Ich trete vor die Tür und atme Übergangsluft.
Es liegt noch Winter darin, aber auch eine leise Ahnung von Wachsen und Werden. Eine Ahnung, die lautstark von den Vögeln bekräftigt wird: Um mich herum ungestümes Tirili und Tschilp. Man ist entschlossen. Das ist deutlich zu hören.
Entschlossen bei sich ist auch wieder Vater Rhein. Das Hochwasser ist erstmal abgeflossen, bis die Schneeschmelze weiter im Süden einsetzt. Hier und da Schwemmholz. Im Gesträuch hat das Hochwasser Fahnen von Plastik und Pflanzenfasern hinterlassen. Am Anleger ansonsten alles ruhig.
In mir hingegen Unruhe.
Heute morgen die Nachricht vom Corona-Tod eines Nachbarn. Die Nachrichten über die sich rasch ausbreitende Mutante bei gleichzeitigem Realitätsverlust der Politik. Nein, nicht der ganzen, aber. Die eigenen Existenzsorgen. Die Sorgen um die nahen Menschen. Und doch, das normale Nebeneinander von Bedrückendem und Erhellendem gibt es nach wie vor: Mit dem Buchladen starteten wir ein neues Format, den Besuch im Buchladen. Alles mit Bordmitteln, also Smartphone und Stativ. Bald gibt es aber noch ein besseres Mikrofon dazu. Das Reinfuchsen in die Videobearbeitungssoftware hat mich gestern Nerven gekostet, aber es auch viel Freude gemacht. Schön, wenn man eine gute Idee umsetzen und daran wachsen darf.
An zerschlissenen Litfaßsäulen und dem Blick auf ein Lieblingshaus vorbei Richtung Hundwiese.
Ich passiere eins der Plakate für die laufende Ausstellung im Kölnischen Stadtmuseum: Alltag in Trümmern. Köln 1945. Es ist fraglich, ob sie noch vor Ort besucht werden kann. Aber es gibt nun ein feines Blog und digitale Führungen zu einzelnen Themen der Ausstellung. Und das ist wirklich sehenswert.
Ich habe ohnehin durch die CoronaWanderreisen vieles über die Stadt begriffen, in der ich seit über zwanzig Jahren lebe. Das wird hier noch intensiviert. Wenn man auf die Stadt heute guckt und sich über manches wundert oder ärgert, hilft es sehr, um die Geschichte zu wissen. Natürlich, werdet Ihr sagen. Aber auch Selbstverständliches will begriffen werden. Und wenn man weiß, warum etwas so ist, wie es ist, wird auch klar, dass es nicht mmer so bleiben muss. Eigentlich. In Köln findet Wandel statt, aber doch mit erstaunlicher, nun, nennen wir sie Geduld.
An der Hundwiese angekommen, erblicke ich ein kleines Grüppchen Abstand haltender Inhaber:innen von Hunden nebst denselben. Man scheint ermattet, vermutlich wurde bereits herumgetobt. Die Zungen hängen lang in die noch wintermüde Wiese, zumindest bei denen auf vier Beinen.
STOP!
Im Park stoße ich auf interessante Aufgaben in Kreide: STOP! Name 3 things you like about the other. Später: STOP! Last day b4 you die. What you do? Und: STOP! 30 sec eyes. Hm. Ich liebe diese Interventionen im öfentlichen Raum.
Ebenso wie die Texte, die im Viertel seit einer Weile ausgesetzt werden. Heute fand ich einen in Fetzen, aber dank Internet auch den vollständigen Text:
Naturwunder (Carl Rogers)
Eines der befriedigendsten Gefühle habe ich, wenn ich einen anderen auf dieselbe Weise genieße wie zum Beispiel einen Sonnenuntergang. Menschen sind genauso wundervoll wie ein Sonnenuntergang, wenn ich sie sein lassen kann. Ja, vielleicht bewundern wir einen Sonnenuntergang gerade deshalb, weil wir ihn nicht kontrollieren können. Wenn ich einen Sonnenuntergang betrachte, höre ich mich nicht sagen: „Bitte das Orange etwas gedämpfter in der rechten Ecke und etwas mehr Violett am Horizont und ein bisschen mehr Rosa in den Wolken.“ Das mache ich nicht. Ich versuche nicht, einem Sonnenuntergang meinen Willen aufzuzwingen. Ich betrachte ihn mit Ehrfurcht.
Texte, die man nicht sucht, aber findet.
Was für ein Glück. Drüben bei Facebook fand sich aufgrund eines solchen Schnipsels der Autor, dessen Gedichtband mit ebendiesem Gedicht demnächst erscheint (Link führt zu einem PDF, dem Verlagsprogramm). Er war irgendetwas zwischen misstrauisch und verwundert, so mein Eindruck. Aber das Gedicht wurde offenbar zunächst im Internet ausgesetzt, wo es gefunden und im Agnesviertel freigelassen wurde. Von wem auch immer. Wo ich es finden, posten und in Kontakt mit dem Autor kommen konnte. Es trifft genau das, womit ich immer versuche, das Internet zu beschreiben. Alle Texte sind übrigens im Internet zu finden, also googlebar.
Ach, ich lasse Euch hier auch noch ein paar Bilder vergangener Gänge ins Heimbüro da, die ich nur bei Instagram gepostet hatte. Nicht jeder Gang ins Heimbüro wird dokumentiert, nicht jeder dokumentierte Gang ins Heimbüro landet im Blog. Es gibt sie auch, die völlig versunkenen Gänge oder die ungeduldigen. Hatte ich eigentlich schon erzählt, dass ich neulich zum Thema Gehen Gast war im Podcast Lob des Gehens? Falls nicht, hole ich das jetzt mal nach.
Am Ende meines heutigen Gang ins Heimbüro tat ich übrigens noch etwas Unerhörtes: Ich machte eine Erledigung. Sonst verzichte ich bewusst darauf, um nicht während des Gangs nur an die Erledigung zu denken. Doch heute ist Donnerstag, also Markttag. Und nachdem ich gestern bei den Marktschwärmern geschwänzt habe, brauchte ich dringend Nachschub an Salat und Gemüse, zumindest, soweit die Saison (Saure-Gurken-Zeit!) es hergibt. Schalotten und Knoblauch fehlten auch, ach, wie schön, das reimt sich sogar.