Lüttich. Also, Liège. Oder auch Luik.
Die Vielgestaltigkeit dieser Stadt an der Maas spiegelt sich schon in ihrer vielsprachigen Benennung, die schillert wie das Licht auf dem Wasser der Maas. Die fließt durch Lüttich, vorbei an Industrie, Parks, Brachen, Straßen und Häusern. Auf den ersten Blick ist es einfach ein riesengroßes Durcheinander. Als ich auf der ersten #KultourWallonie mit dem Rad aus dem beschaulichen Herver Land Richtung Innenstadt fuhr, kehrte ich ziemlich bald um und machte Pause im herrlich grünen Parc de la Boverie auf einer ruhigen Halbinsel inmitten der Maas. Und entfloh dem urbanen Trubel.
Lüttich zum Zweiten: Eine Stadt mit Vision
Es brauchte also einen weiteren Versuch. Dunkel erinnerte ich mich, wie ich mit Freunden vor über zwanzig Jahren, vielleicht fünfundzwanzig Jahren von Aachen aus an dem ein oder anderen Sonntag zum berühmten Flohmarkt im nahen Lüttich fuhr.
Seit einigen Jahren wird die Stadt großräumig umgebaut: Eine Tram wird gebaut und auf fast zwölf Kilometern verbindet sie künftig Coronmeuse mit Sclessin. Auf circa 50 Hektar werden die öffentlichen Plätze erneuert. Mit diesen Maßnahmen will Lüttich dem tosenden, immer mehr anschwellenden Autoverkehr etwas entgegensetzen und auf ökologischere Mobilität setzen. Momentan kann man erleben, wie sich eine ganze Stadt ein Herz gefasst hat, um sich zu verändern.
Einfach ist es nicht. Notwendig ist es durchaus. Es gibt eine Vision von einer lebenswerteren Stadt, in der man nicht in Stau, Blech und Abgasen festgesetzt wird. In diesem Jahr soll die Tram fertigwerden. In zwei Wochen werden wir unsere dritte #KultourWallonie in Lüttich beenden und uns vom Fortschritt ein Bild machen können.
Lässt man sich einmal auf die Stadt ein, entdeckt man im Chaos Methode. Im März 2023 war ich zur Eröffnung des Parcours Simenon wieder in Lüttich. Mit der Bahn ist es von Köln der berühmte Katzensprung: Der Eurostar (damals noch Thalys) fährt seine Gäste komfortabel in etwa einer Stunde Fahrtzeit zum Bahnhof Liège-Guillemins.
Will man die Vision Lüttichs verstehen, empfiehlt sich ein Besuch dieses Bahnhofs. Der federleicht wirkende Bahnhof ist ein Entwurf des katalanischen Stararchitekten Santiago Calatrava. Alles ist luftig und übersichtlich. Vorm Bahnhof entsteht ein großzügiger Platz mit Aufenthaltsqualität. Mit Bäumen. Mit Bänken. Allmählich lichten sich auch hier die Baustellen.
Vom Bahnhof aus erreicht man rasch das Ufer der Maas, wo man von April bis Anfang November mit der Navette, einer Art Bootstaxi in die Innenstadt kommt. Wer gut zu Fuß ist, geht entlang des Flusses in die Stadt. Aus meiner Sicht die beste Art, sich der Stadt anzunähern. Ich blicke stets erstaunt auf das unerschrockene Nebeneinander verschiedenster Architekturstile und Epochen.
Bei besagter Eröffnung des Parcours Simenon kam unsere Pressereisegruppe in den Genuss einer sturmumtosten und regenreichen Stadtführung mit Helene Bings. Sie ist eine erfahrene Guide, die wunderbar erzählen kann und über ein tiefes Wissen über Lüttich, seine Geschichte und seine Gegenwart verfügt. Sie erzählte, dass diese völlig unversnobten Nachbarschaften von Zeiten und Stilen ein Wesensmerkmal der Wallonie und insbesondere von Lüttich sei.
Alles existiert in großer Toleranz und Akzeptanz miteinander, ohne sich dem anderen überlegen fühlen zu müssen. Mir kommt nicht zum ersten Mal der Gedanke, dass das politische Zentrum von Europa in Brüssel und in der Wallonie gut aufgehoben ist. Hier fühle ich Europa. So, wie es sein könnte, und angesichts des Elends auch vieler junger Menschen in der Innenstadt von Lüttich auch seine Schattenseiten.
