternehmen mit Social Media und der Digitalisierung umgehen. Nun gab es meist auch wenige Diskussionen. Die größte Sorge galt dem Nachschub an Kaltgetränken und Naschwerk. Eine Art Klassentreffen für einen Abend.
Dieser Twittwoch war klar als Themenabend Buchbranche und digitale Transformation angekündigt worden. Erfreulicherweise fanden dadurch auch viele Neugierige den Weg zum Twittwoch, denen diese Veranstaltung bisher nicht geläufig war. Aber auch viele bekannte Gesichter aus der Kölner Social-Media-Szene waren da. Einige (wenige, dafür umso lauter) schienen jedoch vor allem gekommen zu sein, um ihre Vorbehalte gegenüber der Buchbranche bestätigt zu sehen. Mich beschäftigt das nach wie vor.
Ihr werdet alle stärbäääääään!
Ich tue mich schwer mit der Einstellung, alles Analoge in der Welt würde durch Digitales ersetzt werden müssen. Davon mal abgesehen, dass ich die Abhängigkeit von rein digitalen Lösungen für problematisch halte, ist das Streben nach einer totalen Digitalisierung von Kommunikation und Konsum an der Lebenswelt der meisten Menschen vorbeigedacht.
»Print stirbt! Bücher sterben! In zwanzig Jahren gibt es Euch sowieso nicht mehr! Das braucht kein Mensch mehr! Liest doch sowieso keiner mehr! Ihr seid überflüssig!« Ich erlebe immer wieder, dass Bücher (wie auch Kultur generell) und die Buchbranche Aggression auslösen. Warum ist das so? Lösen Bücher Angst aus? Das Buch als der Buhmann, der Digitaloschreck? Verlage sind böse, aber glücklicherweise bald sowieso alle tot? Selbst innerhalb der Buchbranche gibt es genügend Leute, die (gedruckte) Bücher ablehnen und ihnen eine Zukunft absprechen. Wie ich auch im Vortrag sage: wenn einem selbst etwas nichts bedeutet, kann man schmerzfrei darauf verzichten. Also, ich sage mal, dass der Turnschuh-Laden stirbt! Ich brauche nämlich keine Turnschuhe! Also braucht niemand die! Und wenn, dann soll man die doch online bestellen! Turnschuh-Läden sterben! Dä!einself!!
Ich fühle mich durchaus an die Programmpolitik der Öffentlich-Rechtlichen erinnert, wo Kultur im vorauseilenden Gehorsam als Quotenkiller gilt. Ob der gewaltige Zuspruch nach dem Kultur-Tatort neulich vielleicht einige Programm-Macher ins Grübeln gebracht hat? Ich kann es ihnen (und vor allem mir!) nur wünschen. Polarisation wird gern in Kauf genommmen, wenn es darum geht, ein gewisses Niveau zu unterschreiten. Eine Überforderung und damit vielleicht auch Anregung des Publikum wird hingegen ängstlich vermieden – oder peinlich berührt ins Nachtprogramm geschoben.
Elfenbeintürme in Digitalien?
Vielleicht sind auch die Vorstellungen von der digitalen Transformation überzogen. Für ein Startups mit einem klar digitalen Geschäftsmodell mag befremden, wie eine Buchhandlung augenblicklich im digitalen Raum agiert. Tja, willkommen in der wirklichen, weiten Welt. Wer ein Ladenlokal mit Kunden vor Ort hat, kann (und will) nicht mal eben alles digitalisieren. Es sei denn, man könnte, simsalabim, den Kunden auch gleich digitalisieren. Aber nein, der steht als sehr präsenter Mensch mit seinen Fragen und Erwartungen im Laden. Und darunter sind viele, die genau das schätzen, was eine Buchhandlung im digitalen Raum lediglich spiegeln kann: ein Ort, an dem man gern ist, wo man auf Leute mit ähnlichen Lesegelüsten trifft und an dem man sich besonders fühlen kann. Und aus dem man mit einem Beutel voller Bücher glücklich strahlend wieder auf die Straße tritt.
Ohne Frage verändern sich Medienkonsum und Medienangebot. Es gibt wahnsinnig unbewegliche Verlage, Autoren und Buchhandlungen. Übrigens auch sehr viele unbewegliche Leser … Aber es gibt eben auch Akteure in der Buchbranche, die das Medium Buch oder den Ort des Buchkaufs zu etwas Einzigartigem und Unersetzlichen machen. Es gibt keine einfachen Pauschallösungen. Der deutsche Buchmarkt ist nicht unmittelbar mit dem gern zitierten amerikanischen Buchmarkt vergleichbar (z.B. durch Bücherwagendienst, Buchpreisbindung, ein dichtes Netz aus Buchhandlungen). Was in fünf, zehn oder zwanzig Jahren sein wird, kann doch wirklich niemand von uns mit Sicherheit sagen.
Dass sich digitales Erzählen und die Vermittlung von Wissen gerade neu definiert: keine Frage. Ich bin sogar überzeugt davon, dass sich vergleichbar mit dem Film, der in der ersten Zeit quasi Theater abfilmte und erst mit der Entdeckung des Schnitts eine eigene Kunstform entwickelte, auch im digitalen Erzählen und Vermitteln von Wissen neue und eigenständige Formate entwickeln werden. Momentan sind Ebooks oftmals nur das Digitalisat eines gedruckten Buches. Es gibt aber bereits muntere Digitalverlegerinnen, die andere Wege beschreiten und experimentieren.
Aber dass wir künftig alle nur noch online einkaufen, miteinander reden oder lesen, halte ich persönlich für Unfug. Ich bin ja erklärtermaßen eine Vertreterin des Sowohlalsauch und schätze den digitalen Raum als eine Erweiterung der Möglichkeiten im Analogen. Ich möchte Digitalien gewiss nicht missen. Aber ich halte es für vermessen, das Digitale als das einzig Wahrhaftige zu proklamieren. Da klingen manche Aussagen regelrecht totalitär. Womit man mögliche Interessierte eher ausgrenzt anstatt sie einzubinden.
Insgesamt also ein leicht befremdlicher Abend. Es gab jedoch auch viele schöne Rückmeldungen und interessierte, freundliche Fragen im Nachhinein. Ja, und auch deutliche Solidaritätsbekundungen. Die Organisatoren waren wie immer grandios und wunderbar; ein herzliches Dankeschön dafür. Ich freue mich schon auf weitere Twittwochs, Twittwoche, Twittwochos!
Wer sich meinen Vortrag ansehen möchte, kann das bei Youtube tun.
Wer nur mal einen Blick auf die Slides werfen möchte, kann das bei Slideshare tun.
Und wer das Einstimmungsfilmchen sehen möchte, bitteschön, hier.
P.S. Ach ja, und dann kam die Frage, also, nein, eigentlich die störrisch hingeworfene Aussage, dass man ja mit Social Media doch sowieso kein Buch mehr verkaufe. Höhö. Ich blickte irritiert auf den jungen Mann, der das sagte. Hatte sich hier ein Verlagsdinosaurier verkleidet? Gab es einen Zeitsprung in das Jahr 2010? Vielleicht braucht es nochmal einen Twittwoch »Basiskurs Social-Media-Strategie« …
P.P.S. Nein, die Buchpreisbindung wurde nicht von den Nazis erfunden. Und Gutenberg war auch kein Verwandter von Guttenberg. Wer die Tweets #twcgn nachlesen möchte, kann das hier tun.
P.P.P.S. Es gab ja damals auch die Sache mit meiner Haus- und Hofbuchhandlung. Ja, es war diese Buchhandlung.
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