Drei Routen, drei Frauen, eine Region
Die #KultourWallonie führt uns Herbergsmütter auf verschiedenen Routen durch den südlichen und französischsprachigen Teil Belgiens, die Wallonie. Zum dritten Mal sendet uns Visit Wallonia Deutschland zu Kultur, Genuss und Natur. Von allem hat diese vielgestaltige Region viel zu bieten. Am Schluss sollten Anke, Ute und ich uns mit Barbara von Visit Wallonia Deutschland in Lüttich treffen. Darüber erzähle ich ein anderes Mal.
Denn für mich blieb auf der ersten #KultourWallonie vor zwei Jahren eine Landschaft hängen, durch die ich damals viel zu kurz mit dem Rad fuhr. Das Herver Land stahl sich in mein Herz mit seiner weiten Hügellandschaft, Dorfflecken, Bauernhöfen, den Hecken, grünen Wiesen voller Apfel- und Birnbäumen und Kühen. Gleich hinter Aachen beginnt das Pays de Herve, zwischen den Flüssen Maas (Meuse) und Weser (Vesdre), zwischen den Regionen Hespengau und Ardennen, an den Grenzen zu den Niederlanden und Deutschland. Das Herver Land wird gemeinhin auch als Butterdose bezeichnet, der landschaftlichen Ausprägung wegen. Ein Vergleich, den ich unbedingt noch einmal vor Ort überprüfen muss, stelle ich beim Schreiben fest. Kann ich die Butterdose, die als Vergleichsmodell diente, mal sehen?
Das fragt man natürlich am besten Menschen, die im Herver Land leben.
Sie wollte ich kennenlernen. Und nach der Landschaft sollten diese Menschen es sein, die ich in mein Herz schloss. Als wir für die #KultourWallonie mögliche Ziele überlegten, regte sich in mir rasch der Wunsch, noch einmal in das Herver Land zurückzukehren und den Menschen zu begegnen, die diese Kulturlandschaft mit ihrem Tun und Sein prägen.
Ob als Herstellerinnen des berühmten Herver Käse, ob als Produzent des eng mit dem Käse verbundenen Sirup aus Äpfeln und Birnen, ob als traditionsreiche oder noch ganz junge Brauerei, ob als Hersteller des köstlichen Cidres aus den Früchten gleich aus dem Umland. Nicht zu vergessen die leidenschaftlichen Gastgeberinnen und Gastgeber der Wallonie mit ihren liebevoll geführten B&Bs. Oder die, die sich Wege ausdenken, wie man Menschen das Herver Land näherbringen kann. Andere bringen einen mit Verve gleich unter die Erde, in die Stollen des Bergwerks, das über viele Jahre hinweg den Menschen Arbeit gab – und wertvolle Kohle und Erze.
Eine Erkenntnis vorweg, die mich Dorfkind vielleicht so gut aufgehoben fühlen lässt: Selbst wenn die Ortschaften und Höfe im Herver Land sehr zerstreut sind – die Menschen kennen einander. Beinahe alle, denen ich begegnete, standen in irgendeiner Verbindung miteinander. Das Herver Land ist ein Dorf, gut verteilt in der arkadischen Landschaft. Brutal zerschnitten von der belgischen Autobahn, auf der ich lange Jahre am Herver Land und der Wallonie an sich vorbeigesaust bin Richtung Frankreich. Man ahnt gar nicht, wie schön es abseits dieser Betontrasse ist!
Die Reise beginnt: mit Franz und mit Bier
Während also Ute Richtung Verviers, Jalhay und Spa aufbrach und Anke in die Gaume, stieg ich mit Rad in die Bahn nach Aachen. Von Köln aus ist der Weg in die Wallonie denkbar unkompliziert. Abseits der Pendlerzeiten sind die Regionalzüge leer und von Aachen aus steigt man entweder in die Regionalbahn gen Lüttich. Oder aber man fährt aus Aachen raus mit dem Rad gleich zum RAVeL Ligne 38. Hierüber berichtete ich vor zwei Jahren schon begeistert.
Diesmal begann meine Tour in die Wallonie mit einem besonders schönen Zusammentreffen mit Franz. Seit vielen Jahren sind wir miteinander im digitalen Dorf über wechselnde Plattformen hinweg und das Thema Barcamp miteinander verbunden. Dann kamen das Radfahren und Belgien hinzu, denn Franz kennt diese Gegenden hinter Aachen schon lange. Wir trafen uns, um ein paar seiner Lieblingswege und -orte gemeinsam zu fahren.
Wie schön, die Gegend durch die Augen von jemandem kennenzulernen, der sie liebt und dort schon lange lebt. Wir kamen auf dem Weg nach Hombourg am amerikanischen Friedhof Henri-Chapelle vorbei. Eine zwiespältige Angelegenheit und ich fühlte wieder meine ganze Zerrissenheit in Sachen Militär und Krieg. Viele Soldatinnen und Soldaten waren in Uniform vor Ort und auch in Plombières. Wohl ein Manöver der NATO, hörte ich. Und so drehten sich unsere Gespräche auch um die Erinnerungen an die Zeit des Kalten Krieges und die starke Präsenz von Militär im Alltag – und natürlich um die Kriege der Gegenwart und die Brüchigkeit von Frieden.