Auf den Spuren von Georges Simenon durch Lüttich
Auf dem Parcours Simenon lässt es sich übrigens gut durch die Stadt wandern. Was vielleicht nicht alle wissen: Georges Simenon, der Kommissar Maigret erschuf und mit 75 Maigret-und über 120 Non-Maigret-Romanen ein überaus produktiver Autor war, wurde 1903 in Lüttich geboren, nur wenige Schritte von der Place Saint-Lambert entfernt. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf.
Später zog er nach Paris um und bereiste die halbe Welt. Er ist der meistverkaufte, -übersetzte und -verfilmte französischsprachige Romanautor seines Jahrhunderts. 2023 jährte sich sein Geburtstag zum 120. Mal und Lüttich feierte den umtriebigen Simenon mit Ausstellungen und Veranstaltungen. Und ebendiesem Parcours durch die Viertel der Stadt, die Simenon sein Leben lang prägte.
Hier gibt es (etwas karge) Informationen zum Parcours Simenon.
Kunstfestival in Lüttich: Die Biennale de l’Image Possible
Ein Jahr später finde ich mich abermals in Lüttich wieder. Eine Biennale, aha, na, die gucken wir uns doch mal an! Alle Herbergsmütter hatten Zeit und Lust, als Visit Wallonia Deutschland zur Pressereise lud. Wieder ging es mit dem Eurostar nach Liège-Guillemins. Seit zwei Jahren zieren die bunten Folien des französischen Künstlers Daniel Buren das Dach des Bahnhofs. Im Juni werden sie wieder entfernt. Bei dem herrlich sonnigen Wetter leuchteten die Farben sehr schön, aber vielleicht finde ich die bunten Verzierungen doch etwas kitschig, oder?
Ich bin gespannt, wie der Bahnhof „nackt“ aussehen wird. Mit Kitsch scheint in der Wallonie ohnehin niemand zu fremdeln – ach, apropos, ich werde ja nochmal was über Mons schreiben und das verblüffende Lichterfestival im Februar.
Der Kitsch, der uns in der Kirche Saint Pholien in Outremeuse erwartete, verschlug uns wohl allen die Sprache. Die als immersiv angekündigte Monet Ausstellung war schon fast wieder komisch. Ich würde es unfein mit dem Stichwort Kommerzkacke ablegen. Die Monet-Badeschlappen lasse ich mal symbolisch hier liegen. Zum Eintauchen, worunter man immersiv verstehen könnte, war hier vielleicht lediglich, dass man sich ein Bild machen kann, wie schamlos man einen Künstler wie Monet zu vermarkten versucht.
Recht geschockt verließen wir diese, öm, tja, Ausstellung. Und lenkten unsere Füße zur BIP Liège, der Biennale de l’Image Possible. Oder ist das hier die Website, die ich verlinken sollte? Beide toll. Das internationale Kunstfestival ist ein Knaller! Alles daran zum Verlieben großartig: die Leute, der Ort (jedes Mal ein anderer), der Umgang miteinander, der Ton, die Kunst, erwähnte ich schon die Leute? Ich war wieder mal schwer verliebt in die entspannten Menschen dieser Stadt, dieser Region. Es gibt eine unverstellte Haltung zu Kunst und Kultur, die ich in Deutschland oft vermissen muss. Und je weniger elitär man das Ganze anlegt, desto mehr Spaß macht es allen. Und das auf hohem Niveau.
Mehr zu Kunst und Fotografie, mehr Blickwinkel und mehr Geschichten gibt es bei Ute Vogel und bei Anke von Heyl. Da möchte ich mich nicht wiederholen, wird auch so schon lang genug hier.
Die Biennale de l’Image Possible geht noch bis zum 1. Juni. Wer die Gelegenheit hat: hin!
Ich liebte ja schon allein die Gestaltung der Kommunikation:
Lüttich erkunden und Einkehrtipp
Lässt man die quirlige Seite Lüttichs, die zur Maas hin liegt, hinter sich, findet man nicht nur eine der berühmtesten Treppen der Welt, sondern vermag einzutauchen in überraschend stille Gassen, findet wundersame Läden mit Büchern, Comics oder regionalen Produkten. Und findet wie eigentlich überall in der Wallonie schöne Lokale, Café und Restaurants zum Einkehren. Ich freue mich jetzt schon auf die #KultourWallonie, wo wir Herbergsmütter davon einiges ausprobieren werden.
