Ich trete vor die Tür und blinzele in die Sonne.
Es wird ein warmer Tag. In meinem Kopf indes Unwetter. Lockerungen, also. Vielleicht, nein, ganz sicher habe ich vieles nicht mitbekommen und mir fehlt auch Ahnung, um bessere Einschätzungen zu machen. Aber dass trotz fehlender Impfstoffe und Medikamente recht forsch Wege in, wie nennt unser MiniPrä es, ah, eine verantwortungsvolle Normalität eingeleitet werden – mir wird dabei ein wenig schwarz vor Augen, wenn ich mir vorstelle, wie nun wieder alle selig shoppen gehen und beim Wort Normalität Familientreffen und Grillfeiern planen.
Die Schüler:innen sollen wieder in die Schulen ohne genügend Platz, Waschbecken und Seife. Schüler:innen, die offenbar betrachtet werden als Menschen ohne Familien und ohne Risikoerkrankungen, als Menschen, die nun aber zu funktionieren haben, kein Rumlummern mehr. Prüfungen, zack, zack. Und wie sich die Schüler:innen und Lehrer:innen in die Schulen materialisieren sollen, ist auch ziemlich unklar. Abstand halten in den reduziert fahrenden öffentlichen Verkehrsmitteln.
Das wird lustig.
Aber was zerbreche ich mir den Kopf. Vielleicht ist es gut, dass die Buchläden wieder öffnen können. Vielleicht ist es eine schlechte Idee. Aber es wird so sein, ab Montag. Natürlich, in den Drogerien und Baumärkten tummelt sich das Volk ohnehin. Dass im sonst sehr gemochten Bioladen im Viertel das mit dem Abstand überhaupt nicht gut klappt, man auf der Straße und in den Läden mit Mundschützerich nach wie vor mitleidig gemustert wird, jo, was zerbreche ich mir den Kopf. Wird schon gutgehen, so tönt es.
Warum Nachkommastellen entscheidend sind.
90 Sekunden mit Dr. Angela #Merkel. ????pic.twitter.com/pobtfMZtwI
— Daniel Mack (@danielmack) April 16, 2020
Bei unserer Kanzlerin kommt es sachlicher und klarsichtiger rüber, man kann nur hoffen, dass die Söschets der Länder rechtzeitig eingefangen werden. Falls es eben doch nicht gut geht. Pandemie. Global. Ein paar wenige Wochen war man brav. Nun muss es aber wohl mal gut sein. Tatsächlich?
Aber was zerbreche ich mir den Kopf.
Ich gehe und wende meine Gedanken ab, meinen Blick hin.
In die Nachbarschaft. Zu Füßen der Agneskirche ist Ökomarkt. Das Licht der Platanenallee verändert sich, weil nun Tausende von hellgrünen Blättern für krasse Effekte sorgen. Mutter Natur hat’s drauf. Auf einer Bank Lektüre zur Zeit. Am Anleger Verkehr. Denke an die Reportage über den Hafen von Antwerpen, die wir uns gestern Abend ansahen.
Auf der Hundewiese alles grün.
Doch, da, ein Mensch liegt auf dem Rücken auf der Wiese, mit den Armen rudernd. Mein Schritt wird schneller: Braucht er Hilfe? Kommt er nicht mehr auf die Beine? Doch dann die Erkenntnis: Ah, Sport. Also, so etwas wie Sport. Erkennt man ja nicht immer, dass das alles so gewollt ist. Ich nehme ein Bad im Vogelkonzert. Und stoße auf eine Quarantänesimulation der Kreidezeit. Probehalber stelle ich mich hinein. Lange halte ich es nicht aus. Vielleicht hat das was mit meinen Gedanken oben zu tun. Vielleicht sollte ich wirklich lieber meinen Füßen etwas zu tun geben und den Kopf in Ruhe lassen. Aber was zerbreche ich … Ach. Ich erreiche die Haustür. Und betrete das Heimbüro in dem Moment, in dem der Heimbüromitgenosse gerade Espresso zubereitet. Ja, ich nehme einen. Danke.
Moin, Tag.
Wohlan.
P.S. Eine Hörempfehlung zum Schluß: Vielschichtig, beunruhigend, beruhigend, inspirierend. Vor einigen Tagen hörte ich mir diesen Vortrag des Soziologen Stefan Selke von der Hochschule Furtwangen bei SWR 2 WISSEN an. Eine wohlinvestierte halbe Stunde, finde ich. Falls Ihr nicht so auf Hören von Podcasts steht oder den Vortrag querlesen wollt: Das Manuskript zur Sendung ist unter dem Beitrag verlinkt.