Natürlich bin ich noch nicht durch mit der Wallonie. Nachdem ich Euch auf meinem Fahrradgepäckträger in die Wallonie und zu einigen besonders schönen Unterkünften mitgenommen habe, komme ich nicht umhin, hier noch einige herzliche Empfehlungen für Orte und Regionen auszusprechen, Orte und Regionen, die auch ganz unabhängig von einer Radreise einen Besuch wert sind. Ob Ausflug, Wochenende oder sogar Urlaub – vielleicht verreist Ihr auch demnächst nach Frankreich oder an die flämische oder niederländische See und legt einen Abstecher ein?
Unterwegs in der Bilderbuchlandschaft des Herver Lands
Hier sollte man möglichst langsam hindurchreisen, unbedingt abseits der großen Straßen und der langgezogenen Straßendörfer. Die vermitteln nämlich einen ganz falschen Eindruck von diesem Landstrich. Es lohnt sich also, möglichst bald abzubiegen und mit einem Köpper in einer bukolischen Landschaft zu verschwinden, in der der Blick weit über sanft gewellte Wiesen mit Kühen und Schafen, Bauernhöfe, stille Weiler, sich zwischen Streuobstwiesen malerisch schlängelnde Wege, Hecken, Sträucher und Wälder schweifen kann. Wenn dazu ein blauer Himmel liebreizend gepuffte Wolken trägt, ist das Glück vollkommen.
Spektakulär? Nein, keineswegs. Und das ist gut so. Ob man nun mit dem Rad fährt, mit dem Pferd unterwegs ist, mit dem Auto eine Fahrt ins Blaue oder eine Wanderung unternimmt: Wenn man dem Herver Land entspannt in die Arme sinkt, ist die Glückseligkeit nicht fern. Dazu ein paar Fritten, ein belgisches Bier der Abbaye du Val Dieu oder ein Glas Cidre und ein Stück Herver Käse mit einem Sirup aus Äpfeln und Birnen – mmmh ..! Bitteschon, der Espace des saveurs: Der Köstlichkeitenraum mit Erzeugnissen aus der Region.
Im Schatten des Zweiten Weltkriegs: Fort Battice
Heiter gestimmt von der arkadischen Idylle des Herver Landes sah ich durch die Bäume hindurch plötzlich mächtige Bauwerke. Ein Bunker?
Rasch klärte es sich: Ich stand vorm Fort Battice. Es ist eine von vier Festungen, die von 1934 bis 1937 gebaut wurden. „Im Mai 1940 widerstand es der deutschen Belagerung 12 Tage lang unter heftigstem Beschuss der schweren Artillerie und der Luftwaffe”, lese ich auf der Website. An manchen Tagen ist das Fort für Führungen geöffnet – übrigens wird gerade jemand gesucht, der oder die Führungen in deutscher Sprache machen kann. Mann kann dann etwa die Haupträume und Versorgungseinrichtungen 35 Meter unter der Erde besuchen. Belgien, die Wallonie, alles Gegenden, die über die Jahrhunderte stets Ort von Kriegen und Schlachten waren und deren Zeugnisse heute zu Frieden, Güte und Verständigung mahnen. Im Wissen um die gegenwärtigen Kriege sind diese Vermächtnisse umso wichtiger.
Wohl und Wehe an der Ourthe
Vor etlichen Jahren war ich mit Freunden an der Ourthe zum Paddeln und Zelten. Und an der Lesse. Und an der Semois. Ich kann mich kaum mehr daran erinnern, so sehr war ich offenbar mit mir selbst beschäftigt. Aber die Erinnerungen, die ich noch hatte, erfüllten mich mit Vorfreude auf diese Flusslandschaft. Umso betrübter blickte ich auf die immer noch sichtbaren Zerstörungen durch die Flutkatastrophe im Juli 2021, als ich meinen Übernachtungsort Esneux verließ und auf dem Ourthe-Radweg gen Süden fuhr. Mich gruselte etwas, wenn ich durch die Überbleibsel in den Bäumen und die Schäden an Häusern sehen konnte, dass ich just eben unter der damaligen Wasserlinie fuhr. Hier spürte man auch atmosphärisch, welche Narben und Wunden dieses Ereignis hinterließ. Je weiter ich nach Süden kam, desto lieblicher und belebter wurde es. Ich passierte den freundlich lächelnden Roche aux Corneilles, bestimmt war er früher mal ein Felsenbeißer. Das Flusstal öffnete sich und ich erreichte Durbuy.
