Beim Schlendern durch den digitalen Raum entdeckte ich beim Kaffeehaussitzer einen Fragenkatalog übers Lesen und Bücher. „Die Fragen stammen ursprünglich von der amerikanischen YouTuberin Steph Borer, um als book recommendation tag mehr Literatur in die Timelines zu bringen.“ Eine Art Blogstöckchen (die Älteren unter uns werden sich erinnern), das man sich schnappen kann, um selbst darüber zu bloggen oder andernorts zu posten. Uwe wiederum fand die Fragen im Wissenstagebuch, wo nun eine schöne Sammlung entsteht mit Beiträgen zu den fünfzehn Fragen.
Men Lesen klemmt gerade etwas – nun ja, von Gartenliteratur abgesehen. Wie auch mein Schreiben hier, weshalb ich also die Gelegenheit gern ergreife, die Handbremse zu lösen.
Fünfzehn Fragen, mehr als fünfzehn Bücher.
1. Ein Buch, das du als dein „Lieblingsbuch“ bezeichnest
Allzu lange darf ich über diese Frage nicht nachdenken, weil sich umgehend ein ganzer Schwung von Anwärtern für eine Antwort einstellt. Ich greife also zum ersten Buch, das mir heute als Lieblingsbuch einfällt: Die Wand von Marlen Haushofer. Eine Weile hatte ich es ungefähr einmal im Jahr lesen müssen, aber ich erinnere mich noch gut ans erste Mal.
Eine Frau, allein in einer Berghütte, nur mit einem Hund an ihrer Seite, der nicht mal ihrer war. Sie findet sich eines Tages in einer Art gläsernen Blase wieder und alles menschliche Leben außerhalb steht still. Es geht ums Überleben, aber für mich in erster Linie um die Frage: Wer bin ich, wenn mich niemand mehr ansieht und mir niemand mehr eine Rolle zuschreibt, keine Erwartungen an mich hat oder eine vorgefasste Meinung, wie ich bin? Ich ging mit diesen Fragen und Gedanken verändert aus diesem Buch.
Es bedeutet mir viel.
2. Dein „Guilty Pleasure“
Wenn ich alle ein, zwei Jahre das überquellende Bücherregal aus- und wieder einräume, die Bestände sichte, ausmiste, umsortiere und wieder einräume, landen manche Bücher in der zweiten Reihe. Nicht, um mit der schicken ersten Reihe Besuch zu beeindrucken. Denn das Bücherregal ist im Schlafzimmer und der Gatte und ich sind die Einzigen, die den Ausblick auf die Bücher genießen. Ich selbst zucke manchmal verschämt zusammen, weil ich dieses Buch so liebe: Palast der Winde von M. M. Kaye.
Dabei ist es wie Vom Winde verweht von Margaret Mitchell oder Désirée von Annemarie Selinko eins der Bücher, deren Geschichte mich nicht nur tief bewegt hat, sondern die mein tiefes Interesse an Geschichte begründet hat. Der Roman um Ashton Pelham-Martyn in der Zeit der Besetzung Indiens durch die britische Kolonialmacht ist unter diesen Büchern noch das differenzierteste. Aber es fühlt sich oft nach einem Guilty Pleasure an, weil es wie die anderen beiden Bücher auch in den eher eindimensionalen Verfilmungen auf eine Liebesgeschichte reduziert wird.
Der Gedanke, der mir beim Nachdenken kam: Heute würden diese und ähnliche Geschichten (auch) aus anderen Perspektiven geschrieben. Nicht nur aus der Sicht der Privilegierten und herrschenden Klasse. Es hat sich etwas bewegt. Gut so.
3. Ein Buch, das außer dir alle gemocht haben
Vielleicht nicht alle, aber es wird von so vielen empfohlen: Woman on fire von Sheila de Liz. Es gibt nun auch recht wenig an Literatur über die Wechseljahre – dazu ließe sich weit ausholen. Aber dieses Buch hier flog nach wenigen Seiten ins Altpapier. Alles daran ärgerte mich, aber vor allem der bemüht auf Augenhöhe heruntergebeugte Duzi-duzi-Ton – dass sie in meiner Vorstellung beim Herunterbeugen etwa in Höhe meiner Kniekehlen landete, war immerhin ein kurzer Lacher, bevor dieser Dauerbestseller mit Schwung in der Mülltonne landete.
Glücklicherweise las eine Nachbarin von meinem Unmut, den ich auf Mastodon äußerte, und lieh mir ihr Exemplar von Wechseljahre – was muss ich wissen, was passt zu mir? von Maria Beckermann. Eine Wohltat, nicht nur im Ton!
4. Ein Buch, das du am schnellsten durchgelesen hast
Grundsätzlich lese ich recht schnell. In diesem Jahr will es nicht recht klappen, was an Umständen und innerer Verfasstheit liegt. Also nenne ich das Buch, das ich zuletzt sehr schnell durchgelesen habe, weil ich es einfach fantastisch fand: die Geschichte, die Figuren, die Sprache, alles. Und das in einem Debüt: Hohle Räume von Nora Schramm.
