Ich schließe das Gartentor ab und werfe über die Schulter einen letzten Blick in den Garten.
Rosa schimmert der Rand des Horizonts in der Dämmerung über den Bäumen. Bald schon werden sie die letzten Blätter verlieren und sich ihre Struktur wie ein Scherenschnitt vorm Himmel abzeichnen. Kühl zieht die Nacht herbei. Es liegt eine Ahnung vom nahenden Winter in der Luft. Es ist November.
Für uns ist es der zweite November in dem Kleingarten, den wir im Juni 2023 übernommen haben. Ich erinnere mich noch gut, wie kalt und nass der Mai in diesem Jahr war. Monate des bangen Wartens, der Ratlosigkeit, der Ungeduld und der sinkenden Hoffnung lagen hinter uns. Ich hatte vollkommen unterschätzt, wie groß meine Sehnsucht nach einem Garten war.
Hinzu kam, dass ich mich vom Reiten und damit auch von den Pferden getrennt hatte – ob vorerst oder für immer, wird sich eines Tages herausstellen. Nun widmete ich mich einem anderen Thema und vergrub mich in Büchern über Biogärtnern, Gartenkultur und Gemüseanbau. Auch digital stürzte ich mich mittenrein. Während ich ab und zu eine Mail an den Kleingärtnerverein schrieb, stets voller Sorge, ob das noch freundliche Hartnäckigkeit oder nervende Penetranz war …
„Zeitnah wird ein Garten frei.“
Doch dann erreicht uns die Nachricht, dass unter tragischen Umständen ein Garten frei geworden ist. Und dass wir möglicherweise die Richtigen für diesen Garten sind, dessen Übernahme mit viel Arbeit verbunden sein würde. Nicht nur, dass er mit 430 Quadratmetern für einen Kleingarten außergewöhnlich groß ist. Es gibt viel darin zu tun, um diesen Garten wieder auf einen Stand zu bringen, der den Regeln von Bundeskleingartengesetz und Kölner Gartenordnung entspricht.
Noch am selben Tag fahre ich zum Garten, um mir einen ersten Überblick zu verschaffen. Es ist ein strahlend sonniger Tag. Schlehen, Forsythien und Narzissen blühen in den Kleingärten. In der Luft liegt Vogelzwitschern. Von der Autobahn das nimmermüde Rauschen, aber noch in erträglicher Lautstärke. Ich halte den Atem an, als ich mich dem Garten nähere – unserem Garten, vielleicht?
Der erste Blick war verwirrend.
Der Garten sieht aus, als sei noch kürzlich jemand dort gewesen. Ah, falsche Nummer. „Unser“ Garten wäre der daneben. Wo mir der Atem zunächst stockt. Ich sehe viel, nun ja, Zeugs. Lustig gemeinte Gummistiefel, die umgedreht in einem immergrünen Kraut stecken. Eine wilde Mischung von Deko-Figuren in den Beeten. Und hängen da wirklich Schuhe im Baum? Außerdem viele Pflasterwege, die in einem besseren Zustand zu sein scheinen als sämtliche Radwege in Köln zusammen. Ein Gewächshaus, wie schön, aber eingezäunt mit scheußlich rotbraun gestrichenen, geschwungenen Planken.
Ein gelbes Plastiktomatenhaus, in dem Müll liegt. Eine beschädigte Sichtschutzwand. Haufenweise exotisch anmutende Palmenpflanzen und irgendwo, ganz hinten und sehr düster wirkend, die Laube. Ein Fahnenmast. Ein sehr hoher Solarmast. Nun ja.
Viel vom Garten war also zunächst nicht zu sehen.
Ich lasse den Blick tiefer sinken, denke mir das Zeugs weg und sehe die alten Bäume, das Zugewachsene, aber vor allem Raum. Unter allem, was im und auf dem Garten lastet, wirkt er freundlich auf mich. Bereit für uns. Ich fühle mich auf jeden Fall jäh bereit für diesen Garten. Ich mache lauter Fotos, die Arthur einen Eindruck verschaffen sollen. Er ist ohnehin viel geduldiger und gelassener als ich, zuversichtlicher auch. Abschrecken sollen ihn die Fotos nicht, das ist wichtig. Aber es hilft auch nichts, beschönigend zu sein. Er würde selbst gucken müssen.
Das tut er. Die Laube müsse man sich mal ansehen. Endgültig entscheiden würden wir uns erst können, wenn wir uns im Garten umgesehen haben. Doch hinein kommen wir vorerst nicht. Die Umstände verhindern dies, tragisch, wie erwähnt. Kompliziert überdies.
Weiter geht es erst Ende Mai. In der Zwischenzeit fahre ich einige Male zum Garten und versuche, mir ein Bild zu machen, wie das Licht zu den verschiedenen Tageszeiten fällt und, ganz wichtig, wie die Nachbarschaft wohl gestimmt ist. Die direkte Umgebung wirkt überwiegend sympathisch, erste Gespräche ergeben sich, man ist noch geschockt vom Schicksal des Vorpächter-Paare, aber auch neugierig auf uns. Kleingarten, das ist auch Dorf.
Dann geht es schnell.
Wir treffen uns am letzten Tag im Mai mit den beiden Vorständinnen im Garten, begutachten den Stand der Dinge, besprechen die Einzelheiten einer Übernahme – und schon am nächsten Tag unterzeichnen wir den Pachtvertrag. In unserer Hand liegen die Schlüssel zu unserem Garten. Wir streifen an diesem Abend durch den sommerlichen Garten. Das Gras reicht uns bis über die Knie. Nach einem halben Jahr ohne eingreifende Hand durch Menschen hat dieser Ort etwas Wildes und Verwunschenes. Spatzen beschweren sich über unsere Anwesenheit. Für sie bricht eine unbequeme Zeit der Veränderungen an, aber davon wissen wir alle an diesem Tag noch nichts.
„Bis bald, lieber Garten.“
Wie oft schon habe ich mich seitdem mit diesen Worten von unserem Stück Grün verabschiedet. Nicht von Anfang an, denn zunächst waren wir einander fremd. So fremd wie der Weg mit dem Rad von Zuhause zum Garten, den wir erst herausfinden müssen. Wir sind uns selbst noch fremd im Garten. Hier steht etwas Gemeinsames an, zwei Wochen vor unserer Hochzeit nach über zwanzig Jahren des Miteinanders.
Bad Kleingarten – Von den Anfängen bis zur Gegenwart:
Am Anfang war die Gartensause: Der Weg zum Kleingarten (Teil 1)
Bad Kleingarten: Nicht nur gucken, sondern auch anpacken (Teil 3)