Ich hoffe auch darauf, bei Curtius im Biergarten sitzen zu können. Geht man nämlich nicht besagte Treppe hoch, sondern erklimmt den Montagne de Bueren über die Seitengässchen (unbedingte Empfehlung), kommt man an der Brasserie C vorbei, wo das Curtius gebraut wird. Ein fabelhaftes Bier. Und sicher einer der schönsten Orte dafür, um es zu probieren. Vielleicht sollte man auf dem Rückweg dort einkehren, wenn man den schönen Blick von der Zitadelle genossen hat. Das belgische Bier hat es durchaus in sich.
Wer sich vor der Rückreise mit der Bahn noch stärken will: Das Grand Café de la Gare ist richtig gut. Fritten! Ihr müsst natürlich in Lüttich Fritten essen. (Nebenbei sei auch bemerkt, dass es dort gut gepflegte Sanitäranlagen gibt.)
Lüttich und ich?
Das ist jetzt was zwischen uns. Nicht die jähe Liebe wie die zu Mons. Aber ich weiß, das ich nochmal dorthin muss, in diese strubbelige Stadt an der Maas. Und ich weiß sogar, dass es schon bald sein wird, ha!
Hilfreich und kompakt für Tipps in Lüttich ist übrigens die Genusstour von Snoopsmaus.
Hinweise zur Mobilität
Anreise: Reist lieber mit der Bahn als mit dem Auto an. Mit dem Rad geht es übrigens auch großartig über den RAVeL Ligne 38 von Aachen aus über das Herver Land nach Lüttich. Gilt vollkommen zu Recht als einer der schönsten Radwege Belgiens. Das Radfahren in Lüttich selbst ist noch etwas strubbelig. Aber es gibt spitzenmäßige Brücken über die Maas für den Fuß- und Radverkehr. So macht das echt Laune. (Looking at you, Köln.)
Mobilität vor Ort: Wie viele wallonische Städte ist auch Lüttich nicht barrierefrei. Kopfsteinpflaster, Buckel, hohe Bordsteine. Mag sein, dass sich das durch die Umbaumaßnahmen ändern wird. Man hat momentan mehr Freude vor Ort, wenn man gut zu Fuß ist. Schlendern und Stadtwandern solltet Ihr etwas abgewinnen können, dann hat man mehr von Lüttich. Zwischendurch findet sich immer was zum Einkehren, falls man mal Atem schöpfen muss.
Transparenzhinweis
Die Reisekosten samt Verpflegung wurden von VisitWallonia Deutschland und Eurostar übernommen. Herzlichen Dank für die Einladung! Alles war wieder einmal fabelhaft organisiert, liebevoll, mit Herz, Gespür, Erfahrung. Man merkt vor allem, dass das Team selbst einfach gern in der Wallonie ist. Danke auch an das Organisationsteam der BIP, wir wurden auch dort bestens verpflegt.
Und bei schönem Wetter solltest Du dann auch irgendwann einmal den Flohmarkt an einem Sonntagvormittag besuchen – hören, riechen, gucken, genießen…
Zumal ich mich nur noch ungefähr daran erinnere. Allerdings bin ich auch nicht sooo die Flohmarktgängerin. Aber wer weiß …
Schon dein voriger Bericht hat bei uns etwas ausgelöst: Ich wünschte mir eine Reise nach Lüttich zum Geburtstag und bekam einen entsprechenden Gutschein. Dein neuer Bericht macht Laune, ihn bald einzulösen. Nicht nur (aber auch) wegen der Fritten!
Oh, wie großartig, Andrea! Die Fritten sind schon ein verflixt überzeugender Grund. Aber dann gibt es ja auch noch Waffeln!
Wie schön, das nochmal Revue passieren zu lassen (also Lüttich und die BIP, bei Simenon war ich ja nicht dabei) Und auch als Vorfreude-Schmankerl, auf die KultourWalonie III. Bald!
Bald, juhu!
Große Vor-Freude. Wirklich so nah. Und man ist direkt so schön frankophil angeregt. Und Flohmarkt. Das muss ich mir jetzt mal notieren. Wollte gerne mal wieder einen wirklich guten besuchen
Ob wir an dem Sonntag der KultourWallonie dorthin einen Abstecher machen können? Mal gucken!
Lüttich ist meine heimliche, große Liebe. Vor allem wegen Waffeln, schönen kleinen Häuschen und Fritten, am besten in der Fritur um die Ecke der Simenon-Statue. Mehr zum Parcour findest Du übrigens bei mir im Blog: https://snoopsmaus.de/luettich-georges-simenon/ – auf jeden Fall ausführlicher als auf deren Website! 😀