Mir fiel es im Buchladen im Wareneingang wegen der Covergestaltung auf, dann las ich den Klappentext, kaufte es kurzerhand und zwei Tage später war es dann auch schon gelesen. Man merkt dem Buch an, dass die Autorin auch Lyrikerin ist. Grandios erzählt sie aus dem Blick der Tochter von der Auflösung eines Haushalts durch die Scheidung der Eltern nach vierzig Jahren.
5. Ein Buch, das mehr Aufmerksamkeit verdient
Es gibt Bücher, die mit Krawumm in die Welt gebracht werden, kurz für Aufruhr sorgen und dann aus mir nicht verständlichen Gründen im Tümpel der nicht mehr erwähnten Bücher landen. Die sagenhaft eigenwilligen Bücher der viel zu früh verstorbenen österreichischen Künstlerin und Schriftstellerin Helena Adler etwa, die zumindest in Deutschland viel zu selten Erwähnung finden. Mein Liebling von ihr, Die Infantin trägt den Scheitel links, ist ein Ereignis, nach wie vor.
Aber mindestens ebenso sehr wünsche ich den Veröffentlichungen von Jo Frank mehr Aufmerksamkeit, ob Snacks, Gewalt oder Trauer. Das Lesen dieser Bücher ist ein körperlicher Akt, von umwerfender Schönheit, durchdringender Traurigkeit und scharfem Schmerz. Wie Jo Frank mit Sprache Kunst schafft, ist meiner Ansicht nach herausragend. (Snacks ist leider nicht mehr lieferbar, glaube ich.)
6. Ein Buch, das demnächst verfilmt wird
Öm. Keine Frage, die ich beantworten kann. Ich tue mich mit Verfilmungen von Büchern schwer und bekomme daher eher zufällig etwas davon mit. Bei nicht wenigen erfolgreichen Büchern insbesondere aus dem angloamerikanischen Sprachraum habe ich nicht selten den Eindruck, als spekuliere man bereits beim Schreiben auf die Verfilmung. Ist als mögliche Verwertungsstufe aus Sicht der Autor*innen und Verlage nicht unverständlich, weil es auch um Geld geht.
Vor nicht allzu langer Zeit sah ich übrigens mal bei ARTE die Verfilmung von Alain Bennetts Die Lady im Lieferwagen mit der auf ewig unvergessenen Maggie Smith. Solche Verfilmungen wünsche ich mir, ich fand sie so überaus gelungen.
7. Das Buch, das du am häufigsten gelesen hast
Ziemlich sicher Der Herr der Ringe von J.R.R. Tolkien, wenn ich auch mittlerweile etwas herausgewachsen bin. Aber die Stellen, in denen die Hobbits aufbrechen und durch die Wälder wandern, lese ich immer noch gern. 16 mal habe ich alle drei Bände komplett gelesen und nur die Schlachtenszenen überblättert.
Noch öfter habe ich Jane Austens Persuasion und Pride & Prejudice in verschiedenen deutschen Übersetzungen und im Original gelesen und gehört.
Nicht zu vergessen, denn ich kann fast alle Bände auswendig mitsprechen: Bille & Zottel von Tina Caspari, Britta die Reitlehrerin von Lisbeth Pahnke und Reiterhof Dreililien von Ursula Isbel. Ich hatte nämlich nicht viele Bücher als Kind und las sie immer und immer wieder. Auch, weil ich sie einfach toll fand. Immer noch. Weltbeste und kenntnisreiche Pferdebücher, ohne dass ein armes Pferd Erlöser sein muss und ein Mädchen ein Wunderkind.
8. Ein Buch eines Genres, das du eigentlich nicht liest
Ich habe lange Fantasy mit Begeisterung gelesen, aber seit Jahren scheitern alle Versuche: die nüchternen, bitteren Gewalt- und Schlachtenorgien der Männer-Fantasy, die ständig fummelnde Softporno-Fantasy der Frauen-Fantasy. Dazwischen finde ich selten was. Man kann ja nicht dauernd und immer wieder Ursula K. Le Guin lesen.
Dann tauchte da Der Uhrmacher in der Filigree Street von Natasha Pulley (aus dem Englischen von Jochen Schwarzer) auf und warf mich um. Vielschichtig, eher leise erzählt und mit Figuren, die mich in ihrem sachten Aufbau von Banden und Abneigungen für sich einnahmen. Auch das Hörbuch mag ich und höre es mir oft an, Onleihe sei Dank.
9. Ein Buch, das seinen Hype verdient
Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky gebührt alle Aufmerksamkeit und jeden Hype. Der Sound von Leky steht für sich, ich liebe ihren Blick auf die Welt und die Menschen und ich finde, es sollte einfach jede und jeder gelesen haben. Auch als Hörspiel überragend gut.