Ich legte meine Hand auf die Geschichte von Durbuy
Sehr touristisch sei es, hörte ich im Vorfeld. Eine der Top-Destinationen des Jahres, las ich bei TripAdvisor. Derart vorgewarnt fuhr ich mit einem etwas mulmigen Gefühl in die mittelalterliche Stadt Durbuy ein. Viele Menschen waren auf den Straßen, viele Autos in den engen, mit Kopfstein gepflasterten Straßen machten es mir auf dem bepackten Rad zunächst schwer. Doch schon nach wenigen Minuten und eine Straße weiter stellte sich Frieden ein. Dieser Ort, der mit einigen anderen auf der Welt den Titel der kleinsten Stadt der Welt für sich beansprucht, vermittelt trotz sichtlicher Beliebtheit Ruhe und Gemächlichkeit. Wie auf einer Insel ist vielleicht allen bewusst, dass es hier zwar viel zu gucken gibt, aber man auch schnell durch ist. Eile bringt also überhaupt nichts und Hektik katapultiert einen höchstens flotter am anderen Ende der winzigen Stadt hinaus, als einem lieb ist.
Von jeher ist Durbuy ein Ort der Durchreisenden. Man ist Gäste gewöhnt und macht kein großes Gewese darum. Wegen der Bedeutung als Ort des Handels wurden Durbuy im Jahr 1331 von König Johann von Böhmen, dem Graf von Luxemburg, die Stadtrechte verliehen. Nun, es hat seine Chancen genutzt und hat seinen Status als Knotenpunkt für den Handel und später für den Tourismus gewahrt. Irgendwo las ich, dass man Durbuy auch als Saint-Tropez der belgischen Ardennen bezeichnet. Dass sich hier vor allem betuchtetere Menschen in einem der allesamt hübsch wirkenden Geschäfte, Hotels und Restaurants wohlfühlen, ist sicher nicht ganz falsch. Dennoch ist Durbuy kein geleckter, seelenloser Touri-Ort. Nachhaltiger Tourismus und Slow Travel sind hier ein Anliegen, das ist spürbar. Mir hat es wirklich gut gefallen.
Als ich am Morgen in Durbuy aufbrach, hatte ich noch eine Suchaufgabe: Wo ist die Rue Daufresne de la Chevalerie? Diese Straße ist die älteste in Durbuy und wurde ausschließlich mit Flusskieseln aus der Ourthe gepflastert. Ich studierte erfolgslos den Straßenplan und versuchte dann, anhand von Fotos bei Instagram zu rekonstruieren, wo ich diese Straße finden könnte. Da der Ort so klein ist, robbte ich mich an die vermutete Ecke heran und, da, ein Schild!
Lustigerweise hatte ich genau diese Ecke am Abend vorher schon fotografiert, weil alles so hübsch aussah. Nun rutschte ich auf Händen und Knien auf den alten Pflastersteinen herum, was für die zu dieser frühen Stunde wenigen passierenden Menschen sicherlich sehr vergnüglich war. Vielleicht ein bisschen verrückt, aber ich mochte es einfach, diese alten Steine kurz zu tätscheln und ein Foto zu machen. Vielleicht gibt es unter den Leser*innen hier ja jemand, der weiß, wann diese Straße gepflastert wurde. Nahe des Ortes gibt es Spuren menschlicher Besiedlungen aus der Steinzeit, Durbuy selbst lag an einer Römerstraße und im Mittelalter wurde eifrig gehandelt. Über diese Flusskiesel ist also erst viel Wasser geflossen, später sind dann viele Füße darüber gelaufen. Wow.
