Jeden Monat am Fünften fragt Frau Brüllen: Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Das frage ich mich allzuoft selbst. Zuletzt bloggte ich im November mit, stelle ich fest. Da fuhr ich übrigens einfach so zur Frau Mutter. (Man dachte sich damals ja noch nichts dabei. Risikogruppe, das war ein Begriff aus einer anderen Welt.) Im Dezember kam ich nicht zu #wmdedgt, weil ich im Buchladen arbeitete. Und dann habe ich es immer vergessen. Heute morgen kam dann die Erinnerung von Frau Brüllen bei Twitter. Wohlan.
Früh aufgewacht.
Während ich überlege, wie spät es wohl sein mag und ob ich auf das Mobilgerät gucken sollte und wie es denn mal wieder mit einer Uhr neben dem Bett wäre, läutet Frau Agnes sechs Uhr. Ohne Kirche nebenan wäre ich zeitmäßig aufgeschmissen. Für einige Monate fiel das Läuten mal aus, weil die Uhr kaputt war und ohne Uhr kein Läuten. Da aber zwei Firmen beteiligt waren, die eine für die Uhr, die anderes fürs Läuten – oder war es anderherum? Egal. Die gute Frau Agnes läutet zur vollen Stunde und mit Bim, Bim-bim, Bim-bim-bim und Bim-bim-bim alle Viertelstunde. Sie ist gewissermaßen meine Zeitmanagerin.
Wer früh aufwacht, kann länger lesen. Erst Twitter, dann noch einige Seiten in Jane Gardams „Eine treue Frau”. Lebenentwürfe. Entscheidungen. Freiheit und Unfreiheit. Liebe die Bücher von Jane Gardam, selbst wenn das Leben ihrer Protagonist*innen doch recht beklemmend ist.
Und schon gibt es Frühstück.
Seit Jahresbeginn meistens Müsli mit Banane und manchmal auch Apfel. Dazu die Lokalzeitung. Darin ein Interview mit Siri Hustvedt, die angenehm angefressen klingt. Wäre ich auch, lebte ich in New York und müsste mit einem solchen Präsidenten leben. Das Interview indes liest sich wie ein Aufguss eines Interviews mit ihr, das ich vor einiger Zeit, hm, in der New York Times oder so, las. Nun ja. Viel interessanter aber ist, dass ich zwar vor längerem mal ein oder zwei Bücher von ihr las und sie dann doch aus dem Blick verlor. Wenn ich mir ihre Bücher nochmal genauer ansehe, wird sich das vielleicht ändern.
Darüber denke ich nach, während ich die Spülmaschine ausräume. Der Spülesel ist in diesen Wochen öfter als sonst im Einsatz, weil ich mittags für die Heimbürogemeinschaft koche. Ausräumen, einräumen, ausräumen. Die Gezeiten einer intensiv benutzten Küche.
Ausgeräumt. Eingeräumt.
Sprossen gießen. Es war um Karneval herum, als wir das Keimgerät von des Mannes Mutter erbeuteten. Ein Relikt aus den 1980ern, der Familienlegende zufolge wohl mal selbst von ihr und dem verstorbenen Gatten erbeutet auf einem Flohmarkt in den 1990ern. Und nun steht es hier, in der Küche. Seither sprießen Sprossen aller Art auf drei Etagen. Momentan Linsen, Bockshornklee und Alfalfa. Keine Ahnung, wie wir vorher ohne dieses Keimgerät auskamen. Und vor allem: ohne diese fantastisch köstlichen Sprossendinger. Die Zellteilung schreitet munter voran, die nächste Ernte steht kurz bevor.
Schuhe an.
Ein Gang ins Heimbüro. Ich bin vom Mai überrascht, gefühlt ist eher Ende März, Anfang April. Es ist noch nicht angezeltet, Grillen fiel auch flach bislang. Die Gründe sind bekannt. Was soll das also für ein Mai sein? Nun, er ist’s, und für Mai ist es recht frisch. Das wiederum ist gar nicht mal so ungewöhnlich. Aber gut, über den Gang ins Heimbüro bloggte ich zuletzt schon. Von Ritual zu Ritual, quasi.
Zurück am Schreibtisch,
also, am Küchentisch, auf dem Notebook und zweiter Bildschirm stehen, schreibe und arbeite ich vor mich hin. Lösche einen Haufen unbestellter Mails, lauter Pressemitteilungen oder Newsletter, die ich nie im Leben bestellt habe. Aber Löschen geht immer noch schneller als Abbestellen: Unsubscribe-Link in Schriftgröße 3 am Ende der Mail suchen, klicken und in vielen Fällen muss man sich dann erstmal irgendwo anmelden. Oder wird angebettelt um Gründe, warum man den den liebevoll zusammenkopiert- äh, geschriebenen Newsletter nicht erhalten möchte. Orrr.
Immerhin bin ich jetzt bei WT.Social abgemeldet, dem noch recht neuen Social Network von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales. Um die zahllosen Mails abzubestellen musste ich mich, genau, dort anmelden (natürlich Passwort vergessen), um mich dann einfach ganz abzumelden. Tschüss. War mir sowieso zu unübersichtlich.
