Plitsch, platsch.
Am zweiten Tag der #KultourWallonie* sollte ich pudelnass werden. Aber davon ahnte ich noch nichts, als ich nach dem schönen Auftakt nach Aubel aufbrach. Ich sauste bester Laune über den herrlichen Radweg zu meiner nächsten Verabredung in der Siroperie Artisanale d’Aubel. Dort sollte ich Antoine Nyssen treffen und mehr über das schwarze Gold des Herver Landes erfahren, den berühmten Sirup der Region. Als ich eintraf, erklomm gerade eine trubelige Schulklasse ihren Bus auf dem Hof des Betriebs. Ich schloss erstmal in aller Ruhe mein Rad an und betrachtete aus sicherer Entfernung, wie die Lehrerin die letzten Trödler einfing.
Über den Hof kam ein freundlicher junger Mann auf mich zu: Antoine, le petit fils, der Enkel, wie es auf der Website heißt. Und weiter kann man dort lesen: Als kleiner Junge sei er in den Kochtopf gefallen. Abwegig ist das nicht, denn Antoine wuchs im Familienunternehmen auf und ist nun in zwölfter Generation voll und ganz – wie sagt man, Siropier? Seit 1757 stellt die Familie Nyssen aus Birnen und Äpfeln den dickflüssigen Sirup her, den man mit Vorliebe zum Herver Käse genießt. Auch in der Sauce Lapin, die zu den Boulets à la liègoise gereicht wird (zum Rezept). Manche schwören auf Pfannkuchen oder Crepe mit dem Sirup, hörte ich auf dieser Tour öfter.
Die Siroperie Artisanale d’Aubel: Viel Erfahrung, ein bisschen Gefühl, ganz viel Geduld
Um ein Kilo des Sirups herzustellen, braucht es sechs Kilo Birnen, zwei Kilo Äpfel, 30 Stunden – und 12 Generationen Erfahrung. Viel Erfahrung, ein bisschen Gefühl, ganz viel Geduld – auf diese Formel lässt sich das Erfolgsrezept dieser traditionsreichen Siroperie bringen. Hier lieben Menschen, was sie tun, und verbinden es mit der Landschaft und mit der Kultur, in der sie leben. Das ist sicher nicht ganz unwesentlich, warum dieser Betrieb mit seinen Produkten und seiner Familie überall beliebt ist. Jeder und jede, dem ich auf dieser Tour durchs das Herver Land begegnete, kannte Antoine und sprach mit Zuneigungüber ihn und sein Tun.
Die Herstellung in allen Betrieben, die ich besuchte, ist eng mit anderen Betrieben und der Nachbarschaft verknüpft: Das Obst, aus dem der Sirop der Familie Nyssen hergestellt wird, wächst auf Bäumen in einem Umkreis von 30 Kilometern. Es sind Früchte von Hochstammbäumen auf Streuobstwiesen. Diese tragen zwar nicht so reich und die Ernte ist mühsamer. Dafür ist ihr Aroma ausgeprägter, wie das der historischen Birnensorte Köstliche von Charneux (oder Légipont). Das interessiert mich sehr, weil ich mich im vergangenen Jahr ins das Thema Alte Obstsorten für den Kleingarten reingefuchst hatte.
Beim Pressen von 4000 kg Birnen und Äpfel fallen 1500 kg feste Reste an, die ein benachbarter Landwirt abholt und an seine begeisterten Kühe verfüttert. Die wiederum auf Weiden unter Obstbäumen weiden und die Milch geben, aus dem der Herver Käse hergestellt wird. Und so hängt alles mit allem zusammen und nichts geht verloren.
Aus ursprünglich 4000 kg Obst werden am Ende 500 kg Sirup. Die Produktion beschränkt sich auf die arbeitsreichen Monate September und Oktober, wenn die Früchte geerntet werden. Da wird rund um die Uhr nur mit kurzen Pause gearbeitet. Und den Rest des Jahres? Neben Sirup und Apfelsaft stellen die Nyssens ganzjährig Konfitüren her, viele davon aus Produkten der Region. Eine köstliche Haselnusscreme landet neben dem Sirup im Walloniebüggel, den wir alsbald wieder voller Mitbringsel bei den Herbergsmüttern mit VisitWallonia Deutschland verlosen werden.