Die Maas und die Legende vom Bayardfelsen
Von der Ourthe fuhr ich Richtung Westen über das stille, ländliche Condroz an die Maas. Kurz vorher kam ich an der Abbaye Notre-Dame de Leffe vorbei (Liebhaber*innen des belgischen Bieres merken hier auf), dann fuhr ich um die Ecke und sah die Maas. Vielleicht mag ich Flüsse einfach, aber ähnlich wie die Mosel hat die Maas etwas an sich, was mein Herz kurz freudig hüpfen lässt. Die Maas entspringt in Frankreich und fließt durch Belgien und die Niederlande, um dort in einem weit verzweigten Flussdelta mit dem Rhein zu tändeln, bevor es ab in die Nordsee geht. Bei Dinant bricht die Maas durch die Felsen der Ardennen. Und hier suchte ich die Stätte einer schönen Legende auf. So schön ist sie eigentlich gar nicht, aber es kommt ein Pferd vor: Bayard.
Bayard war das mächtige Wunderpferd des heiligen Reinhold von Köln (oder auch Reinhold von Montauban). In der Legende wird er zu einem der Haimonskinder und Neffe Karls des Großen. Ich habe nicht ganz verstanden, warum, aber Karl der Große trachtete den Haimonskindern nach dem Leben. Die Haimonskinder galoppierten auf Bayard davon. Auf der Flucht vor Karl setzte Bayard zu einem Sprung an, traf mit seinem gewaltigen Huf den Felsen bei Dinant und spaltete ihn 40 Meter tief. Es half nichts: Für Bayard endete die Legende tödlich, er wurde ertränkt, Reinhold brach es das Herz, die Brüder ergaben sich Karl.
In Wahrheit war die Geschichte ganz anders: Pioniere aus dem Heer Ludwig XIV. (1638-1715) sprengten im Zuge der französischen Invasion einen Durchlass in den Felsen, um den Weg für eine Straße entlang des rechten Maasufers für die Truppen freizumachen.
Alle weg, die Truppen, Bayard, die Haimonskinder, Karl. Aber der Bayardfelsen steht nach wie vor da, nun ja, wie ein Felsen. Und wenn man neben ihm steht, glaubt man alles.
Dinant ist unbedingt eine Reise wert. Man sitzt herrlich am Ufer der Maas, hat schöne Blicke und kann sich ausgezeichnet verköstigen lassen. Das Saxophon wurde hier erfunden. Viel weiter bin ich in die Stadt nicht vorgestoßen, aber das gedenke ich eines Tages zu ändern.
Erdbeeren futtern in Wépion
Auf dem Weg nach Namur rauscht man rasch vorbei, aber insbesondere zur Erdbeerzeit sollte man in Wépion einen Zwischenstopp einlegen, das als Erdbeerhauptstadt nicht nur der Wallonie, nein, sondern von ganz Belgien gilt. Ob das kleine Erdbeermuseum unbedingt einen Besuch wert ist, vermag ich nicht zu sagen. Es wirkt ein wenig unscheinbar, aber das mag täuschen. Aber es finden sich nicht nur diverse Wagen der Erdbeerhöfe, sondern auch ein kleiner Früchtegarten, der während der Öffnungszeiten frei zugänglich ist und in dem man förmlich von der Hand in den Mund leben darf: Es darf gefuttert werden, was wächst. Mit einer Einschränkung: Man darf nur vor Ort essen und nichts auf Vorrat sammeln. Eine nachvollziehbare Regel. Indes blieb mir der Eingang verwehrt, aber für die vielen kleinen Köstlichkeiten war ich im Jahr noch zu früh dran. Inzwischen dürfte es vor Ort reichlich zu kosten geben.
Am Erdbeerstand erlebte ich übrigens etwas, das ich so noch nicht kannte: Es wurden gleich mehrere Sorten angeboten. Ich entschied mich für ein Schälchen Cléry und verspeiste mit Blick auf die Maas meine ersten Erdbeeren des Jahres.
Die Wassergärten von Annevoie
Es war auf den letzten Drücker: Durch eine Sperrung des Maasradweges und das Fahren einer Umleitung erreichte ich erst eine Stunde vor Schließung die Wassergärten von Annevoie. Beinahe wäre ich kurzerhand weitergefahren, hätte die Gärten links liegen lassen, denn es ging nochmal ordentlich einen Hügel hoch. Auf einer recht stark befahrenen Straßen. Einer engen, stark befahrenen Straße. Aber ich raffte nochmal alle Resilienz und alle Oberschenkelmuckis zusammen und stemmte mich samt Gepäck die Steigung hoch. Ich fand keine Fahrradparkplätze. Todesmutig stellte ich mein kostbares Gefährt neben einer Hecke ab, hängte ein Paar miefender Socken als zusätzlichen Diebstahlschutz über die Taschen und hoffte, dass sie mitsamt dem Schloss ausreichen. Mit hängender Zunge, der nette Mensch an der Kasse, die Gärten, ach, es hat sich gelohnt.
