Und noch ein Bund Radieschen, bitte!
Die Radieschen passen gerade noch in die Tüte mit den Markteinkäufen. Meine hungrigen Blicke wandern über die Kisten voller Gemüse, Salate, Kartoffeln, Kräuter und Obst. In diesen Wochen gibt es am Stand des regionalen Biohofs vieles aus eigener Ernte. Ich möchte von allem kosten, jetzt, sofort, denn schon bald wird die Auswahl wieder kleiner werden.
Wenn ich Radieschen sehe, erinnere ich mich sofort an die drei Jahre mit Mietacker. Ein Gemüseselbsternteprojekt: Ich mietete einen Streifen Ackerland, auf dem bei der Übernahme im späten Frühjahr bereits etliche Gemüsesorten, Kartoffeln, Blumen und Kräuter vorgesät und -gesetzt waren. Und dann konnte ich dort bis Ende November, Anfang Dezember mein eigenes Gemüse anbauen. (Ähnliches gibt es inzwischen in vielen Städten.) Schon ungefähr zwei Wochen nach der Übernahme Anfang Mai, hingebungsvollem Gießen und Gut zusprechen gab es die erste Ernte: Spinat und Radieschen. Nichts davon landete zuhause. Vor Ort aß ich alles auf. Den jungen, zarten Spinat. Die rot leuchtenden, rattenscharfen Radieschen. Aus der Hand in den Mund. Welch‘ Delikatesse!
Ein Acker für mich allein
Die Zeit mit dem Mietacker hat mein Wissen über Lebensmittel enorm erweitert. Vieles sah ich zum ersten Mal von Saatkorn bis zur Ernte wachsen, Rosenkohl, etwa, oder Rote Bete, Amaranth und Mangold. Das Wunder der Zellteilung, die Kunst der richtigen Nachbarschaft und Fruchtfolge, die Suche nach noch unbekannten Sorten in Saatgutkatalogen, der prüfende Blick auf den Boden, die Abhängigkeit von dem Wetter – mein Blick auf alles, was wächst und was ich in Läden und auf Märkten sehe, hat sich seitdem verändert. Er ist wertschätzender geworden.
Diesem wertschätzenden Blick begegne ich auch in Doris Dörries Geschichten vom Essen und Kochen. Ihre Ode an die Petersilie. Sie erzählt vom Holunder, von der Birne (und von Herrn Ribbeck auf Ribbeck im Havelland!) und vom Kohl.
Kimchi für den inneren Frieden – und für den Weltfrieden
Vielleicht geht es Euch auch so wie Doris Dörrie, die sofort diesen muffigen Geruch von längst zerkochtem Kohl in der Nase hat. Dieser Geruch hing oft tagelang in den Häusern und Wohnungen der Kindheit. Glücklich, wer Kohl anders kennenlernte. Und vielleicht neu kennenlernte. Und dann stellt man beim Lesen von Dörries Geschichte vom Kohl erstaunt fest, dass es nicht, wie oft kolportiert, Deutschland ist, in dem Kohl am meisten verehrt wird.
„Überall auf den Märkten [von Peking] schier unüberwindliche Berge von Kohl, die eiskalten Landstriche in Zentralchina verwandeln sich im Winter in einer Art Kohl-Andachtsgebiet, nur übertroffen von Korea, wo jeder glaubt, dass es ohne Kimchi kein Leben auf diesem oder irgendeinem anderen Planeten geben kann. Das geht seit fast dreitausend Jahren so. Jüngst wurde Kimchi zum koreanischen Kulturgut erhoben, jede Familie hat ihr überliefertes Rezept, und gemeinsam Kimchi herzustellen bringt »Jeong« hervor, was Liebe, Gefühl, Sympathie, Teilen und Menschsein bedeutet. Vielleicht ein Rezept für politische Spannungen? Einfach mal zusammen Kimchi herstellen.”
Es wäre traumhaft, wenn das eine Lösung sein könnte.
Mindestens einmal am Tag mit der Familie zusammen zu essen, das betont Doris Dörrie immer wieder, liegt ihr am Herzen. Miteinander essen, sehen und darüber sprechen, wie es den anderen geht. Das geht übrigens nicht nur mit Familie so. Sich einmal am Tag mit sich selbst hinzusetzen, sich etwas zu kochen, und beim Essen nicht nur hinzuschmecken, sondern auch hinzuhören, wie es einem geht, kann sehr tröstlich sein. Ich habe das jahrelang so gemacht und mir angewöhnt, mir mit dem einfachen und notwendigen Akt des Kochens und Essens etwas Gutes zu tun.
Essen ist Erinnern
Erinnerungen an das Essen der Kindheit. An das Essen in der Familie. An Essen auf Reisen. An Begegnungen mit der Welt und mit sich selbst in Form von Lebensmitteln. Ich selbst erzählte Euch hier im Blog von der noch warmen Baguette, Trostpudding und einer Schnitzelkönigin, der Verbundenheit mit dem Boden, auf dem wächst, was wir essen und dem Einverleiben von Landschaft durch Essen auf Reisen.
Blogstöckchen #DieWeltaufdemTeller: Nun seid Ihr gefragt!
Erzählt vom Essen, vom Kochen, vom Küchenglück und von Küchenkatastrohen, verfasst Oden und Schmähstücke, erinnert Euch essend an Reisen und reisend an Essen: Ausgehend von den Inspirationen durch Doris Dörries Buch Die Welt auf dem Teller werfe ich ein Blogstöckchen.
