Ich trete vor die Tür.
Nun ja, treten? Eigentlich komme ich mir dieser Tage mehr vor wie ein Heißluftballon, der prall gefüllt mit Gedanken und Sorgen über die Weltlage mit dem Korb über den Boden schleift, pa-dömm, pa-dömm. Dass der Winter nochmal schwierig wird, ist keine Überraschung. Dass dieses Land jedoch Hals über Kopf in eine Katastrophe schlingert, laste ich nicht nur denen an, die sich in wirre Fantasien flüchten, sondern insbesondere der Politik. Was für ein Irrsinn, wider alles besseres Wissen.
Und so trabe ich ziemlich geladen los und bemühe mich, ordentlich in die Füße zu atmen. Klingt ulkig, hilft aber meistens. Der Druck entweicht und ich atme seit Tagen endlich mal wieder durch den ganzen Körper. Prompt weitet sich auch der Blick. Ich freue mich am bunten Laub, das im dunkelfeuchten Novembergrau leuchtet. Tiefes Gold, sattes Rostrot. Wie nannte man Rostrot wohl, als man noch keinen Rost kannte? Und Goldgelb?
Am Anleger alles ruhig. Zwei stehen recht entspannt dort und sprechen miteinander. Ihr Entspanntheitsgrad erinnert mich daran, die Jacke zu öffnen und die Mütze wieder abzunehmen: Es sieht nach November aus. Mutter Natur bemüht sich um Jahreszeitentypisches: grauer Himmel, diffuses Licht, die Flora in der Übergangsjacke. Aber es ist ungewöhnlich warm.
Unten am Saum von Vater Rhein putzt sich ein Enterich.
Der Rosengarten am preußischen Fort X ist wie in jedem Jahr von November bis Mai geschlossen. Die Rosen haben nun ihre Ruhe und können sich von all der Bewunderung erholen. Ich erwische aber Rosen in freier Wildbahn. Sie stehen direkt an der vielbefahrenen Rheinuferstraße und werden selten angeschmachtet. Ich tue mein Bestes, um dieses Defizit auszugleichen und rufe ihnen Ermunterndes zu.
Der freie Blick auf die Domzipfelmützen ist zunächst irritierend. Dann fällt mir auf, dass die Bäume an der Rheinuferstraßen frisch zurückgeschnitten sind und sämtliches Laub entfernt wurde. Rad- und Fußwege ohne festgestampftes, glitschiges Laub darauf – ein seltener Anblick in Köln.
„Es knospt unter den Blättern. Das nennen sie Herbst.“ Hilde Domin
Hm. Was ist das? QR-Codes zum Selberausfüllen auf der Straße? Ist das ein Kommentar zum Nutzen von QR-Codes inmitten einer Pandemie, wo Menschen auf das weiß-schwarze Gekrissel starren und offenbar daran auch ohne Scannen erkennen können, ob jemand geimpft ist oder nicht? Wurde Euer QR-Code schon mal gescannt? Also, meiner nicht …
Monster! Ich freue mich über ein neuentdecktes Stück Straßenkunst. Ha! Ha! Bla bla. Ein etwas defätistischer, aber vermutlich passender Kommentar zu dieser Zeit.
Auf der Hundewiese ist was los: ein dunkler Labrador galoppiert einen großen Kreis, ein weißer hinterher. Der Weiße ist zu aufdringlich, das sieht man sofort. Kein Mindestabstand, wiederholtes Antatschen mit der Schnauze. Der Dunkelbraune lässt sich irgendwann, platsch, einfach auf die Wiese fallen und wirft seinem Inhaber anklagende Blicke zu. Der Weiße wird ermahnt und abgelenkt: ein Ball fliegt, ein Schwung Hunde wetzt hinterher – und wer wetzt vor allen anderen mit dem Ball im Maul davon? Natürlich der Dunkelbraune.
An der Großbaustelle im Viertel wurde eins der noch erhaltenen Häuser interessant verpackt. Finde ich schön so. Auf der Baustelle selbst finde ich wie immer interessant, wie Grüppchen zusammenstehen, einer was macht und der Rest, ja, was? Fachmännische Ratschläge gibt? Etwas hält, wenn es etwas zu halten gibt? Rätselhafte Arbeitswelten. Arbeit sieht ja nun nicht immer wie Arbeit aus – von Einer, deren Arbeit oft darin besteht, vor einem Bildschirm herumzusitzen und auf Tasten zu drücken. Sieht vermutlich auch oft genug komisch aus. Ansonsten wird viel gebaggert, das Loch ordnet sich.
Nachdem ich neulich vom Dombaumeister höchstpersönlich ermahnt wurde, weil ich meinte, der Dom habe einen dicken Hintern: Hier, bitteschön, auch Frau Agnes hat ein recht ausladendes Hinterteil. So gehört sich das. Vornerum ist heute Ökomarkt. Mich stimmt das freundliche Budendorf allwöchentlich froh. Mein Grünzeug für diese Woche hatte ich mir allerdings schon über die Marktschwärmer gesichert (Schwarzkohl, juhu!). Nachdem ich vor einer Weile den Käsestand für mich erschlossen habe, erstehe ich dort noch einen großen Laib roten Bollheimer, einen kleinen Laib Ziegenfrischkäse und ein Stück Bergkäse.
Ich erreiche die Haustür, die Wohnungstür, den Schreibtisch. Ich atme sicherheitshalber noch ein bisschen, bevor ich mich den Aufgaben des Tages widme. Weiteratmen. Weitergehen. Es geht weiter. Wohlan.
P.S. Im Podcast sprachen Peter und ich übrigens über den November, einen Monat, der es einem ohnehin nicht immer ganz einfach macht. Jemand kommentierte, dass Januar und Februar eigentlich schlimmer seien. Ja, das finde ich auch, denn das Warten auf den Frühling wird mir da oft recht lang und der Winter scheint kein Ende zu nehmen.