Ich trete vor die Tür.
Das Licht ist anders. Fahl und zitronengrau. Herbst liegt in der Luft, wiewohl es lange noch nicht traklt. Vor der Wohnungstür eine quietschpinkfarbene mobile Toilettenkabine – so heißt das Dixie-Klo nämlich abseits der Tempotaschentuchisierung. Die Handwerker sind im Haus oder vielmehr am Haus und drumherum. Das Dach wird wohl gemacht. Gerüste stehen. Bis heute gibt es keine Informationen von der Hausverwaltung darüber, ach, es ist eine Pracht.
Zwischendurch ist die Queen verblichen. Das Reisebüro nebenan hätte was daraus machen können, doch dort werden Flug- und Kreuzschifffahrtsreisen annonciert. Banausen. Einige Schritte weiter das erste Holzdeck. Hier im Agnesviertel muss niemand mehr ein Schiffsdeck besteigen. Immer mehr Parktaschen wurden zu Aussichtsplattformen, an denen der Verkehr rauschend vorbeikreuzt. Von mir aus könnten es noch viel mehr werden, also Holzdecks und Tische und Stühle, wo Menschen sitzen und nicht Autos stehen.
Heute ist übrigens Parking Day: Erobere dir die Straßen zurück. Hier werden sie vor allem von der lokalen Gastronomie zurückerobert. Vor Shirleys Submarine Sandwiches steht schon Blumenschmuck auf den Tischchen. Heute gibt’s Möhreneintopf, nebenan im Restaurant Weißenburg septembergemäß Oktoberfestbier.
Die Sonnenschirme sind eingeklappt.
Die Butten hängen, wo vorher die Rosen erröteten. Die Bäume üben Zielabwurf in die Radkörbchen, die Trefferquote ist ok. Über mir rascheln die hart gewordenen Blätter erwartungsvoll. Das herbstelnde Licht schafft einen Ausgleich zwischen vor der Zeit fallendem Laub und dem ordnungsgemäßen Ablauf der Jahreszeiten.
Dieser eine Straßenkehrer, der das Agnesviertel mag, lässt den Laubsauger stehen und nimmt den Besen. Das Agnesviertel mag ihn übrigens auch, nicht nur deswegen: Als er einst in ein anderes Viertel versetzt werden sollte, gab es (im Einvernehmen mit ihm) aufgeregte Mails an die Stadt. Er blieb. „Moin!“ – „Morgen!“
Eine kleine Herde bunt gekleideter, etwa hüfthoher Menschlein näher sich. Helle, fröhliche Meerschweinchenstimmen im Chor. Es geht ins Schwimmbad, ganz ordentlich in Zweierreihen. Die Begleitungen haben alles im Griff, aber auf eine gute, leichte Art. Kein herrischer Ton ist zu hören, sondern da ist gegenseitiges Mögen im Spiel. Nebenan auf der Hundewiese toben derweil ein brauner Labrador und ein Mischmasch im gescheckten Fell umher. Die Inhaberinnen werfen abwechselnd einen Ball. Das Hundegetier wirkt mäßig interessiert. Man läuft eher höflich hinterher und einigt sich artig darauf, wer ihn diesmal ins Maul nimmt.
Die kranke Kastanie trägt überraschend viele Kastanien. Sobald eine herabfällt, greift eine Kinderhand danach, noch bevor sie den Boden berührt. Ringsum ist schon Bastelherbst, während ein Rest Sommer die Luft wärmt. Keine Chance bisher, eine Hosentaschenkastanie zu ergattern, die mir bis zum Frühling zur Beruhigung der Nerven dienen kann.
Ein sehr kleiner Tagesbagger steht schmollend am Baustellenrand. Gegenüber ein Werk des Bananensprayers: Putin im Knast – Hoffnung regt sich, dass es wahr werden könnte. Der Referenzbaum im dunklen Spätsommergrün, drumherum Wiesengrün vom Regen der letzten Tage. Die Bäumchen am Rhein indes wirken erschöpft und zerzaust. Am Anleger alles ruhig.
Ich erreiche die Haustür und bin doch froh, heute in Lederjacke unterwegs zu sein. Es hat merklich abgekühlt. Meine Gedanken sind voller Filz, Fleece und Flanell. Wolle! Wohlan.
Gutes andernorts
Das Skelett von Richard III. liegt unter einem Parkplatz. So ist diese grandiose Folge des ohnehin sehr geschätzten ZeitZeichens vom 12. September 2022 im WDR betitelt. Was für eine Geschichte!
10 Atemzüge. Die Geschichte, wie (und wo) die Idee zu dieser Hörspiel-Serie entstand, würde mich doch sehr interessieren: 10 Atemzüge. Die Autorinnen Simone Buchholz, Mareike Fallwickl, Berit Glanz und Karen Köhler haben eine unglaublich unterhaltsame Geschichte geschrieben. Da geht’s durchaus zur Sache und wie offen und klug in dieser Serie Liebe und Sex erzählt wird, habe ich so noch nicht gehört, geschweige denn gesehen. Audio ist aber ohnehin viel besser als Fernsehen, denn gegen Bilder im Kopf kommt einfach nichts ran. Ach, und nebenbei bestätigte sich so gut wie alles, was ich bisher über Katzen dachte.
Cultural Appropiation. Durch das Internet lerne ich täglich etwas. Gut, vieles vergesse ich auch sofort wieder, aber manches bleibt hängen. Das macht das Leben nicht unbedingt einfacher, aber Beiträge wie diesen hier über kulturelle Aneignung finde ich ausgesprochen hilfreich. Nachdenken ist doch eigentlich etwas Schönes.