Wer Sinn für Gartenkultur hat und den Gang durchs kultivierte Grün schätzt, dem seien die Wassergärten von Annevoie ans Herz gelegt. Springbrunnen, Wasserfälle, Teiche und Fontänen: Überall sprudelt es, ganz ohne technische Unterstützung. Das ist möglich durch Ausnutzung des natürlichen Gefälles und geschicktes Anlegen von Reservoirs. Ansonsten sind die Wassergärten von Annevoie eine Art Best of des europäischen Gartenbaus im 18. Jahrhundert. Man findet die aufregenden Blickachsen der französischen Gärten, die Liebe zu arkadischen Landschaften der englischen Gartenkultur und die italienischen Renaissancegärten mit ihrem Balanceakt zwischen Architektur und Natur.
Quasi ein Sinnbild Europas, was mir ausgesprochen gut zur Wallonie, nein, zu Belgien überhaupt zu passen scheint. Hier gibt es ein Miteinander der Kulturen, aus der im Ausgleich wie im Kontrast eine ganz eigene Kultur entsteht. Unterschiedliche Stile werden mit entspannter Leichtigkeit und Mut zum Schrägen, zur Eckigkeit miteinander verbunden.
Und die Fritten?
Tatsächlich kamen die Fritten kurz. Keine, nun ja, kaum Fritten für mich! Ich hatte Pech mit meinen Friterien, denn entweder waren sie komplett geschlossen oder ich fuhr außerhalb der Öffnungszeiten vor. Ich musste dann allerlei sonstige Leckereien essen, darunter die ersten Trüffel meines Leben. Zurück in Köln musste ich dann ziemlich oft Wiedergutmachungsfritten nach belgischer Hausmacherart essen. Was will man machen?
Namur!
Dazu gibt’s dann bald bei den Herbergsmüttern mehr. Denn wir waren zu dritt auf #KultourWallonie und folgten damit einer Einladung Tourismusverband Belgien-Wallonie. Daher ein …
… Transparenzhinweis
Die Reisekosten wurden vom Tourismusverband Wallonie Belgique Tourisme/Belgien-Tourismus Wallonie übernommen, und zwar vom 5. bis 8. Mai 2022 inklusive Anreise und Auslagen. Vom 2. bis 4. Mai war ich auf eigene Rechnung unterwegs, bei der Buchung meiner Unterkünfte haben mich Barbara Buchholz und ihre Kolleg*innen vom Tourismusverband teilweise unterstützt. Herzlichen Dank für das unkomplizierte und herzliche Miteinander!
Ich müsste hier aus formalen Gründen schreiben, dass meine Meinung unbeeinflusst war und ist, aber die Freundlichkeit und nette, prompte Kommunikation auch in Social Media hat mich doch schon im Vorfeld, während und nach der Reise für die Wallonie eingenommen. Daher gleich auch einfach eine Folgeempfehlung für Instagram, Facebook und Twitter, wo man mit den Menschen vom Tourismusverband ins Gespräch kommen und andere Eindrücke von der Wallonie erhalten kann.
Sehr gerne bin ich, trotz der ganzen Tweets und Posts und Erzählungen, nochmal mitgereist. Es ist doch verblüffend, wie vielfältig dieses kleine Land, ach was, die Hälfte dieses kleinen Lands ist. Und ich bin schon fast konkret mit der Planung eines Ausflugs ins Herver Land. 🙂
Danke, Ute! Geht mir auch so! Ich glaube, wir stecken uns vor allem gegenseitig erneut an. Richtig schön. Ich möchte nämlich unbedingt als nächstes nach Orval, Redu und Villers-la-Ville! Lüttich muss ja auch noch … Und wie schön, dass es gar nicht so weit weg ist. Vielleicht können wir auch einfach mal zusammen fahren. <3
Das wäre schön. ????