Ich trete vor die Tür.
Alles grün. Wachswetter! Es hat nicht viel geregnet, aber es genügte, um Bäume und Sträucher in plüschiges Grün zu kleiden. Schon das tiefer dunkle Frühsommergrün. Der Frühling in Köln fühlt sich immer zu kurz an. Es ist windig, aber recht mild. Meine Jacke öffne ich schon nach wenigen Schritten.
Mitte Mai also. Es ist eigenartig, wie sehr die Zeit in diesen Zeiten verschwimmt. Die Wegmarken fehlen. Und so plätschern die Wochen und Monate dahin. Seit Ende Oktober dümpelt das Leben im Irgendwie-Lockdown vor sich hin. Für mich hat sich indes die Welt zum Besseren gewendet. Ich habe wieder zu tun und dann auch noch gute Sachen. Alles muss erstmal richtig in Fahrt kommen, aber nach einem Jahr des Ausfalls empfinde ich Zuversicht. Die ist auch dringend nötig, denn die Welt kracht und knarzt wieder in den Fugen. Menschen müssen wieder Angst um ihr Leben und ihre Unversehrtheit haben. Und selbst wenn mein Wissen nicht im mindesten ausreicht, um etwas derart Komplexes wie den Nahost-Konflikt zu verstehen, eins weiß ich: Es ist grundfalsch, Menschen etwa aufgrund ihres Glaubens, ihrer Nationalität oder ihrer Herkunft anzufeinden oder gar anzugreifen.
Und während ich in Gedanken Hände ringe, passiere ich einen Einkaufswagen inmitten von Fahrrädern und Lastenrädern. Mir gefällt die Vorstellung, dass er sich von einem Leben in Reih und Glied verabschiedet hat, um fortan als Lastenrad die Straßen zu erkunden. Nicht weit entfernt wurde ein Einbauherd ausgesetzt, immerhin halbherzig mit einem Kissen geschützt. Am Anleger ist was los: Gehende und laufende Menschen, Binnenschiffe, ein Elektroscooter.
Das Hochbeet, dessen Obstbäumchen in den letzten Jahren nach und nach von den Müllwagen der Flusskreuzfahrtschiffe abgeholzt wurden, steht nun dicht voller Hirtentäschelkraut. Es zappelt im Wind, die Herzblätter beben. Ich zupfe mir eins ab und kaue darauf herum. Es schmeckt nach Kindheit im Sauerland, nach müßig verschlenderten Stunden auf den Wiesen, nach Wiesenblumensträußen für die Frau Mutter.
In der Mitte der vielbefahrenen Straße ein Blühstreifen. Das Blühen ist neu. Vorher war da einfach Gras mit ein paar Gräsern. Nun also ein Blühstreifen für Insekten. Hoffentlich üben die den Anflug und Abflug erfolgreich und vielleicht eher so hubschraubermäßig, damit nicht allzu viele auf den Windschutzscheiben des vorbeibrausenden Verkehrs landen. Die Litfaßsäulen sind voller als noch im letzten Jahr. Die Plakate hängen über ihre Zeit hinaus, aber es lässt sich an ihnen ablesen, wie viele digitale Angebote sich die Kulturmenschen ausgedacht haben. Kultur, wisst Ihr noch? Musik, Kunst, Literatur …
Ein Wochenendbesuch scheint wenig glücklich gelaufen zu sein, glaubt man dem ungeduldig in den Abfalleimer gestopften Blumenstrauß. Auf der Hundewiese alles ruhig. Ich begegne zwei alten Bekannten, einem hellbraunen und einem dunkelbraunen Labrador. Der Dunkelbraune blinkert mir zu, seinen Ball im Maul balancierend. Der Kumpel, der rothaarige Großpudel, ist mit im Bunde. Die Inhaber*innen mustern mich etwas misstrauisch. Nein, ich bin immer noch nicht das Ordnungsamt. Auch wenn ich weder Hund noch Kind bei Fuß habe. Als alleingehender Mensch jenseits des Greisenalters wird man oft beäugt.
Im Waldkindergarten vor der Agneskirche wachsen nicht nur die Bäumchen wacker, sondern auch eine Akelei.
Die Haustür, die Wohnungstür, Jacke aus, Wasserkocher an, Teekanne vorbereiten – und das Fenster auf. Rechts im Efeu wird konzentriert und unter rhythmischem Gurren gebrütet. Frau Amsel scharrt im alten Laub zwischen den Fahrrädern. Die Meisen witschen durch den Hinterhof. Ja, Mai.
P.S. Was beim Gang ins Heimbüro nie fehlt: Der Blick in den Himmel. Über den Himmel sprachen Peter Otten und ich zuletzt in unserem Podcast Agnes trifft.
Ich liebe diese „Rubrik“! Lese hier soo gerne leise mit… Hach.
(Wollte das Thema schon öfter aufgreifen – aber mein piefiger Randbezirk ist viel weniger spannend als das Agnesviertel.)
Liebe Uschi, das freut mich sehr, ich danke Dir. Und, ja, greif‘ doch gern auf. Wer weiß, was es alles im Alltäglichen zu entdecken gibt. Sehr herzliche Grüße nach Aachen!