Die Sonne kommt raus.
Rot und gelb leuchten die hohen Bäume im Park auf. Mit drei Zetteln in der Hand gehen wir los. Hinter uns klingelt es: Ein winziges Mädchen auf einem fliederfarbenen Rädchen passiert uns. Ihre Augen leuchten. Unsere auch. Unsere Blicke kleben auf dem groben Übersichtsplan auf den Mobilgeräten: Wir suchen die freien Gärten, die wir uns ansehen können. Wir suchen unseren Garten.
Tatsächlich beginnt die Geschichte um einiges früher, im Sommer vor zweieinhalb Jahren: Wir kamen von einer herrlichen Gartensause. In einem Garten in Worringen saßen wir mit netten Menschen zusammen. Mit dem Rad ging es zurück und wir drehten noch eine kleine Runde über den Kleingarten meiner Buchladenkollegin. Oh. Arthur und ich blickten uns um, blickten uns an – und dachten dasselbe: Wir brauchen sowas, wir brauchen einen Garten. Hier. Vom Gedanken zum Entschluss war es nur ein beherzter Hüpfer. Ich schrieb eine Mail an den Kleingärtnerverein. Wir reihten uns damit ein in die langen Listen mit Menschen, die sich gleichfalls um ein Stück Grün in der Stadt bewarben. Was wir damit in Gang setzten – nun ja.
Doch zunächst ist Geduld gefragt.
Eines Tages gibt es eine Einladung zu einem Treffen mit anderen Bewerber*innen. Dort wird von den Vorständinnen Grundlegendes mitgeteilt, was es bedeutet, einen Kleingarten zu pachten, wie die Übernahme einer Parzelle funktioniert und welche Rechte und Pflichten auf künftige Kleingärtner*innen warten. Für alle verbindlich sind das Bundeskleingartengesetz und die Gartenordnung des Kölner Kreisverbandes.
Das alles höre ich erst später, denn ich bin auf der Buchmesse. Arthur ist vor Ort und bringt Zettel mit den Eckdaten von Gärten mit, die neu verpachtet werden: Größe, Lage, wesentliche Infos zum Charakter des Garten und, besonders wichtig, das Übernahmedatum und der Betrag, der bei einer Übernahme an den Vorpächter gezahlt werden muss. Man pachtet das Land und kauft das, was darauf steht (z.B. die Laube). Der Wert eines Gartens wird in einer Wertermittlung durch einen Gutachter festgelegt. Entspricht ein Garten nicht den Regeln, entstehen wertmindernde Auflagen, wenn etwa zu viel versiegelt wurde oder ein Laubendach undicht ist.
Der Wunsch nimmt also konkretere Formen an: Vielleicht ist einer dieser drei Gärten unser Garten? Aufgeregt beuge ich mich über die Schwarz-Weiß-Kopien, auf denen jeweils ein Foto abgebildet ist. Viel ist nicht zu erkennen, doch die Vorstellungskraft lässt ihre Muskeln spielen. Am nächsten freien Tag ziehen wir los – und landen zunächst in der benachbarten Kleingartenanlage. Die Zahlen stimmen nicht. Und die Gärten wirken düster und wenig einladend. Völlig anders als das, was wir in Erinnerung haben. Erleichtert stellen wir fest, dass wir falsch sind. Weiter geht es, andere Wege, an vielen Gärten vorbei.
Sind wir hier richtig?
Zweifelnd stehen wir vor dem ersten Schrebergarten auf unserer Liste. Der Weg ist der angegebene. Die Nummer stimmt. Hm. In uns rührt sich nichts. Die Nachbarschaft links und rechts ist abschreckend: riesige Trampoline, Fahnenmaste mit Flaggen von örtlichen Fußballvereinen, allzu viel Kirschlorbeer, kurzgemähte Rasenwüsten, Grills von der Größe eines SUVs. Uff. Kleingärten bilden wie ganz wenige Orte die ganze Vielfalt einer Gesellschaft ab. Diese Vielfalt ist gewollt und erwünscht. Aber wie im Leben selbst braucht es den Ort, an dem man sich aufgehoben fühlt. Dieser hier ist nicht unser Ort. Wir zucken mit den Schultern und gehen weiter.
Wir erreichen den Garten, der uns auf dem Papier am sympathischsten ist. Ringsum wirkt alles luftiger, offener, bunter, die Nachbarschaft immer noch vielfältig, aber uns doch sympathischer, näher. Wir blicken in den üppig zugewachsenen Garten, darin knorrige Apfelbäume. Weiter hinten blinzelt ein Stück Laube in freundlichem Gelb durch einen bewachsenen Rosenbogen. Aus dem hohen Gras ragt so gerade eben noch ein niedriges, blaues Holzzäunchen hervor. Am Tor wippen rote Hagebutten im Wind. Hier hat sich länger niemand gekümmert. Der Garten macht einen freundlichen Eindruck. Kein Anfängergarten sei das, lesen wir auf dem Zettel. Sind wir Anfänger? Wir kommen zu dem Schluss, dass wir es nicht sind.
Der könnte es sein! Oder?
Nun. Der letzte der drei Gärten ist nur ein paar wenige Meter weit entfernt. In den Notizen dazu werden insbesondere die Feigenbäume gepriesen. Die sind schon von weitem am satten Herbstgelb zu erkennen. Ein Feigenbaum ist durchaus ein Vorzug für einen Garten: köstliche Früchte, prächtiges Herbstlaub. Und ein Baum, der sich durch den Klimawandel in Köln sehr wohlfühlt. Und dann stehen dort gleich mehrere davon. Aber der Garten ist ansonsten sehr leer. Nicht unser Garten. Dafür finden sich bestimmt Interessenten, wir sind es nicht.
Stattdessen gehen wir wieder zurück zum mittleren Garten und gucken schon ein bisschen verliebt.
Zu unserem Glück treffen wir eine Frau, die auch beim Informationsabend war. Später erfahren wir, dass sie im erweiterten Vorstand ist. Sie erkennt Arthur gleich, erzählt von ihrem Garten und ermutigt uns, auch mal in den Garten reinzugehen. Wir hatten uns nicht getraut. Nun gehen wir mit Regine rein. Eine Nachbarin im Garten nebenan beobachtet uns. Wir winken uns zu. Sie wirkt nett. Der Garten, ja, darin ist zu tun. Alles wirkt, als habe hier jemand an Kraft oder Lust verloren. Aber ich sehe nichts, was nicht schaffbar wäre. Die Laube wirkt aus der Nähe düster, aber auch so, als könne sie sich freuen, wieder behaust zu sein.
Wir pflücken einen Apfel.
Ein Zeichen? Der Apfel zum Paradies? Wir setzen uns im Park auf eine Bank und schreiben beim Verspeisen des Apfels auf die Kopie, dass wir den Garten gern nähmen. Am Vereinshaus werfen wir unsere Interessensbekundung in den Briefkasten. So. Am Ende wird alles anders kommen. Es wird noch über ein halbes Jahr dauern, bis wir einen Pachtvertrag unterzeichnen und den Schlüssel für unseren Garten in der Hand halten.
Unser Garten. Der später Bad Kleingarten getauft wird. Der Garten, der unser Leben verändern wird.
Bad Kleingarten – Von den Anfängen bis zur Gegenwart:
Ein Baum voller Schuhe und ein Schlüssel in unserer Hand: Ein Kleingarten wird unser (Teil 2)
Bad Kleingarten: Nicht nur gucken, sondern auch anpacken (Teil 3)