Die Brauerei Brasserie Grain d’Orge in Hombourg
Mit diesen Eindrücken ging es direktemang in die Brasserie Grain d’Orge. Dort erwartete mich Viviane Johnen, die mir und Franz ihre Brauerei vorstellte. Ihr Ehemann, Benoit Johnen, war schon als Jugendlicher von Bierbrauen fasziniert. Erst sammelte er die Flaschen und Gläser – in Belgien hat jede Biermarke eigens gestaltete Gläser -, später sprach er auch dem Inhalt freudig zu. Und er wollte brauen. Sein eigenes Bier. Da es zunächst nicht so einfach war, eine Brauerei zu gründen, eröffnete er mit Viviane 1997 ein Gasthaus in Hombourg, den Pub Grain d’Orge. Fünf Jahre später folgte die Brauerei: 200 Hektoliter wurden 2002 gebraut. Und weitere fünf Jahre später bedurfte es einer Entscheidung: Benoit und Viviane verkauften 2007 die Gastwirtschaft und konzentrierten sich aufs Bierbrauen.
Heute brauen sie mit neun Leuten 5000 Hektoliter Bier im Jahr. Weiter wachsen möchten sie jedoch nicht, denn so, wie es jetzt läuft, macht es ihnen Freude und sie sind nah dran. Übers Jahr produzieren sie etwa 100 Biere. Die Hälfte davon sind eigene Biere, die anderen sind Biere, die sie in Mengen von 1000 bis 4000 Litern für andere Menschen herstellen: zu Jubiläen, für Hochzeiten, Volksfeste oder andere Anlässe. Das läuft gut und ist jedes Mal eine schöne Aufgabe, mit den Leuten „ihr“ Bier zu finden.
Gestatten: Brice und Joup
Das Glas der Brauerei zeigt übrigens zwei lokale Prominente: Brice und Joup. Und schon bin ich wieder tief in den Sagen und Legenden der Wallonie, in Traditionen und Geschichten, die nach wie vor lustvoll mit Leben gefüllt werden. Die Geschichte ist auf der Seite des Pub Grain d’Orge erzählt (übersetzt aua dem Französischen mit Deepl):
Es war einmal, im Jahr 1591, in dem kleinen Dorf Hombourg, eine Bruderschaft namens Société de tir Saint Brice. Ihre Mitglieder organisierten gerne Feste und andere Aktivitäten für ihre Kirchengemeinde, als eines Tages, fast 300 Jahre später, ein Pfarrer für Unruhe sorgte.
Die Brice-Familie hatte nämlich die Pflicht, die hölzerne Jungfrau bei einer Prozession zu tragen, doch unter Berufung auf die Hitze legten sie die Statue in einer Böschung ab. Der Pfarrer war über diesen Vorfall sehr verärgert und setzte seinen Plan in die Tat um, eine neue Bruderschaft, die Société Saint Joseph, zu gründen.
Die Homburger waren also entweder grün (Brice) oder rot (Joup) geworden. Dies teilte das kleine Dorf in zwei Hälften. Die Farbe des Zauns eines Bauernhofs zeigte die Zugehörigkeit des Bauern zu der einen oder der anderen Gesellschaft. Heute gibt es diese beiden Gesellschaften immer noch, sie organisieren Veranstaltungen, haben jeweils ihren eigenen Saal, ihre eigene Harmonie und ihre eigene Gesellschaft. Auch wenn die Hochzeit eines Roten und eines Grünen nicht immer möglich war, haben wir sie dennoch auf einem Glas zusammengebracht, wobei wir darauf geachtet haben, sie Rücken an Rücken zu stellen, damit sie sich nicht streiten können!
Heute trinkt ein Brice einen Joup, wenn er ihm schmeckt, und ebenso trinkt ein Joup einen Brice, wenn er ihn bevorzugt. Der Beweis für eine gesunde Rivalität.
Uns erzählte diese Geschichte Viviane. Es ist gut, dass man solche Geschichten heute zwar pflegt und liebevoll behandelt. Es hat andere Zeiten gegeben, in denen diese Trennung eines Dorfes sehr viel weniger heiter war. Es ist interessant, dass Franz erzählt, wie sich die Menschen in Belgien in den letzten Jahren verändert haben, offener wurden. Das ist in Deutschland nicht anders, wo es in nicht wenigen Landstrichen unmöglich war, dass zwei Menschen mit unterschiedlichen Konfessionen heirateten. Früher war bei weitem nicht alles besser.