Also, früher™ hieß es Blogstöckchen, wenn man eine oder mehrere Fragen in die Welt schickte, andere Blogger:innen sich diese griffen, in ihrem Blog darüber schrieben und das Blogstöckchen weiterwarfen. Üblicherweise gab man das Blogstöckchen gezielt an zwei, drei andere weiter und so weiter. Klingt das vertraut? Ja, inzwischen nennt man das Challenge und findet eher bei Instagram statt. Ich bin für beides, daher verlängere ich das Blogstöckchen zusätzlich als Challenge nach Instagram. Dort werde ich ab dem 21. September jeden Tag einer der folgenden Fragen in den digitalen Raum stellen.
- Glück, Heimat, Trost, Abenteuer oder „Igittigitt“: Wonach schmeckte Deine Kindheit?
- Lust oder Last: Was bedeutet Kochen und Essen im Alltag für Dich?
- Knoblauch, Nudeln, Honig, Kekse, Kardamom: Nimm‘ ein Lebensmittel aus Deinen Vorräten in die Hand und erzähle uns von seinem Geschmack, vom ersten Mal, als Du es probiert hast, von der Geschichte, wie es in Deinen Vorräten landete – und warum.
- Die Schönheit von Essen: Gibt es eine Frucht oder ein anderes Lebensmittel, dass Du allein wegen seiner Form und Farbe liebst? Wegen seines Dufts? Oder wegen einer Erinnerung, die Du damit verknüpfst?
- Die Welt auf dem Teller: Ein Gericht in einem anderen Land, ein Essen aus einer anderen Kultur, gepflückt oder gekauft an einem anderen Ort – nimm‘ uns mit auf eine Reise. Woran erinnerst Du Dich?
So macht Ihr mit:
Fühlt Euch eingeladen, eine, einige oder alle dieser fünf Fragen in Euer Blog via Copy & Paste mitzunehmen und dort zu beantworten. Im Gegensatz zu einer Blogparade hat ein Blogstöckchen übrigens kein Verfallsdatum oder eine Deadline. Dieses Blogstöckchen gilt auf ewig. Selbst wenn Ihr es erst in drei oder dreizehn Jahren entdeckt: Nehmt es mit und schreibt übers Essen. Postet den Link zu Eurem Beitrag gern hier in den Kommentaren, denn ich möchte sie alle Lesen, Eure Geschichten ums Essen und Kochen. Fühlt Euch frei, andere einzuladen, so dass die Sammlung von diesen Geschichten wächst. Essen verbindet. Schreiben auch.
Ich nominiere hier niemanden. Mich selbst setzt das immer unter Stress, wenn ich aus heiterem Himmel Schreibaufträge bekomme. Aber vielleicht habt Ihr jetzt, hier und heute Lust, Euch inmitten der unerfreulichen Weltlage mit etwas zu beschäftigen, das Euch hoffentlich mindestens so gut wärmt wie ein Teller mit heißer, würziger Suppe an einem kühlen Novembertag.
Mein Dank an Doris Dörrie und Diogenes Verlag
Und Doris Dörries Buch Die Welt auf dem Teller lege ich Euch ans Herz, ob zum Selberlesen oder zum Verschenken. Der Autorin danke ich für dieses Buch, das für mich gerade zur rechten Zeit kam. Denn angesichts der Weltlage nicht zu verzweifeln hilft es schon, sich die Welt auf den Teller zu holen. Mit aller Freude und mit allen Gedanken über einen verantwortlichen Umgang mit der Welt.
Ich erinnere bei dieser Gelegenheit auch gern an Doris Dörries ermutigende Einladung zum Schreiben: Leben. Schreiben. Atmen. Falls Ihr noch zögert, Eure Erinnerungen einfach aufzuschreiben, könnte dieses Buch eine Hilfe sein.
Die Beiträge hier enstanden allesamt in Kooperation mit dem Diogenes Verlag, bei dem ich hierfür herzlich bedanke. Mir hat das Lesen und Blättern und Nachdenken sehr gut getan. Über Essen und Kochen zu lesen, über Essen und Kochen zu schreiben, das ist fast so gut wie an einem gedeckten Tisch zu sitzen.
Liebe Wibke, ein schönes Blogstöckchen und so passend für dich. Ich liebe ja deine Essensfotos und meistens läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Danke für die Inspiration endlich mal wieder etwas zu schreiben. Und das ‚Schreiben‘-Buch von Doris Dörrie muss ich mir jetzt endlich auch mal zu Gemüte führen. 🙂 https://www.claudiaplaudert.de/?p=7325
Liebe Claudia,
hoppla, Deinen Kommentar habe ich gerade erst gesehen! Menschen, die noch im Blog kommentieren, ich bin entzückt. Auch darüber, dass Du Dir das Blogstöckchen gegriffen hast. Das habe ich sehr gern gelesen!
Danke, liebe Wibke, für den Buch-Tipp! Und was die kulinarische Challenge angeht, greife ich dein Blogstöckchen nur zu gerne auf, denn mir kam kürzlich eine Idee, die auch mit Musik zu tun hat… Bald mehr! Liebe Grüße von der Küste! Elke
Hallöchen von einer Besucherin ????
Ich habe das Blogstöckchen ebenfalls gerade aufgegriffen und bedanke mich sehr.
Liebe Grüße!
Hui, leider erst jetzt gesehen, bitte entschuldige! Dankeschön. 🙂
Gerade gefunden und gerne beantwortet.
https://carolahaze.wordpress.com/2021/01/26/blogstockchen/
Wie schön, ich freue mich!