„Madame! Bonjour, guten Morgen!“
Etwas verblüfft starre ich die Frau in Uniform an. Ach ja, so ist das, wenn man mit dem Thalys verreist: Da gibt es die netten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Bahnsteig, die dafür sorgen, dass man den richtigen Wagen findet. Vielleicht ist der Grund, dass der Wagenstand beim Thalys in der Bahn-App nicht angezeigt wird. Aber es zieht sich so durch, dass man sich an Bord des Zuges willkommen und gut aufgehoben fühlt. Als ich nach Mons reiste, kümmerte sich in Brüssel auch eine Mitarbeiterin des Thalys darum, dass ich meinen Zug fand. Sowas vergesse ich nicht.
Es geht wieder in die Wallonie! Abermals auf Einladung von Belgien-Tourismus Wallonie im Verbund mit Thalys und dem Atlantik Verlag. Auf den Spuren von Simenon. Eine Pressereise. Im Zug musterte ich neugierig die Reisegruppe, mit der ich zwei Tage lang in Lüttich, der Heimatstadt von Georges Simenon unterwegs sein würde. Schon wanderten papierne Tragetaschen zu uns, worin sich zwei Bücher von Georges Simenon befinden und Informationsmaterial über Lüttich und Simenon. Kurz darauf folgte ein Frühstück am Platz. Welch schöner Luxus!
Demnächst werde ich wohl mal als Normalsterbliche mit dem Thalys reisen müssen, um den Realitätscheck zu machen. Denn wir sind fürstlich in der 1. Klasse untergebracht (Premium-Ticket) und es gibt im gut designten Geschirr Kaffee, Orangensaft und verschiedene Speisen. Man macht sich bei Thalys Gedanken über Nachhaltigkeit, so sollte es sein. Draußen saust derweil das Herver Land hinter Aachen vorbei und schon wird Lüttich angesagt. Nur eine Stunde Fahrtzeit benötigt man, um die Stadt im Nachbarland zu erreichen. Von Köln aus Lüttich gibt es diese Verbindung bis zu fünfmal täglich und die Tickets in der Reisekategorie „Standard“ gibt es bereits ab 16 Euro pro Person.
Durch die Tage führen uns hauptsächlich Barbara Buchholz von Visit Wallonia und Christian Hildebrand von Thalys. Die Beiden blinzeln hier auf dem Bild oberhalb von Lüttich in die Samstagssonne. Danke für die wunderbare Organisation und das entspannte Miteinander!
Schattenseiten einer Stadt im Umbruch
Während in Köln noch ein paar Sonnenstrahlen zum Abschied schienen, begrüßte uns Lüttich mit tiefhängendem Himmel. Dass das Wetter an diesem Tag noch wahrhaft schaurig werden würde, war am Morgen noch nicht abzusehen. Der Bahnhof Liège-Guillemins wurde vom Architekten Santiago Calatrava entworfen und 2009 fertiggestellt. Er markiert den Aufbruch der abgewetzten Stadt an der Maas, die seit einigen Jahren zielstrebig verwandelt wird in eine modernere, grünere Stadt, in der Kunst, Kreativität und Kultur ebenso im Fokus stehen wie lebenswerteres Wohnen und Arbeiten.
Hier hat man viel vor. Hier passiert viel.
Die Anreise mit der Bahn ist auch deshalb wirklich dringend zu empfehlen. Mit dem Auto dürft man es derzeit schwer haben: Über 50 Bauprojekte und der Neubau einer Tram über 16 Kilometer von einem zum anderen Ende der Stadt und mitten hindurch prägen derzeit das Stadtbild – und natürlich auch, wie und wo man sich bewegen kann. Eine gewisse Resilienz ist gefordert, durchaus auch Abenteuergeist und dann erlebt man eine Stadt im Spannungsfeld von Gestern und Heute. Sehr empfehlenswert ist, mit einer kundigen Stadtführerin wie Helene Bings unterwegs zu sein. Sie und ihre Kolleg*innen verstehen es aufs Beste, die Augen und Herzen der Menschen zu öffnen, die diese vielgestaltige Stadt besuchen. Und sie aufs Wesentliche hinzuweisen.
