Ich trete vor die Tür.
Schon nach wenigen Schritten fummele ich am Reißverschluss meiner Jacke. Es kommt mir warm vor. Die Stadt nässt sich bei etwa 5 Grad ein. Die Straßen schimmern in allen Farben. Zu meinen Füßen öffnet sich die geheimnisvolle Anderwelt. Kurz stelle ich mir vor, das dort, die gespiegelte Welt in den Pfützen, sei die Welt, in der die Dinge in Ordnung sind, in der getan wird, was getan werden muss, in der Menschen mit Herz und Verstand handeln. Ich hüpfe in die Pfütze. Das Bild zerfließt.
Am Bücherschrank sehe ich einen Schwung noch nicht ganz jugendlicher Menschen in bunten Regenjacken. Sie scheinen mit ihren Fahrrädern offenbar zu warten. Ah, da rollt eine Nachzüglerin heran. Man fährt los Richtung Schule. Ein munter schwatzender Haufen auf Rädern, ein schönes Bild. So geht Schulweg.
Das kleinere Gemüse zieht derweil in die Agneskirche, wo gleich der Schulgottesdienst beginnt.
Der Verkehr rauscht auf den nassen Straßen.
Am Anleger ist es ruhig und unruhig zugleich: Kaum jemand ist im Regen unterwegs. Ein Flußkreuzfahrtschiff legt an. In den erleuchteten Kaninchenställen sehe ich die Reisenden, wie sie sich gerade ankleiden, auf dem Bett liegen und Fernsehen oder zu mir hochblicken. Zwei Matrosen springen mit dicken Tauen am Ufer herum, um das Schiff festzumachen. Sagt man auch zu Leuten, die auf einem Flußkreuzfahrtschiff arbeiten, Matrosen? Sagt man überhaupt noch Matrosen? All mein Wissen über die Seefahrt stammt aus Büchern wie die Reihe über Captain Horatio Hornblower und der Verfilmung mit Gregory Peck.
Ich ziehe weiter, an der Matratze vorbei, die seit fast zwei Wochen am Rheinufer liegt. Schon drei Mal habe ich der Stadt Köln über ihre App Sag’s uns die Matratze und den Müllsack daneben als wilden Müll gemeldet. Tja. Man wartet vielleicht aufs nächste Hochwasser?
Ein Lastenrad mit einer voluminösen Regenhaube kommt mir entgegen. Eine Frau in quietschgelber Regenkleidung betreibt in stoischem Gleichmut das Rad, während aus dem kutschenartigen Gefährt lauthals und herrlich schief zwei oder drei Kinder Oh Tannenbaum singen.
Der Regen verändert sich.
Aus dem leicht platschenden Niederschlag wird eine Art Rund-um-Nässe, als sei Frau Holle mit der Sprühflasche unterwegs. Die Sicht trübt sich zusehends. Natürlich hat niemand ein Tuch für die Brillengläser eingepackt. Auf der Hundewiese gibt es ohnehin nicht viel zu sehen. Vereinzelte Hunde sind mit ihren Inhaber*innen auf den Wegen zu sehen. Da gibt es die Sorte, die auf Zehenspitzen und mit beleidigtem Gesichtsausdruck die nasse Wiese nach trockeneren Stellen absucht. Und dann gibt es die anderen, die sich mit Wonne und mit leuchtenden Augen in jede Pfütze stürzen. Die Menschen gehören öfter zur ersten Sorte.
Drei Teller liegen auf einer Bank. Relikte, vielleicht aus Zeiten, in denen eine Welt zusammenbrach, wenn der 24. Teller eines Kaffeeservices zerbrach, des einen, das man für gut aufbewahrte. Und dann war es nicht mehr vollständig und natürlich gab es die Serie nicht mehr. Ich denke an die Schränke der Mütter, die gut gefüllt sind mit ebensolchem Porzellan, die an Feste erinnern, an dem die Familie vollständig am Tisch saß. Inzwischen hatten sich einiges entspannt, manches ist zerbrochen, Menschen fehlen, nicht mehr alle Teller würden aufgedeckt.
An der Agneskirche sehe ich die Bänke für die Veedelskrippe. Wer mitmachen möchte, holt sich vor Ort einen Tonknubbel und formt daraus eine Figur für die Krippe des Agnesviertels. Was für eine schöne Aktion. Schon im letzten Jahr stand ich gern vor den Bänken und sah mir an, was die Nachbarschaft geformt hatte. Gemeinschaft im besten Sinne wird hier sichtbar.
Ein Blick zum Büdchen, dem Lagerfeuer des Agnesviertels. Der Straßenfeger holt sich eine Kaffee. Und für mich gibt’s zuhause Frühstück: Es ist noch Suppe da.
Hoppla-hopp!
Sehe ich Pfützen, denke ich oft an einen Film, den ich als Kind sah und der mich tief beeindruckt hat. Auch heute. Vielleicht war er besonders beeindruckend, weil einer der Nachbarjungen im Dorf als Kind Kinderlähmung, Polio, hatte und davon für sein Leben gezeichnet wurde. Kinderlähmung ist grausam, Schluckimpfung ist süß hatte für mich ein Gesicht. Als Kind in der Schule geimpft zu werden, war vollkommen normal. Aber der Film Und wieder spring‘ ich über Pfützen blieb auch hängen.
Tomi Ungerer wäre jüngst 90 Jahre alt geworden. In der KunstArztPraxis gibt es einen wundervollen Text über ihn. Sehr lesenswert auch für alle, die ihn, seine Bücher und seine Kunst vielleicht (noch) nicht kennen oder, wie ich, erst spät zu ihm gefunden haben.
Mit Adeles Musik kann ich wenig anfangen. Aber das ist nicht tragisch, denn die Musikerin kommt auch ausgezeichnet ohne mich zurecht. Umso mehr schätze ich Emma Thompson, selbst wenn auch das für sie selbst recht unerheblich sein dürfte. Aber egal, wie man zu den beiden steht: Das hier geht ans Herz. (Ich hoffe, Ihr könnt es auch sehen, wenn Ihr kein Twitter habt.)
Absolut umwerfend übrigens auch diese Aufnahme von einem gemeinsamen Auftritt von Björk und Skunk Anansie. Wow, das haut mich wirklich um.