Natürlich habe ich alles gewissenhaft verkostet. Vom Sirup gibt es eine süßere und eine säuerlichere Variante. Die süßere nimmt man zum Käse, mit der anderen wird gekocht, erzählte Antoine. Ich werde das alles ausprobieren, denn in meinen Radtaschen landeten auch Sirups und eine Haselnusscreme für die Heimbürokantine. Am nächsten Tag wanderte noch Herver Käse dazu. Denn da besuchte ich die legendäre Fromagerie du Vieux-Moulin von Madeleine Hanssen-Polinard in Battice.
12 Generationen und kein Ende: Sirup als Familiensache seit 1757
Aber erstmal vielen Dank an Antoine für die fabelhafte Führung! Das hat viel Freude gemacht. Beim Rausgehen lernte ich noch Antoines Vater, Claudy Nyssen, kennen, der unter einer Maschine hervorkam. Als ich meine Guide Berthe Geelen tags drauf traf, erzählte sie mir, wie leidenschaftlich gern Claudy Nyssen an Maschinen herumschraubt. Das habe ich gesehen! Der Großvater, Joseph Nyssen, ist ebenfalls noch dabei. Wie mir Antoine erzählte, interessiert er sich sehr für die Geschichte der Familie. Viele der Ausstellungsstücke in der kleinen Halle, wo die Führungen stattfinden, hat Joseph gesammelt. Auch schön, dass es in den zwölf Generationen immerhin eine Firmenchefin gab – tja, hätte ich mir mal den Namen notiert! Aber ich war offenbar zu konzentriert auf alles, was ich über diese bemerkenswerte Familie erfuhr und wie es sein muss, wenn man in Sachen Familiengeschichte bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückblicken kann.
Eine Familiengeschichte, die eng verbunden ist mit dem Herver Land. Mir gefällt gut, wie hier Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sichtbar werden. Verstaubt ist hier nichts. Traditionelles Handwerk und althergebrachte Landwirtschaft werden mit modernen Methoden und im Wissen um die Herausforderungen des Klimawandels verknüpft. Richtig gut. Und das schmeckt man auch.
Und weil es so gut passt, reise ich hier im Beitrag schnurstracks zu meiner Verabredung mit Catia Polinard in der Fromagerie du Vieux-Moulin. Tropfnass kam ich an, denn es hat einfach den ganzen Tag wie aus Eimern gegossen. Glücklicherweise war es echt warm, so dass ich zwar vor mich hindampfte, aber nicht auskühlte. Eigentlich hatte Catia keine Zeit, denn sie macht auch selbst Eis und hütete die kleine, gut besuchte Eisdiele. Die Fromagerie liegt eher abgelegen in einer Talsohle. Trotzdem war ganz schön was los! Schade, dass mir so gar nicht nach Eis war. (Sooo warm war mir dann doch nicht.) Aber, ach, sie war einfach supernett, setzte mich vor einen (sympathisch leicht überdrehten) Film über die Käserei und ich war froh, zu sitzen, zu gucken und mir in Ruhe Notizen machen zu können.
Wir machten noch eine kleine Führung durch die Produktion, warfen einen Blick auf die reifenden Käseleiber – hm, eher Käsewürfel, denn der Herver Käse ist quadratisch. Natürlich kannte Catia Antoine, befreundet seien sie, erzählte sie erfreut. Schönes Dorf-Feeling!
Die Fromagerie du Vieux-Moulin: von Wasser zu Wasser – Käseherstellung als Kreislauf
Die Fromagerie du Vieux-Moulin wirkt trotz aller Professionalität beschaulich und familiär. Vielleicht zeigt sich darin auch das Prinzip Slow Food, die internationale Bewegung, deren Hauptziel es ist, das Bewusstsein der Menschen für Öko-Gastronomie und alternativen Konsum zu schärfen. Madeleine Hanssen-Polinard erhielt für ihre Arbeit das begehrte Slow-Food-Siegel und ihr Käse ist in Sterneküchen zu finden. Außerdem trägt der Käse das Schutzsiegel AOP, Appellation d’Origine Protegée. Kein Wunder: Der Käse wird mit Liebe und Sorgfalt aus der Rohmilch von Kühen hergestellt, die nicht weit weg von der Käserei leben und weiden. Kurze Wege, nachbarschaftliche Kontakte und eine Produktion von Wasser zu Wasser, womit ein Kreislauf des Wassers aus dem Bach gemeint ist, der an der alten Mühle vorbeifließt. Ein Wirtschaften kurzer Wege und sorgfältig verwendeter Ressourcen ist das Ziel.
