Ich trete vor die Tür und eine Bö erfasst mich.
Bisher nahm ich an, dass Böen, so sie denn in der Einzahl heranwehen, eine Böe sind. Doch das ist eine Bö, sagt Duden. In dieser Woche traten Böen vereinzelt und im Rudel auf. Die Gänge ins Heimbüro lassen mich Jahreszeiten, Wetter und die Gezeiten der Stadt erleben. Man neigt doch sonst rasch dazu, die Welt Welt sein zu lassen und sich im Drinnen zu vergraben, wenn es keine Anlässe gibt, um sich ins Draußen zu begeben.
Doch unterscheiden sich die Wege zur Arbeit von früheren Wegen, weil ich sie für mich dokumentiere, ob in Bildern oder in Notizen. Nicht auf die Minute im Heimbüro einstempeln zu müssen, hilft dabei natürlich. So bleibt auch Zeit für einen kleinen Schwatz hier und dort. Nachbarschaft. Dorfleben ist auch in der Stadt möglich.
Es sind Tage zwischen Morgengold und Domnebel.
Besprechungen, Begegnungen, Pläne schmieden, Pläne verwerfen, eine Weihnachtsfeier, ein Besuch im Theater, ein Projekt wird vorerst stillgelegt und zwei andere stecken zaghaft ihre Köpfe aus der Erde. Woanders klemmt etwas und ich spüre das Echo in den Lendenwirbeln. Meine zuverlässigen Seismographen für schlechte Schwingungen. Gehen hilft. Atmen sowieso.
Ich gehe. Ich sehe.
Er trägt einen legeren Blouson in einem auffälligen Knallbraun. Ein älterer Herr, der aus einer anderen Ära zu stammen scheint. Ihn umweht etwas, nun, Unseriöses. Ich ahne, dass das mit alten Derrick-Folgen zusammenhängt, in denen ähnlich gekleidete Herren stets etwas zu verheimlichen hatten. Sein Bild wurde verschreckten Nachbarinnen vor die Nase gehalten: „Ist das der Mann?” Sind Sie der Mann, frage ich den Herrn im Blouson beinahe, Er klappert mit einem Schlüsselbund.
Eine Radfahrerin kommt mir entgegen. Mit schwerem Tritt wiegt sie sich von links nach rechts. Das Rad knarzt im Takt. Das Gesicht der Radfahrerin ist von Anstrengung und Entschlossenheit verzerrt. Der schwere Gang. Das schwere Leben.
Ich erinnere mich, dass ich vor vielen Jahren auch mal so Rad fuhr: Mit Kraft. Ungern. Und deshalb von dem Wunsch beseelt, anzukommen, den Weg hinter mich zu bringen. Das Rad ein Mittel zum Zweck, ungeliebt und ungewartet. Da funktionierte dann auch die Gangschaltung nicht mehr. Und so zwang ich mich, zwang ich das Rad in die mühsame Bewegung. Bis jemand kam und mir zeigte, dass das nicht so sein muss. Einen Gang runterschalten und alles geht viel leichter.
Der Regen prasselt auf meine Kapuze.
Die Kapuze wiederum drückt den Rand meiner Mütze auf die Brille, die prompt beschlägt. Von außen Regen, von innen Nebel. Immer wieder bleibe ich kurz stehen und zücke ein Stofftaschentuch, um mich wieder sehend zu machen. Für eine kurze Weile. Doch im Regen gehen ist dennoch herrlich. Die Luft riecht nach Winter. Alles tropfnass. Dort treibt eine Horde Meisen in einem Busch ihr Unwesen. Ein Specht klopft. Die Lichter von Agneskirche und Eishalle spiegeln sich auf dem Trottoir.
In den Straßen ein Gewusel aus Schulkindern, Müllabfuhr und den Männern der Straßenreinigung. Leuchtende Klekse in Neongelb und Neonorange.
Eine Handlungsreise führt mich nach Berlin.
Ein farbloser Tag, an dem ich in der Hauptstadt eintreffe. Eine Stadt, die mich immer etwas anstrengt. Auch weil es dort doch so einige gäbe, die ich gern träfe. Doch dann ist wieder keine Zeit. Aber immerhin ist Zeit für die eine Begegnung, Gespräche, schön, inspirierend. Tags drauf ein Workshop mit neuen Menschen. Ein Herantasten, Abklopfen, eine Grundlage schaffen für Kommendes. Überraschend problemlos mit der Bahn hin und her. Diesmal mit Fleecedecke. Eine gute Entscheidung. Eine fröstelfreie Reise.
Es ist Ende Januar.
Wie immer um diese Zeit: Endlich! Wie immer aber auch: Schon?