Während wir vor den imposanten Kesseln stehen, ist draußen viel los: Einige Spatzen sitzen auf den Resten der verwendeten Gerste. Sie steht zur Abholung durch einen benachbarten Bauern bereit, der das Restkorn an seine Kühe verfüttert. Es geht ohnehin nichts verloren: Der Most gärt unter Zugabe von Hefe fünf Tage lang bei 22 Grad. Was absinkt, wird gesammelt und landet wiederum auf einem Nachbarhof im nahen Montzen, wo sich die Schweine über die Delikatesse freuen dürfen. Wie Champagner gärt das Bier ein zweites Mal. In diesem Prozess beginnt es dann zu sprudeln.
Durch die Biere würde ich mich zu gern durchprobieren. Aber so vor dem Mittagessen und mit dem Rad unterwegs, well.
Keine #KultourWallonie ohne Fritten und Bier
Vielleicht erinnert Ihr Euch, dass ich auf den letzten beiden Touren durch die Wallonie mitunter etwas unterfrittet war? Diesmal kann ich mich nicht beklagen. Es fängt gut an. Was für ein sympathischer Betrieb, gelegen am Ortsrand vom hübschen Hombourg. Nicht weit von der Brauerei entfernt landen wir im Pub Grain d’Orge, wo ich bereits erwartet werde – top organisiert von Visit Wallonia Deutschland. Natürlich probiere ich eins der Biere von Viviane und Benoit: Joup. Gibt’s glücklicherweise auch im kleinen 15cl-Glas, die Radfahrerin dankt. Und genießt das köstliche Bier zum wallonischen Vol-au-vent, einer Art Königinnenpastete mit einem Pilz-Ragout. Dazu beste Fritten. Ein Salat. Gute Gesellschaft auf der Terrasse mit Blick aufs Rad – und auf amerikanische Soldat*innen, die mit Gepäck eine Art Joggingroute ablaufen müssen.
Ermutigend nickend schiebe ich mir noch eine Fritte in den Mund und denke, wie froh ich doch sein kann, unbescholten und in Frieden mit dem Rad weiterziehen zu können. Wir Menschen machen es uns auf diesem schönen Planeten doch gegenseitig ziemlich schwer. Und den Planeten gleich auch noch kaputt. Wie absurd das doch ist.
Ich verabschiede mich von Franz (danke!) und sause den Hügel hinab nach Aubel. Dort würde ich Antoine treffen, in der Siroperie Artisanale d’Aubel. Und weil ich schon wieder viel zu viel, aber gerade ausreichend genug erzählt habe, nehme ich mir die Freiheit, eine Serie zu beginnen und einfach zu schreiben, so viel und so lange ich möchte. Im Blog gibt’s keine Zeichenbeschränkung. Ha!
Streuobstwiesen, Kühe, Hecken, der Regen und die Menschen des Herver Landes
Bleibt dran, wenn es um zwölf Generationen der Sirup-Herstellung geht, in die Abtei Val-Dieu zu François, der Geschichte der Brauerei und weit darüber hinaus, durch unfassbar nassen Regen zu einem Plausch mit Berthe im Maison du Tourisme du Pays de Herve, zu Leandre in der Cidrerie Atelier Constant-Berger und der politischen Seite von Landwirtschaft, zu Catia und Madeleine in der Fromagerie du Vieux-Moulin mit ihrem preisgekrönten Käse und kluger Kreislaufwirtschaft und in die Stollen von Blegny-Mine, wo mir doch ziemlich schwummrig wurde. Außerdem lernt Ihr Quentin vom La Bel Echappée sowie Isabel und Bernard vom B&B La ferme de Berwausault kennen. Zum Schluss wird es dann nochmal nach Lüttich gehen.
Hier geht’s weiter: Viel Erfahrung, ein bisschen Gefühl, ganz viel Geduld: Sirup und Käse aus dem Herver Land
Transparenzhinweis
Die Reisekosten wurden von Visit Wallonia Deutschland übernommen, und zwar vom 23. bis 26. Mai 2024 inklusive Anreise und Auslagen. Herzlichen Dank für das unkomplizierte und herzliche Miteinander!
Ich müsste hier aus formalen Gründen schreiben, dass meine Meinung unbeeinflusst war und ist, aber spätestens seit der ersten #KultourWallonie bin ich komplett voreingenommen, was die Wallonie und Visit Wallonia Deutschland betrifft. Die Gegend ist eine Wucht, die Leute toll. Sprecht sie gern selbst an, wenn Ihr Fragen zur Wallonie habt. Dort antwortet immer jemand und man merkt, dass sie selbst die Region schätzen, kennen und mögen.
Unterfrittete – ich habe laut gelacht!
Schon 2022 hat mich deine Beschreibung des Herver Land angefixt. Und jetzt wieder. Ich freue mich auf deine folgenden Berichte und werde da bestimmt auch mal hinreisen.
Das Herver Land ist wirklich schön, Klein-Arkadien. Ich liebe es ja, wie wir uns gegenseitig dazu inspirieren, die Wallonie zu erkunden. Irgendwie ganz geschickt von Visit Wallonia, oder? xD
Sehr geschickt eingefädelt. 😊
Kommentierte gerade bei Dir ähnlich. 😀