Übernachten im Hotel Yust
Doch ich greife vor. Denn Helene lerne ich erst am zweiten Tag kennen. Erstmal gilt es, im bahnhofsnahen Hotel Yust einzuchecken. Auch das ragt aus den Baustellen heraus und ist noch nicht lange eröffnet. Während also das Drumherum etwas unwirtlich ist, überrascht ein behaglich gestaltetes Foyer. Auch die Zimmer sind einladend, die Betten gut, es gibt Begrüßungsmineralwasser. Allein die etwas umständliche Handhabung mit Zimmerkarte, ein geradezu absurd psychedelisch gestalteter Hotelflur und ein anfänglicher Tür-Karten-Konflikt verwirren mich zunächst. Später wird sich herausstellen, dass sich das angeschlossene Restaurant mit der Bewirtung einer Gruppe überschätzt hatte, sowohl qualitativ als auch in Sachen Abläufen. Am nächsten Morgen wird das aber durch ein sehr gutes Frühstück wettgemacht.
Alles in allem ein Hotel, das ich durchaus für Aufenthalte in Lüttich empfehlen kann. Sehr nettes Personal, übrigens.
Durcheinander mit System
Zu Fuß geht es nach dem Abstellen des Gepäcks und einem Kaffee im Foyer zum Museum Grand Curtius. Ab April fährt wieder die Navette, das Wassertaxi auf der Maas, was dann sicher eine herrliche Alternative für die Fortbewegung in einer Stadt ist, die entlang der beiden Flußufern gewachsen ist. So wird es ein Spaziergang durch die Stadt, an der ich bei meiner #KultourWallonie im letzten Mai kurz nippte und mich in den Park La Boverie flüchtete. Die Stadt wirkt beim ersten Besuch wie ein ordentliches Durcheinander. Oder gar ein unordentliches? Allein in der Architektur findet man in direkter Nachbarschaft zueinander Stile und Gebäudegrößen durch alle Jahrhunderte vom Mittelalter bis heute vor.
Helene Bings, die ich schon erwähnte, wird es damit erklären, dass die Menschen von Lüttich seit jeher sehr offen und aufnahmebereit waren. Andersartiges wird akzeptiert und darf andersartig sein. Das spiegelt sich übrigens in den Romanen von Georges Simenon sehr gut.
Apropos Georges Simenon
Ausführlicher werde ich den Parcours Simenon und die Ausstellungen drüben im Blog der Herbergsmütter vorstellen. Einstweilen hört doch die passende Episode #30 im schönen Podcast von Visit Wallonia mit Barbara Buchholz: Auf den Spuren Simenons in Lüttich.
Mein Eindruck ist, dass sich Lüttich möglicherweise selbst noch auf die Spur kommen muss. Obwohl Georges Simenon an jeder Ecke präsent ist, ob im Namen de Jugendherberge, in Straßennamen oder auch durch die verschiedenen Ausstellungen und das Festival zum 120. Geburtstag des Schriftstellers, scheint er in der Wahrnehmung insbesondere der jüngeren Generationen nicht sonderlich vorhanden zu sein.
Geprägt wird die Stadt momentan vor allem durch den Umbau, der bei allen Unannehmlichkeiten Perspektiven eröffnet. Während die Straßen und Geschäfte am verregneten und stürmischen Freitag nahezu ausgestorben wirkten, entdeckten wir am sonnigen Samstag eine quirlige Stadt, in der Menschen unterwegs waren und auf Sonnenterrassen genüsslich Platz nahmen. Dass manche der Sonnenterrassen in direkter Nachbarschaft der (wochenends ruhenden) Baustelle sind, stört nicht weiter. Man sitzt in der Sonne, speist Kleinigkeiten und hat ein erfrischendes Curtius im Glas – ein ausgezeichnetes, in Lüttich gebrautes Bier.
