Ich trete vor die Tür und finde die Welt zerzaust vor.
Sabine hat kräftig an den Baumwipfeln gezupft und gerüttelt. Alles, was lose war oder nicht mehr ganz standfest, liegt nun am Boden. In den Nachbarschaftsgruppen drüben bei Facebook wird das Sturmwichteln gefeiert und Menschen suchen Abdeckungen für Roller und Grills. (Dass man Grills in einer Planengarage parkt, war mir neu. Nun.)
Die Birke am Oberlandesgericht hat es umgehauen. Ein Jammer. Am Rhein hinterlässt das Hochwasser erstaunliche Reste: Holzklötze und halbe Bäume. Dieser Strom, der meistenteils recht gemütlich in seinem Bett zu fläzen scheint, hat verdammt viel Kraft. Ich mag Wasser. Wirklich. Bäche, Flüsse, Seen, das Meer. Aber gern von außen. Mir ist diese Masse an Wasser stets etwas unheimlich. Und ich rede mir ein, dass wenigstens die Fische dort meine Abwesenheit zu schätzen wissen.
Zwischen Schreien und Schillern
Etwas unleidlich blicke ich auf das kleine Gemüse, das in Vielzahl die Agneskirche umzingelt. Im besten Gröl- und Kreischalter toben die Menschlein in Gruppen umher, manche werden ausgespuckt von den unvermeidlichen Elterntaxis. Menschen am Morgen ertrage ich doch besser in schweigender Einzahl. Aber das interessiert die Welt nicht im mindesten und sie hat auch Recht damit. In Kniehöhe braust ein gummibestiefelter Knirps auf seinem Roller vorbei. Er macht ulkige Fahrgeräusche und ein Vater prescht etwas atemlos hinterdrein. Meine Laune hebt sich.
Was für ein Morgen: Alle möglichen Jahres- und Tageszeiten schillern durcheinander. Sabine ist längst durch, aber das nächste Wetter rollt heran. Dort noch die Sonne, die schon leise wärmt. Im nächsten Moment ein eisiger Windhauch. Blätterrascheln. Was sich bis jetzt noch zäh an Baum und Strauch geklammert hat, hat Sabine sich gegriffen und in die Luft geworfen. Gleich daneben blicken die Gänseblümchen suchend umher: War nicht gerade noch die Sonne da? Im Krokantenfeld Aufruhr: Herabstürzende Zweige haben zahllose Opfer gefordert.
Nicht nur zur Weihnachtszeit: Parken verboten.
Böll hätte das vielleicht gefallen. Um die Ecke, in der Hülchrather Straße, hat er jahrelang gewohnt. Dieser Tage dachte ich wieder viel an ihn, weil Michael Stacheder und die Max-Mannheimer-Kulturtage mit #Böllentdecken zum Miteinander erinnern aufriefen. Das Blog ist äußerst lesenswert.
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose: Es gibt Tage, da springen Sätze anderer prompt herbei und verbinden sich mit meinen eigenen. Mir fällt auf, dass ich eigentlich nichts über Gertrude Stein weiß. Nichts über das Gedicht, aus dem diese ein wenig abgegriffen wirkende Zeile stammt. Nichts über ihr Leben, nichts über ihr Werk. Gut, das lässt sich ändern. Schon beim ersten Nachforschen stoße ich auf drei Gedichte von ihr bei fixpoetry. Ich werde mir gleich mal entsprechende Bücher heraussuchen. Und das alles nur, weil jemand was auf einen Stromkasten geschmiert hat.
Yesterday Was Dramatic – Today Is OK
Zwischendurch lese ich bei Joachim Kurz noch was zu Hildur Guðnadóttir. Sie erhielt einen Oscar für ihre Filmmusik. Nun interessieren mich die Oscars nicht besonders, aber wenn Herr Kurz auf eine Musikerin hinweist, nehme ich das sehr ernst. Und ich entdecke, dass Hildur Guðnadóttir eine von Múm ist. Vor langer Zeit hörte ich sie mal eher zufällig live. Seitdem habe ich die Musik immer wieder gehört. Yesterday Was Dramatic – Today Is OK. Finally We Are No One. Ich mag sie sehr und verlor sie doch aus dem Blick. Ich werde mich vermutlich den Rest des Tages durch die Musik von Hildur Guðnadóttir hören. Solange es solche Musiker:innen gibt, ist für Kulturpessimismus kein Platz.
Mit der Welt versöhnt betrete ich das Haus. Die Wohnung. Den Tag. Meinen Schreibtisch. Wohlan!
Und wenn Ihr etwas zum Weiterlesen sucht: Die Badehose. Der Odenwald. Ottilie.