Ein wackeliger Holztisch am Straßenrand.
Darauf zwei Kisten, eine mit duftenden Aprikosen, eine mit Honigmelonen. Eine Schachtel fürs Geld. Über allem der Gesang der Zikaden.
Es war meine erste Reise nach Südfrankreich, ins Hinterland der Provence. Die karge, raue, unzugängliche Landschaft, ebensolche Menschen, die Luft, das Licht, die Farben, der Himmel. Und auf meiner Zunge alles, was dort wächst und ist und nach wildem Thymian, Kalkstein, Steineichen, Kiefern, Sonne und Lavendel riecht und schmeckt.
Es ist nicht nur meine Verfressenheit, die mich tief mit dieser Landschaft verbindet. Aber, nun ja, ich hätte Schwierigkeiten, irgendwohin zu reisen, wo ich mich kulinarisch außen vor fühlen würde.
Während mich Besuche bei anderen mit unanständiger Neugier vor die Bücherregale führen, so ist es in anderen Ländern der Gang in die Lebensmittelläden und auf die Märkte. Eine Annäherung über den Mund und über die Nase, über das Hinschmecken und Riechen. Die Frage nach dem, was jemand liest, ähnelt der Frage, was und wie in einem Land gegessen wird.
Wenn ich jemanden nach seinen Reisen fragen, ist es immer auch die Frage nach dem, was dort gegessen und getrunken wurde. Die Vorstellung, dass man irgendwohin reist, und nur isst, was man von zuhause oder von überallher kennt, ist mir fremd. Die Mäcdonaldse dieser Welt deprimieren mich.
Mahlzeit!
Unsere Radreise liegt keine zwei Wochen zurück. Sie führte uns durch ganz unterschiedliche Landschaften Frankreichs. Gerade die Mahlzeiten am Mittag waren eigentlich immer gleich: Baguette, Käse, Salami, manchmal Aprikosen, Nektarinen oder ein Ochsenherz, Gazpacho und Orangensaft. Letzteres der Tatsache geschuldet, dass man in französischen Supermärkten Ostfrankreichs selten andere gekühlte Getränke fand (Energydrinks zählen nicht – bluärghs.). Wer mal bei über 40 Grad ein paar Stunden Rad gefahren ist, weiß, dass man irgendwann töten würde für ein kühles Getränk, etwas, das nicht handwarmes Leitungswasser aus der Trinkflasche ist.
Käse! Eigentlich könnte man sich wochen-, nein monatelang in Frankreich nur von Käse ernähren. Und ähnlich wie Wein ist Käse die Möglichkeit, sich die Beschaffenheit einer Gegend einzuverleiben. Alle Konsistenzen, alle Gerüche, alle Geschmäcker, alle Alter, mit jedem Bissen, mit jedem Kosten wird man, was man isst.
Man fügt sich essend und trinkend einer Landschaft hinzu, allem, was dort wächst und lebt.
Wer reist, isst. Wer isst, reist.
Während meine Reisen mich also immer in dieselben Landschaften und Länder führen, weil ich mit denen längst noch nicht „durch“ bin, treibt mich andererseits die Sehnsucht, von anderen zu erfahren, wie es andernorts ist. Ich sehe mir Dokumentationen an. Ich lese Bücher. So gern die, in denen auch vom Essen erzählt wird. Ich esse keinen Fisch, mag und vertrage ihn nicht, werde mich aber auf immer nach der Bouillabaisse in Jean-Claude Izzos Marseille-Trilogie sehnen.
Ich werde mit großer Wahrscheinlichkeit nie nach Japan reisen und lese mich Doris Dörries Liebe zu diesem Land näher, wenn sie davon erzählt, wie sie ihre Ankunft mit heißem grünen Tee und ganz besonderen Reisbällchen namens Onigiri manifest macht.