Eine Stadt mit vielen Gesichtern
Mit Helene Bings streifen wir auf dem Parcours Simenon durch die Stadt mit den vielen Gesichtern und erreichen über die Pont des Arches Outremeuse (jenseits der Maas), das Arbeiterviertel, in dem Georges Simenon aufwuchs. Wir streifen durch das Vergnügungsviertel Le Carré (tagsüber einkaufen, abends schlemmen), durchschreiten abenteuerliche Toreingänge und finden verwunschene Gassen. Marienschreine hängen über unseren Köpfen und überall finden sich an Paris erinnernde hölzerne Fassadenverkleidungen von kleinen Läden und ehemaligen Kneipen.
Wie schon Mons, das mein Herz eroberte, ist auch Lüttich keine auf Anhieb zugängliche Stadt. Wer sich jedoch auf Entdeckungen einlässt und sein Herz für Andersartigkeit und Absonderliches öffnet, so, wie es die Lütticher seit jeher tun, findet eben den verkehrspolitischen Fehlern der Vergangenheit eine vielfältige Stadt mit dem Mut zur Veränderung, der Freude an Genuss und Müßiggang und einem manchmal aufreibenden, manchmal aufregenden Nebeneinander von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Als wir etwas abgewetzt von den zahlreichen Eindrücken mit einer kleineren Gruppe einige der vielen, kleinen Treppen unweit der einen, der berühmten Treppe zur Zitadelle mit 374 Stufen hügelan steigen, finden wir schmale Gässchen und Höfe vor – und einen herrlichen Blick über Lüttich und die Maas. Eine fabelhafte Reisebuchhandlung, regionale Spezialtäten im Restaurant des Volkskundemuseum und in der Brasserie Toussaint, ein Laden mit kleinen Erzeuger*innen aus der Region mit einem Fahrradparkplatz drinnen gleich hinterm Eingang, ein Waffelladen mit dauerhaft langen Schlangen vor der Tür, eine Bäckerei mit Mehlsäcken im Fenster – es lohnt sich, Zeit in und mit dieser Stadt zu verbringen. Bei meinem nächsten Ausflug nach Lüttich freue ich mich darauf, mit der Navette über die Maas zu schippern, den Botanischen Garten zu besuchen und auf der idyllischen Terrasse der Brasserie Curtius in der Sonne zu sitzen bei einem herrlich kühlen belgischen Bier.
Hilfreiche Informationen gibt es bei Visit Wallonia, die man bei Fragen jederzeit auch fragen kann und deren Tipps handfest und praxiserprobt sind.
Hinweis zur Transparenz
Diese Reise fand im Rahmen einer Pressereise und auf Einladung vom Tourismusverband Belgien-Tourismus Wallonie und Thalys und statt, die die Kosten für Transport, Verköstigung und Übernachtung übernahmen. Der Atlantik Verlag stellte Bücher zur Verfügung. Meine Meinung bleibt davon weitestgehend unbeeinflusst. Ich schreibe bewusst „weitestgehend“, weil das ganze Miteinander und die Sorge um unser Wohl mich in eine Stimmung brachte, dass ich mich einfach auf die Reise freuen und sie genießen konnte. Dafür bedanke ich mich herzlich.
Ich war vor vielen Jahren (da lebte mein Papa noch und der ist schon seit 18 Jahren tot) mal in Liege/Lüttich.
Damals war ich total enttäuscht, denn die Straßen der Stadt waren unheimlich schmutzig, um nicht zu sagen dreckig.
Überall lag Müll herum und die Hinterlassenschaften einiger Hunde luden uns echt zum Slalomlaufen ein.
Ich hab gesagt, dass ich nie mehr nach Lüttich fahre.