10. Ein Buch, das du meistens empfiehlst, wenn dich Leute fragen
Als Buchhändlerin kann ich natürlich nur sagen: Es kommt darauf an. Das eine Buch für alle gibt es nicht. Da muss ich schon mehr wissen. Und so sehr ich mich freue, wenn am Ende jemand mit einem meiner Lieblingsbücher den Laden verlässt: Ich kann sie nicht jedem empfehlen. Aber anschließend an die Frage davor: Wer noch kein Buch von Mariana Leky gelesen hat, verlässt vielleicht mit einem den Buchladen.
11. Ein Buch mit deinen Lieblingsfiguren
Nun habe ich Jane Austen bereits genannt – wie ungeschickt. Denn ich liebe insbesondere ihre Nebenfiguren, die viel schärfer und kantiger beschrieben sind als die Hauptfiguren. Vielleicht nenne ich also ein aktuelleres Buch, das ich gern empfehle mit dem Satz: Die drei Hauptfiguren in diesem Buch vermisse ich nach wie vor. Es sind Sadie, Sam und Marx in Morgen, morgen und wieder morgen von Gabrielle Zevin (aus dem amerikanischen Englisch von Sonia Bonné), die mir ins Herz gesprungen sind.
Ohnehin ein wirklich fabelhafter Roman über die Zeit der 1990er, als viele Computerspiele neu erdacht und erfunden wurden und in den Mainstream schwappten. Zentral ist aber die Frage von Freundschaft, Kreativität, Loyalität – und Verrat. An sich und an anderen.
12. Ein Buch, in dem du gern leben würdest
Am liebsten möchte in dem Buch über unseren Garten leben, das ich schreiben möchte. Solange das noch nicht geschrieben ist, wähle ich Dieser Garten von Mely Kiyak, in dem sie von den gärtnernden Nonnen der Abtei Fulda und ihrer Zeit dort erzählt. Dort möchte ich sofort auch sein.
13. Ein Buch, von dem du dachtest, dass du es hassen würdest
Das Leben ist zu kurz, um sich auch noch mit Büchern zu quälen. Ich zucke etwa instinktiv zurück, wenn mir Bücher als besonders lustig angeboten werden. Manchmal hindert mich die stets präsente Ehrfurcht vor einem Autor (bewusst nicht gegendert) am Lesen. Thomas Mann etwa nervte mich schon mein Leben lang, aber gerade im Jubiläumsjahr bekomme ich Lust, doch mal wieder was von ihm zu lesen.
Ich begann mal eher aus beiläufiger Neugier mit Krieg und Frieden von Leo Tolstoi und es begeisterte mich so sehr, dass ich es mit in den Urlaub auf den Campingplatz in den Cevennen schleppte.
14. Ein Buch, das dich zum Weinen gebracht hat
Ich weine selten, es liegt mir nicht. Aber das Ende vom oben erwähnten Lieblingsbuch, Die Wand von Marlen Haushofer, ist schier unerträglich. Jedes Mal.
15. Ein Buch, bei dem du dir wünschst, dass du es noch mal zum ersten Mal lesen könntest
Kein Buch, aber die Gedichte von Hilde Domin, Georg Trakl und Else-Lasker-Schüler. Ich träte gern erneut und zum ersten Mal ein in diesen Raum, der zwischen mir und ihren Gedichten entstand und mein Inneres weit öffnete, mir dort eine Sprache gab für bis dahin Unbenennbares und meine Gefühle für mich sichtbar machte.
Ich bedanke mich bei Uwe für die Inspiration. Falls Ihr auch Lust bekommen habt:
Alle Fragen zu Buchempfehlungen zum Mitmachen
- Ein Buch, das du als dein „Lieblingsbuch“ bezeichnest
- Dein „Guilty Pleasure“
- Ein Buch, das außer dir alle gemocht haben
- Ein Buch, das du am schnellsten durchgelesen hast
- Ein Buch, das mehr Aufmerksamkeit verdient
- Ein Buch, das demnächst verfilmt wird
- Das Buch, das du am häufigsten gelesen hast
- Ein Buch eines Genres, das du eigentlich nicht liest
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- Ein Buch, das du meistens empfiehlst, wenn dich Leute fragen
- Ein Buch mit deinen Lieblingsfiguren
- Ein Buch, in dem du gern leben würdest
- Ein Buch, von dem du dachtest, dass du es hassen würdest
- Ein Buch, das dich zum Weinen gebracht hat
- Ein Buch, bei dem du dir wünschst, dass du es noch mal zum ersten Mal lesen könntest
Du überaschst mich immer wieder. Dake für die Tipps. Danke für die Erwähnung von Désirée. Das stand im Bücherbrett meiner Eltern und ich las es öfter. Gerade in der Onleihe gefunden. 🙂
Danke Dir, ich freue mich!