„Zupf, zupf die Verpackung aufreißen, der erste Biss ins Reisbällchen, dazu die Flasche heißen, grünen Tee und mich irgendwo auf der Straße auf ein Mäuerchen hocken – erst dann bin ich wirklich in Japan angekommen.“
Unvermutete Qualen während einer Teezeremonie im Zen-Kloster. Salzige Pflaumen, die eher Aprikosen sind. Das vernünftige Schlürfen heißer Nudelsuppe. Und Nabemono, das friedliche Rumsitzen um einen Topf. Ich lasse mich von Doris Dörrie mitnehmen in ein anderes Land, das auf mich immer schillernd und erdverbunden zugleich wirkt. Ich sitze mit ihr für einige Seiten lang im schönsten Tofu-Restaurant der Welt in Kyoto:
„Es liegt ein wenig versteckt in den Arashiyama-Bergen am jadegrünen Hozu-Fluss. Auf den ersten Blick ist es nur ein kleines Hexenhäuschen, aber es ist berühmt für seine Tofu-Küche, die hier an Ort und Stelle hergestellt wird. Man sitzt auf einer kleinen Holzveranda über dem Fluss, und als Vorspeise bekommt man Seidentofu, so weich und cremig wie Pudding, mit ein bisschen Salz und geriebenem Ingwer, gefolgt von verschiedenen Gemüsen auf Tofu-Blättern, die Yuba heißen und umwerfend fein schmecken, als Hauptgang dann herzhafte Suppe mit Tofu aus dem Tontopf und zum Abschluss Tofu-Eis, das so zart schmilzt wie wie das beste Joghurteis nicht.”
Ich werde nicht alle Länder und Landschaften der Welt bereisen. Was ich tun kann, ist essend verreisen, mit Vorliebe nach Thailand, Vietnam oder Korea. Nach Indien, in den Libanon, nach Israel, in die Türkei, nach Spanien und immer wieder nach Italien. In andere Zeiten, als das Arme-Leute-Essen noch keine kulinarische Spezialität einer Region war, sondern eine Notwendigkeit. Eine Reise zu Mutters Kohlrouladen und den Waffeln mit heißen Kirschen an einem Sonntag mit Schnee und Sonne. Vielleicht dann auch mal nach Japan?
Reisen im Topf und auf dem Teller. Reisen im Kopf und mit dem Magen. Die Welt auf dem Teller eben. Danke fürs Inspirieren und Mitnehmen, Doris Dörrie!
Im Rahmen einer bezahlten Kooperation mit dem Diogenes Verlag darf ich mich den Geschichten aus dem frisch erschienenen Buch von Doris Dörrie lustvoll hingeben: Doris Dörrie, Die Welt auf dem Teller. Inspirationen aus der Küche. Im nächsten Blogbeitrag werfe ich Euch ein Blogstöckchen zu!
Vor diesem Beitrag hier schrieb ich über die noch warme Baguette, Trostpudding und eine Schnitzelkönigin und „Wir sind, was wir essen, aber wir sind auch, wie wir kochen.”
Frankreich und Essen, das ist ein und dasselbe. Ich kann nicht an das Land denken, ohne an Käse zu denken! Und es gibt da sogar familiäre Verbindungen!!!
Jedesmal, wenn ich einen Langres esse, sende ich innerlich einen kleinen Gruß an Euch!
Ach, ich träumte gerade wieder direkt von so einem Mäuerchen zum Hocken in Japan. Einer Nische zum Verweilen oder einem Ort zum Beobachten, während man genießt.
Habe noch nichts von Doris Dörrie gelesen, nur einige Filme mit Bezug zum Land gesehen.
Der Herbst kommt, mein Magen knurrt gerade. Da werden Fahrten nach Düsseldorf anstehen, um mich mit Nudelsuppe bis zum erhofften nächsten Aufenthalt zu vertrösten.
Wo es in Düsseldorf die beste Nudelsuppe gibt, musst Du mir bei Gelegenheit mal verrraten!