Ich setze meinen Fuß vor die Tür.
Ich gehe meinen Weg ins Heimbüro, den ich zuletzt vor meinem Urlaub nahm. Es ist eine Wiederaneignung. Ich blicke prüfend auf den Zustand der Bäume, der Häuser und der Straßen. Ich mache Fotos für mein Inventar des Viertels, in dem ich lebe. In dem ich nun wieder lebe, nun, da ich weg war, nun, da ich wieder da bin. Körperlich allemal. Seelisch, geistig, das braucht noch ein wenig. Eine Nacht wieder zuhause zu schlafen, das hilft. Das hilft auch andernorts, um anzukommen.
Auf unserer Reise waren wir beinahe jeden Abend an einem anderen Ort, oft auch in einer anderen Region. Ein Tag lang Radfahren – wie weit einen das zu bringen vermag. Also, man selbst macht das, sich und alles, was man braucht, von einem Ort zu einem anderen zu bewegen. Das Ankommen lässt sich damit nicht beschleunigen, aber das entschleunigte Reisen macht es leichter. Je schneller ich irgendwohin reise, desto länger braucht ich damit, mit diesem Ankommen.
Rituale helfen beim Ankommen.
Beim Zelten das Aufspannen der Wäscheleine und das Drapieren eines textilen Gegenstands darauf. Etwa die noch dampfenden Socken, die man sich erleichtert mitsamt der Radschuhe von den Füßen zieht. Oder den kostbaren Spülschwamm, der stets gut gesichert auf dem Gepäck thront, um dort im Fahrtwind zu trocknen. Hier zuhause ist es der Gang ins Heimbüro. Heimbüro, mein Homeoffice, das ich so nicht nennen möchte. Homeoffice. Ein Wort wie Public Viewing oder Handy. Ein Nichtwort.
Heimbüro, das ist meins. Und in das gehe ich, einfach um einen Arbeitsweg zu haben, wenn ich zuhause arbeite. Es war ein Neujahrsvorsatz, damals 2017, mehr und öfter rauszugehen, den Verlauf der Jahreszeiten mitzubekommen, das Viertel, in dem ich lebe. Und meinen Gedanken einen Platz zu geben, indem ich sie anschließend ins Internet schreibe.
Wie heute, also.
Mein erster Gang ins Heimbüro nach meinem Urlaub. Der Verkehr in der Stadt erschlägt mich. Fast drei Wochen war ich in verkehrsarmen Gegenden unterwegs, meist abseits auf einsamen Radwegen. Der Geruch von Abgasen in der Nase und der saure Geschmack auf der Zunge fallen mir nun noch mehr auf als vorher schon. Das Herumgefahre. In Coronazeiten ohnehin fast in jedem Gefährt nur ein Mensch. Alles dröhnt. Es ist ein Irrsinn.
Lustige Lektürevorschläge auf der Bank.
Am Anleger ist was los: Ein Feuerwehrauto fährt vor. Außerdem ein Fahrzeug der Wasserrettung. Sie wurden offenbar erwartet. Die seltsam ungelenken Begrüßungsriten der Corona-Ära werden vollzogen. Aufregender wird es nicht. Ich starre aber ohnehin schon zuviel, was ein bißchen peinlich ist. Rasch mache ich ein Foto der Büsche am Rheinufer. Schön, dass sie wieder da sind. Im Frühjahr gab es dort einen radikalen Kahlschlag.
Schulkinder sind unterwegs.
Daran muss man sich auch erst wieder gewöhnen. Vermutlich. Der Blick auf die Infektionszahlen und in den Herbst mit Erkältungen, Grippe und kühlen Tagen stimmt wenig hoffnungsfroh. Wie auch hier natürlich die deutlich sichtbaren Zeichen der anhaltenden Trockenheit. Wie schon in den letzten beiden Jahren fällt das Laub früh. Viele der Bäume wirken angegriffen, manche sind schon recht kahl.
Und dann ist am Oberlandesgericht der Hausmeister mit dem Laubbläser zugange und die Stadt wirbelt das Laub mit der Kehrmaschine herum. Natürlich. Die denken wirklich nicht darüber nach, oder? Mir kommt ein Sponti-Spruch aus den 1980ern in den Sinn: Alle wollen zurück zur Natur, aber keiner zu Fuß. Immerhin sieht man trotz katastrophaler Infrastruktur auch in Köln immer mehr Menschen auf dem Rad, die damit zur Arbeit fahren oder Erledigungen machen. Man darf nicht verzweifeln. Verzweiflung lähmt.
Wuff!
Und so heitert mich der Anblick des weißen Terriers auf, der mir an der Hundewiese entgegenkommt. Es könnte Struppi sein aus den Comics von Hergé! Unternehmungslustig wippen die Hundeohren im Takt. Da ist keiner verzweifelt. Da ist man entschlossen! Wie die Rosen: Im Rosengarten ist die größte Pracht verblüht, doch die Unermüdlichen sorgen bis weit in den Herbst für buntes Gewimmel. Und vermutlich auch darüber hinaus, aber ab dem 1. November ist der Rosengarten wie in jedem Jahr über den Winter geschlossen.
In die Freiheit!
Aus einem der Gärten neben dem Park seilt sich ein Kürbis ab. Er hat es über den Zaun geschafft und lässt seine Arme mit Blüten und einem reifenden Kürbis rüberhängen. Nicht weit entfernt ein Plakat. Vor Ort – Im Netz – In der Stadt: Von jeher meine Überzeugung, dass es so sein muss. Die Verbindung von digitalem und nicht-digitalem Raum. Teilhabe ermöglichen. Sichtbarkeit herstellen. Kontakt. Ein Plakat aus dem Juli, aber hoffentlich nicht von Gestern. Üppig tragender Feuerdorn nickt dazu.
Ich betrete das Haus.
Und benutze dafür einen Haustürschlüssel. Den Wohnungsschlüssel. Ein Zelt hat keinen Schlüssel. Seltsam ist es, das Leben wieder in geschlossenen Räumen. In einem Bett schlafen. An einem Tisch essen. Mal eben in Hausschlappen ums Eck aufs Örtchen. Vorm Bildschirm sitzen.
Ja, es ist Luxus oder vielmehr ein Privileg, beim Zelten auf alles mögliche zu verzichten, selbst auf einen warmen und abschließbaren Raum, wenn man diesen da weiß. Ein Raum mit Waschmaschine und Kühlschrank. Zwei nicht zu unterschätzende Erfindungen. Fließend Wasser aus dem Hahn und Strom aus der Steckdose. Und WLAN. Über das ich gerade munter Daten synchronisiere und Euch diese Zeilen sende. Mit herzlichen Grüßen aus dem Nicht-mehr-Urlaub!
Eine Empfehlung: Geschichte und Zustand der Demokratie
Ich las dazu heute ein sehr, sehr gutes Gespräch von Elisabeth von Thadden mit Hedwig Richter.
Letztere schrieb ein Buch, das ich lesen werde. Es erscheint Ende der Woche bei C.H. Beck.
Wunderschön.
Herzen öffnend und ankommend.
Danke für deine wieder einmal wunderbaren Worte liebe Wibke.
Ich danke Dir, Dani. Fürs Lesen. Fürs Schreiben.