Nach deinem Bericht werde ich es mir aber nochmal anders überlegen. Mal sehen, was mein Mann dazu sagt. 😉
Danke fürs mitnehmen. 🙂
Lieben Gruß
Herzlichen Dank, Carola. Eine Stadt, die einen zweiten Blick verdient hat, glaube ich. Vor allem wenn die Tram fertiggestellt ist. Liebe Grüße und danke fürs Lesen! Wibke
Ein freundliches Hallo aus dem Bergischen Land (ca. 25 km entfernt v. Köln),
mit Interesse habe ich den Podcast #35 von VISITWallonia.be gehört. Als die Sprache auf die lokalen Spezialitäten kam, lief mir sofort das Wasser im Mund zusammen. Seit 2017 bereise ich die Wallonie intensiv. Manchmal alleine oder zusammen mit meiner Frau und weiteren Gleichgesinnten, die sich zu einer Foto-Gruppe zusammenfinden und die Wallonie fotografisch erkunden. Wie im Podcast beschrieben, ist man (auch von uns aus) in etwas mehr als einer Stunde Fahrzeit dort und kommt in den Genuss der lokalen Leckereien wie Käse, Kaffee, Bier, Fritten, Schokolade, Waffeln und meinem geliebten belgischen Reiskuchen. Sobald sich ein Zeitfenster für einen Ausflug ergibt und das Wetter mitspielt, sind wir auf „Tour de Wallonie“. So kommt es, dass wir 1 – 2 mal im Monat dort sind.
Leider ist es uns nicht möglich die Wallonie mit dem Rad zu erkunden, aber dennoch lassen wir uns mit dem PKW in einer Art „Slow Traveling“ in der wunderschönen Landschaft treiben und verweilen fotografierend an den Orten, die uns gerade dazu einladen. Das „Slow Traveling“ fängt schon unmittelbar an der Landesgrenze an, wenn die Geschwindigkeit auf der AB auf 120 km/h begrenzt wird. Kein Rasen und Drängeln mehr, keine Hektik und Stress mehr und der Verkehr fließt. Ach wie sehr wünsche ich mir die 120 km/h-Regelung auf unseren Autobahnen. Sofern wir nicht in der Natur oder auf dem Land unterwegs sind, gehört seit vielen Jahren die Stadt Lüttich zu unseren favorisierten Zielen unserer (Foto-)Touren. Der morbide Charme, die Murals und Graffitos und nicht zuletzt die Architektur der Stadt bieten uns viele Motive und „Street-Situationen“. Aber wie auch im Podcast beschrieben, ergeben sich durch freundliche und kontaktfreudige Menschen kleine Abenteuer, die nicht eingeplant sind. So hatten wir durch eine spontane Einladung eines Reise- bzw. Stadtführers die Gelegenheit zusammen mit einer Reisegruppe hoch auf den Turm des Mémorial Interallié zu fahren und Lüttich aus der Vogelperspektive zu betrachten. Ich behaupte mal, dass ich Lüttich mittlerweile gut kenne und noch den ein oder anderen Tipp auf Lager habe. So kann ich einen Besuch des „Museum des öffentlichen Nahverkehrs der Wallonie (MTC)“ empfehlen. Dort kann man vorab schon mal in einem der neuen Tram-Wagen zur Probe sitzen, die hoffentlich bald durch Lüttich fahren.
Vielleicht trifft man sich ja mal zufällig in Lüttich, Erkennungszeichen: mindestens eine Kamera in der Hand oder seitlich über der Schulter hängend. 😉
Viele Grüße
Stefan
https://www.instagram.com/kultpix/
Mensch, herzlichen Dank, Stefan! Ich habe den Kommentar leider erst jetzt gesehen – da habe ich nicht aufgepasst, darf zu meiner Entschuldigung anführen, dass ich sehr slow auf Reisen in Frankreich war. Das klingt wirklich wunderbar, was Du von Ihren Reisen und Ausflügen in die Wallonie erzählst. Weiterhin viel Freude dabei. Und wer weiß, vielleicht treffen wir uns tatsächlich mal dort, in der Wallonie scheint mir alles Gute möglich.