Mir gefällt natürlich sehr, dass man im Video aufs Rad setzt: Catia ist mit dem E-Bike unterwegs, ihr Begleiter mit dem muskelbetriebenen Rad. Zusammen geht’s durch die schöne Hügellandschaft mit ihren Streuobstwiesen und Bachläufen. Auch für mich ging’s dann wieder aufs Rad. Nicht jedoch, ohne vorher noch den Herver Käse zu verkosten. Die Nase zuckt ja erstmal nervös, aber ein Herve Doux und ein Herve Piquant kommen mit. So gut! Radtaschenfreundlich im vakuumierten Beutel. Am nächsten Morgen würde ich mir den köstlichen Frischkäse von Madeleine und Catia schmecken lassen. Aber das wusste ich noch nicht, als ich mich mit nachdenklichem Blick auf die nahenden Regenwolken sputete.
Das Herver Land als weitläufiges Dorf
Bevor wir uns dann bei meinen fantastischen Herbergseltern an den Tisch setzen, lernt Ihr im nächsten Beitrag Leandre kennen. Und Berthe. Der Eine ist einer der drei Gründer*innen einer Cidrerie und es wurde ein sagenhaft gutes Gespräch über lokale Produktion, Landwirtschaft und Europa. Die Andere nahm mich dauerregentropfnass im Maison du Tourisme du Pays de Herve in Empfang und ich erfuhr viel über die Geschichte und Kultur dieses Landstrichs. Mein Eindruck, dass es sich beim Herver Land ein Dorf handelt, dessen Häuser lediglich durch viele Wiesen, Felder und Hecken weiter als üblich voneinander entfernt sind, verstärkte sich: Alle, denen ich in diesen Tagen begegne, kennen und schätzen einander. Das Gefühl, innerhalb einer Art Großfamilie durchgereicht zu werden, mochte ich sehr und verband mich umso inniger mit dieser schönen Region. Piefig ist das nicht. Im Gegenteil. Auffällig ist, dass junge Menschen im Herver Land bleiben oder dorthin zurückkommen und vor Ort etwas bewegen und dabei kreativ Vergangenheit und Zukunft miteinander verbinden.
Es sind Menschen, die Mut machen.
Was zuvor geschah: Das Herver Land auf der Zunge: Die #KultourWallonie beginnt mit Bier und Fritten
Die #KultourWallonie von Ute Vogel in Verviers, Jalhay und Spa.
Die #KultourWallonie von Anke von Heyl mit Käse, Schokolade und Wein in der Gaume.
*Die #KultourWallonie führt uns Herbergsmütter in Kooperation mit VisitWallonia Deutschland auf verschiedenen Routen durch den südlichen und französischsprachigen Teil Belgiens, die Wallonie.
Transparenzhinweis
Die Reisekosten wurden von Visit Wallonia Deutschland übernommen, und zwar vom 23. bis 26. Mai 2024 inklusive Anreise und Auslagen. Herzlichen Dank für das unkomplizierte und herzliche Miteinander!
Ich müsste hier aus formalen Gründen schreiben, dass meine Meinung unbeeinflusst war und ist, aber spätestens seit der ersten #KultourWallonie bin ich komplett voreingenommen, was die Wallonie und Visit Wallonia Deutschland betrifft. Die Gegend ist eine Wucht, die Leute toll. Sprecht sie gern selbst an, wenn Ihr Fragen zur Wallonie habt. Dort antwortet immer jemand und man merkt, dass sie selbst die Region schätzen, kennen und mögen.
Der Käse auf dem Foto sieht aus wie Goldbarren. Goldiges Land, goldige Menschen. 🧡
Slow Food ist so eine tolle Bewegung. Man schmeckt das auf jeden Fall auch in den Produkten!!
Habe richtig Lust bekommen, da mehr einzutauchen.