Ich trete vor die Tür.
Die Mauersegler toben mit lautem Zirpen im Tiefflug durch die Straßen des Agnesviertels. Gewitter liegt in der Luft. Die Straßen sind überraschend leer. Die Schulferien in NRW haben begonnen und offenkundig ist die halbe Stadt auf Reisen. Die andere Hälfte rauscht in luftiger Sommerkleidung an mir vorbei. Ich selbst komme gerade zurück von einer Reise und blicke von meinem noch stillgelegten Gleis auf die vorbeifahrenden Züge.
Fahrtwind erfasst mich und treibt mich Richtung Agneskirche. In meinem Arm ein Stapel aussortierter Bücher für den Bücherschrank. Ich tätschele das Patenkind zur Begrüßung und ordne den Inhalt. Eine Nachbarin kommt hinzu, wir sprechen über einige Bücher, über Inspiration und die Serendipität des zufällig Zusammenstehenden. Und dass man immer etwas findet – leider, denn die Bücherstapel wachsen daheim die Wände hoch. Ich bemühe mich beim Ordnen stets sehr darum, die Augen auf professionellen Durchzug zu stellen, rauszuzupfen, was kaputt oder ähnliches ist, die Kinder- und Jugendbücher ins vorgesehene Fach zu räumen und auf die gläsernen Seiten das, was ich besonders schön finde. Heute stoße ich auf einige famose Graphic Novels, widerstehe dem Greifimpuls und stelle sie frontal auf ein leeres Regalbrett. Darüber wird sich die Nachbarschaft freuen, ich bin sicher. Eine Frau, die mit ihrem Kind unterwegs ist, stürzt sich freudig auf eine saftige Schmonzette. Genau das Richtige bei dem Wetter, sagt sie, und segelt davon.
Ich parke zwei völlig zerfledderte, alte Schinken in einer Ecke des Bücherschranks, um sie später mitzunehmen, und gehe zum Ökomarkt gleich nebenan. Große Freude beim Anblick von Gemüse und Obst, das momentan unweit von Köln geerntet wird. Der Biohof Bursch erhielt übrigens gerade eben erst die Auszeichnung als Preisträger des Bundeswettbewerbs Ökologischer Landbau 2022 – ich gratuliere! Meinen Appetit muss ich indes zügeln: Gewitterluft bedeutet auch, dass es mangels kühlem Vorratsraum und mit nur kleinem Kühlschrank wenige Möglichkeiten gibt, frisches Gemüse zu bevorraten. Seufzend streiche ich im Kopf mal gleich die Hälfte von allem, was sich mir anbietet. Es kommen mit: Salate, Kräuter, rote Bete, Zucchini und zwei Hände voll rotes Gold: Kirschen. Die sind in diesem Jahr besonders gut und scheinen die Wetterkapriolen gut überstanden zu haben.
Kurz erwäge ich, noch meinen üblichen Gang ins Heimbüro anzuschließen. Aber die drückende Wärme lässt mich meine Tüte mit Gemüse schnappen, die zwei zerfledderten Bücher und ich schreite gen Wohnung. Es ist ein warmer Tag. Ich trage luftige Shorts, eigentlich spitze, aber da, ein Hosenbein kriecht hoch und präsentiert der Nachbarschaft Körperteile. Apropos Nachbarschaft: Während ich mit Büchern und Einkäufen im Arm umständlich hüpfe und mein maßlos entblößtes Bein schlenkere, um dieses widerspenstige Hosenbein zurück in Position zu bringen, lacht und winkt von der anderen Straßenseite ein Nachbar, huhu, ja, sehr witzig. Es ist witzig. Ich lache mit und, siehe da, das Hosenbein tut wieder, was es soll.
Das Agnesviertel ist mein Dorf. Und auch wenn es mich manchmal nervt, lebe ich doch meistens gern hier. Schön, wieder zurück zu sein, selbst wenn ich mit dem Reisen noch eine Weile hätte weitermachen können. In der Wohnung, die mir an manchen Wintertagen zu dunkel und zu kalt ist, empfängt mich angenehme Kühle. Ich stelle die Kräuter ins Wasser und raus und den Vögeln und Insekten Wasser auf den Feuerschutzbalkon und hoffe, dass sich rasch herumspricht, dass wieder welches dort steht.
Zurückkommen. Stets blicke ich ein wenig neiderfüllt auf Menschen, die diese Übergänge zwischen Wegsein und Wiederdasein mühelos hinbekommen. Bei mir dauert das alles immer seine Zeit. Aber damit hadern ist auch Unsinn. Wie weit man weg war, merkt man oft erst, wenn man wieder zurückkehrt. Den Bücherschrank ordnen, mich ordnen, den zurückliegenden Monat ordnen, den Salat in der Heimbürokantine ordnen. Wohlan.