Mittags bleibt die Heimbürokantine kalt.
Wir schnappen uns einen der frischgewaschenen Snutenpullis vom Balkon und latschen auf den nahen Wochenmarkt, wo es dienstags frische Reibekuchen (und zwar die besten der Stadt) gibt. Und Waffeln vom Bäcker aus dem Viertel. Über uns ein Zeppelin. Später stellt sich heraus, dass es einer vom Forschungszentrum Jülich war, vollgepackt mit Forscher*innen und Sensoren, die messen, wie sich die Folgen der Corona-Pandemie auf die Luftqualität im Rheinland auswirkt. Ich bin entzückt vom Internet, dass ich nun weiß, dass es eben nicht nur irgendein Werbezeppelin war, sondern einer auf Mission.
Die Bäuche voll, die Köpfe leer. Puah. Die Hose kneift. Unauffällig locke ich den Gürtel. Der Mann bereitet Kaffeespezialitäten am heimischen Gerät zu. Während ich mich innerlich auf den Nachmittag vorbereite, geht die Klingel. Eine freundliche Postfrau bringt mit ein Päckchen. Darin ein Buch, wie schön.
Ich gähne den Bildschirm an und habe Nacken.
Erstmal die Arbeit auf den anderen Bildschirm schieben. Wenn man sich fragt, warum jemand mit zwei Bildschirmen hantiert: Auch deshalb.
Nestele an einem Angebot. Wie so oft, wenn ein Briefing eher halbgar war, gestaltet sich die Aufgabenlösung schwierig. Ich schnaufe unzufrieden, aber raus muss es heute. Ein Webinar muss auch noch zurechtgezurrt werden. Dann wartet noch Finanzamtkrams auf mich, Rechnungen wollen bezahlt werden, während ich mich frage, wie das alles werden soll. Mit Soforthilfe war man Ende März schnell bei der Hand (und in meinem Fall habe ich nichts zu meckern), aber nun ist Mai und … Nun ja. Wie wird, wie soll das alles werden? Hilft ja nichts.
Gedanken woandershin.
Gehe mal kurz raus auf den Feuerschutzbalkon, um das Treiben der neuen Nachbarin anzustarren. Sie verwirklicht sich selbst auf ihrer Terrasse und bemüht sich inmitten unseres zerrupften, eher lässigen Hinterhofs um einen sauberen Schottergartentraum in Grau (Mobiliar, Steine) und Braun (Holzboden, der immerzu gefegt wird, weil die Bäume schmutzen). Hier prallen Lebenswelten aufeinander. Das irritiert mich mehr, als es sollte. Bestimmt ist sie bei Instagram, also jenem Teil von Instagram, von dem man immer in Zeitschriften liest.
Ich tätschele unsere wild wuchernde Minze, lobe den ausufernden Ginkgo und frage den fleddrig wirkenden Buchs nach seinem Befinden. Alles wuchert so vor sich hin, wie sich das gehört. Nun, bis auf den Buchs, aber der ist von jeher etwas pimpelig.
Frau Agnes vermeldet: 15 Uhr.
Nee, drei Uhr nachmittags, natürlich. Bim-bim-bim-bim. Dong. Dong. Dong.
Köpper ins Angebot.
Bim-bim. Nanu. Halb sechs. Das Angebot habe ich abgesendet. Eigentlich schlafe ich gern nochmal drüber, schon wegen etwaiger Fehler. Aber über diesem Angebot habe ich schon viel zuviele Nächte geschlafen. Das musste jetzt einfach raus. Es hat wirklich lange gedauert, was aber auch daran lag, dass ich mir überlegte, wie sich das, was ich gern mache, vielleicht doch ins Digitale übersetzen ließe. Schon ein bißchen verrückt, dass ich mich damit so schwer tue. Aber ich mache soviel digital – nur digital ist dennoch oder gerade deshalb nicht meins.
Naja, Feierabend. Lustigerweise habe ich dadurch viel mehr geschafft, als ich wollte. Nur nicht alles von dem, was auf meiner Liste für heute stand. Was soll’s. Die kenne ohnehin nur ich.
*zerknüllgeräusch*
Jetzt strecken und gähnen und recken.
Ein paar Schritte gehen. Der Mann tritt die Reise ins Nachbarviertel an. Das ungeliebte und immer noch nicht verkaufte Auto wurde jüngst mit Grafittifarbe verschmiert und Reifenwechsel war auch noch. Die Fahrräder in diesem Haushalt erhalten mehr Pflege und Liebe, soviel ist gewiss. Wein steht kalt. Bin momentan eher auf Weißwein und Rosé versessen.
Brauchen wir noch was aus dem Supermarkt? Sollte ich die Waschmaschine noch anstellen? Hm, dann schleudert sie ausgerechnet dann, wenn ich mir die Lesung nachher ansehe. Martina Borger liest. In der Moncensia. Ihr neues Buch mochte ich sehr. Wir holen alles nach. Die ganze Coronachose hat dann doch den Vorteil, dass ich dem Geschehen aus Köln beiwohnen kann.
So wird der Tag dann vermutlich enden. Lesen und lesen lassen.