Ich trete vor die Tür, in die Kurzvorhalbachtwelt.
Noch so gerade eben liegt die Erinnerung an nächtliche Stille in den Straßen. Im Dämmerlicht kauern vereinzelt rauchende Menschen auf Bänken. Ein Auto braust viel zu schnell und viel zu laut übers Kopfsteinpflaster. Zwei Straßen weiter dröhnt ein Laubbläser. Jemand hat Hängeregistermappen ausgesetzt. Ich erinnere mich, dass ich bei meinem Selbstständigwerden vor nunmehr fast zwölf Jahren unbedingt einen Hängeregisterschank haben musste. Zurückblickend glaube ich, dass ich mir davon eine gewisse innere Sortiertheit durch die äußere Sortiertheit versprach. Aus beidem jedoch wurde nichts und der Hängeregisterschrank zog damals dann auch nicht mit ins Heimbüro.
An Petras Kiosk baumeln Luftballons.
Dalli klick!
Auf dem Weg zum Rhein komme ich an Schlagzeilen vorbei, irgendwas mit dem vage bekannten Name eines Fußballspielers. Ich frage mich, seit wann eigentlich das Wissen um die Besetzung von Sportmannschaften zur Allgemeinbildung zählt. Durch eine Empfehlung war ich mal auf eine Liste mit Kandidat*innen für eine Quizshow im TV gerutscht. Ich war nicht ernsthaft daran interessiert, einen Abend mit einem TV-Moderator zu verbringen, den ich noch nie gut ertragen konnte. Aber ich war neugierig, wie solch ein Auswahlverfahren läuft. Eines Tages landete ich also bei Probeaufnahmen auf der anderen Rheinseite. Es offenbarte sich mir eine seltsame Vorstellung von Allgemeinwissen. Im Grunde ging es vor allem um Mainstream-Popkultur und Sport.
Das nicht zu wissen, bekümmert mich eher wenig. Historische, geologische oder etwa biologische Dinge nicht zu wissen, finde ich hingegen interessant. Denn das möchte ich dann wirklich wissen. Von allem aus dem Geisteswissenschaften natürlich ganz zu schweigen. Ich erinnere mich noch gut an Quizshows, die ich als Kind gern schaute: Der große Preis, bei dem Kandidat*innen mit teilweise absurdem Spezialwissen antraten. Oder Dalli Dalli, wo es um Geistesgegenwärtigkeit und so temporeiche wie gutmütige Spiellust ging. Da ging man immer mit etwas raus, was eigenartig, aber schön zu wissen war.
Wie es mit der Quizshow weiterging? Es gab noch mehrere Anrufe und Einladungen, auch zu anderen Quiz-Sendungen und Spiel-Shows. Irgendwann habe ich mich von der Liste streichen lassen. Es gab einfach keine Sendung, die mich wirklich interessiert hätte. Zimmer frei oder Alfredissimo gibt’s ja nicht mehr …
Am Anleger ist alles ruhig.
Kaum jemand ist zu sehen. Der November tastet mit kalten Fingern nach meinem Gesicht. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke zu und ziehe die Ärmel über meine Finger. Das Wetter am Rhein ist immer etwas anders als zwischen den Häusern. Der Strom führt wenig Wasser. Es fehlt der Regen. Der Rheinpegel meldet einen Stand von 140cm. Normal sind 321 cm.
Von der Zoobrücke rauscht der Pendelverkehr. Die einen fahren aus Köln raus, die anderen nach Köln rein. Nicht zum ersten Mal denke ich, ob ein Jobtausch nicht eine Lösung sein könnte.
Aus dem Rheinpark auf der anderen Seite des Flusses höre ich spitzes Kreischen: Die Möwen rufen sich Sache zu. Aus einem Schlafbaum dringt der Radau einer Bande von Halsbandsittichen zu mir rüber. Möwen und Papageien. Und das mitten im Rheinland.
„Guten Morgen. Iltis! Iltis! In einem Monat ist Heiligabend.“
Ich komme an einem Haus vorbei, dessen Fassade saniert wird. Im Gerüst an der Hauswand kleben Handwerker wie Glühwürmchen mit ihren Bauleuchten. Das Baustellenradio plärrt schockierend Frühliches. Nein, Fröhliches. Ach, ich lass‘ das jetzt so. Ob tatsächlich nach einem Iltis gerufen wurde? Mein Ohr besteht darauf.
Ich erreiche den Park. Die immergrünen Büsche tragen gelbe Mützen aus dem Laub der Nachbarbäume. Auf der Hundewiese noch ein Glühwurm: Mit einem giftig-grün blinkenden Halsband zieht ein dunkelfarbener Hund seine Runden und lässt sich von seinem Inhaber etwas werfen. Als ich die Straße kreuze, kommt mir ein anderer Hund mit seiner Inhaberin entgegen. Beide gähnen mir herzhaft einen Morgengruß entgegen. Der Hund schnüffelt im Vorbeigehen an meinem Bein, um mich aber rasch als uninteressant abzulegen und sich weiteren Erledigungen zu widmen. Meine Hand, schon zum Flauschen erhoben, sinkt wieder herab.
Am Balkon des Veedelsflaneurs ein stiller Gruß.
Nun ist es etwa ein Jahr her, dass wir uns zuletzt begegnet sind. Nicht lange danach starb er. Er fehlt. In all seinem Stillsein, seiner kauzigen Eigenart und seinem Gehen in den Straßen.
Ich erreiche die Agneskirche mit dem Glockenschlag. Die Straßen sind inzwischen belebter, die Wolken sind wie eine Bettdecke vom Himmel gezogen worden. Ich sehe den Mond. Und Kinder mit wirrem Haar und beinahe noch mit Kopfkissenabdrücken in den blassen Gesichtern. Mit ihren Rollern und auf kleinen Fahrrädern witschen sie über die vom Laub glitschigen Wege in die Schulen.
Am Bücherschrank lege ich einen Halt ein, ordne die Bücher, sortiere einen uralten CD-Katalog aus (warum stellt man so etwas in einen Bücherschrank?) und freue mich über eine der schönen alten Taschenbuch-Ausgaben im Diogenes Verlag. Jüngst erschienen übrigens die Tage- und Notizbücher von Patricia Highsmith – eine Sensation, als „nach ihrem Tod 1995 in ihrem Wäscheschrank 18 Tage- und 38 Notizbücher gefunden wurden“. Neulich hörte ich im Radio einen Beitrag darüber, der mich neugierig machte.
Alles andere als Neugier verspüre ich, als ich den Zettel an der Haustür lese, der auf Dreharbeiten vor unserer Haustür aufmerksam macht. Da sind wir dann schon wieder beim Fernsehen. Bei dieser Gelegenheit mache ich aber gern auf schönes Fernsehen aufmerksam: In der Arte-Mediathek ist noch bis zum 9.12. ein Film von Ken Loach zu sehen, Jimmy’s Hall. Lief hier gestern im Pantoffelkino. Mochte ich und der Idealismus und der Glaube an Solidarität, Menschlichkeit und Aufrichtigkeit, der Ken Loachs Filme auszeichnet, tut in diesen Zeiten einfach gut.