Christa. Ich höre breit grinsend die Podcast-Episode von Bonjour Wallonie an, in der Françoise Hauser mit einer Frau spricht, die mir 60 Meter unter der Erde mit viel Freude den ein oder anderen gewaltigen Schrecken eingejagt hat. Es war an dem Tag, an dem ich dem schönen Herver Land den Rücken kehren sollte, um mich mit meinen beiden Herbergsmüttern Anke und Ute und mit Barbara von Visit Wallonia in Lüttich zu treffen – Finale der #KultourWallonie!
Ein Besuch in Blegny-Mine
Auf meinem Weg lag ein Ort, den ich im Vorfeld interessiert beäugt hatte – aber auch mit, hm, Vorsicht. Höhlen, Gruben, das Unterland, all das reizt mich nicht wirklich. Ich finde ja Keller schon seltsam bedrückend. Tageslicht ist eine feine Sache, Höhlenforscherin wäre nie mein Berufswunsch gewesen. Und auch nicht die Arbeit unter Tage, aber es gab (und gibt) Menschen, die diese Wahl nicht hatten. Am Morgen verabschiedete ich mich von meinem wundervollen B&B-Gastgeber-Paar. Von meinen Plänen hatte ich ihnen erzählt: Es ging für mich nach Blegny-Mine, dem ehemaligen Kohlebergwerk und schon seit Beginn der 1980er Museum und Erinnerungsort. Isabel erzählte, dass ihr Großvater aus Spanien in die Wallonie kam und unter Tage arbeitete. In Blegny.
Wieder war alles miteinander verbunden in diesem Großraumdorf Herver Land. Christa Dujardin, mein Guide in Blegny, erzählte mir, dass sie noch am Abend zuvor ein Konzert in Val-Dieu besucht hatte. François? Kennt sie. Natürlich. Mich wundert hier gar nichts mehr. Gewundert haben wir uns indes darüber, dass man uns offenbar vergessen hatte. Eigentlich sollten wir eine Stunde vor der offiziellen Öffnung alles besichtigen. Doch die Tür war verschlossen, der notwendige Techniker für die Fahrt in den Förderschacht nicht da. Es wurde telefoniert, Unterstützung machte sich auf den Weg und solange spazierten wir das weitläufige Gelände mit Relikten der Vergangenheit, einem Spielplatz und einem kleinen Streichelzoo ab. Auf dem Gelände gibt es auch ein Museum zur Geschichte des Kohlebergbaus. Wie schön, ein Grund für einen weiteren Besuch!
Von nun an ging’s bergab
Schließlich war es soweit: Wir schmissen uns in Bergmannskittel, es gab schicke Schutzhelme und dann war aber auch schon alles startklar. Wir stiegen in den luftigen Aufzug der Bergleute von Einst. Es ging abwärts. 30 Meter unter der Erde stiegen wir aus. Meine Beine waren prompt ein bisschen gummiartig. Christa hingegen war sichtlich komplett in ihrem Element. Ein wirklich großartige Führerin durch diese Welt von Damals, sachkundig begeistert und mit viel Esprit. Und mit einem speziellen Humor, denn weil es ihr ein Anliegen ist, einem durch eigenes Erleben zu verdeutlichen, wie das in vergangenen Zeiten war, gab es Bergbau für alle Sinne: Licht aus, der unfassbare Lärm des Arbeitsalltags früherer Zeiten an, den verflixt schweren Abbauhammer mal in die Hand nehmen und RATT-RATT-RATTATTTTAAAAT! Adrenalin jagte durch meine Adern, langweilig war es gewiss nicht. Der Geruch. Die Geräusche. Die Luft. Was für eine beklemmende Unterwelt, in der das Miteinander und das Vertrauen ineinander überlebenswichtig waren und über die die Heilige Barbara wachte. Über eine steile, etwas flutschige Treppe ging es dann (mit Radschuhen, wah!) nochmal 30 Meter tiefer.
Es war durchweg beeindruckend, mitunter etwas furchteinflößend, aber immer erhellend, dieser Einblick in das Arbeiten unter Tage. Christa vermag den Bogen zur Gegenwart zu schlagen. Hier wird nichts beschönigt, aber sie ist voller Respekt. Sie ergötzt sich nicht an dem, was war. Sondern sie macht klar, unter welchen schweren Umständen gearbeitet wurde, wie man auch für Medizin, Technik und Wissenschaft viel gelernt hat durch die Auswertung von Krankheiten, Mangelernährung und Unfällen. Sie erzählte von dem schweren Unglück 1956 in dem wallonischen Bergwerk Bois du Cazier in Marcinelle. Skurril und traurig zugleich: Für die Menschen in Belgien war es das erste Live-TV-Event der Fernsehgeschichte, denn fast jeder kannte jemanden, der betroffen war. Unter den 262 Toten waren allein 136 Italiener, denn viele waren im Rahmen eines Abkommen nach dem Zweiten Weltkrieg nach Belgien gekommen. „Ihr bekommt Kohle und sendet uns dafür Arbeiter.“
Und so ist in Blegny auch die Geschichte der Zuwanderung erzählt. Man sieht, wie die Gastarbeiter gelebt haben und welchen Weg sie genommen haben. Salvatore Adamo, der Chansonnier und Schlagersänger, kam etwa mit seinen Eltern 1947 in die Wallonie, wo sein Vater Bergmann wurde. Auch der Vater des ehemaligen Ministerpräsidenten der Wallonie, Elio Di Rupo, kam aus den Abbruzzen nach Belgien, um als Bergmann zu arbeiten. In Blegny wird Italien Jahr für Jahr mit einem großes Fest gefeiert. Auch andere Nationen sendeten Menschen in die Wallonie, um dort unter Tage für den damals wirtschaftlich enorm bedeutenden Bergbau zu arbeiten.
Die Wallonie: Eine Region voller Natur, Kultur, Genuss – und Industriegeschichte
Wie in Lothringen, dem Ruhrgebiet oder dem Saarland vervollständigt die Besichtigung dieser einstmals so wichtigen und bis heute nachwirkenden Industrie das Bild dieser Regionen. Hier wurde europäische Industriegeschichte geschrieben. Die Menschen und ihr Tun prägen über Jahrzehnte und Jahrhunderte ihren Landstrich. Und so reiste ich nach der herzlichen Verabschiedung von Christa sehr nachdenklich Richtung Lüttich, das so stark im Wandel ist und die Kontraste der Wallonie und Belgiens ausgezeichnet und mitunter schmerzhaft deutlich spiegelt.
Es war ein wenig wie nach Hause kommen, zurück aus dem grünen Herver Land in diese kontraststarke Stadt, mit der ich doch anfangs fremdelte. Nun erfüllt mich ein geradezu zärtliches Gefühl, weil mir nun bewusster ist, wie vielen Einflüssen und Ereignissen dieses kleine große Nachbarland ausgesetzt war und ist. Und weil es belebt wird von Menschen, die mir rasch ans Herz wuchsen. Menschen, die mir ohnehin am Herzen liegen, traf ich dann vorm Hotel in Lüttich. Mit Ute, Anke und Barbara war es ein herrliches Finale unserer dritten KultourWallonie, die eine unverbrüchliche Verbundenheit zur Wallonie geschaffen hat.
Blegny-Mine für alle?
Ich möchte den Besuch in Blegny-Mine sehr empfehlen. Aus meiner Schulzeit erinnere ich mich an mindestens zwei, vermutlich aber drei Besuche von Zechen im Ruhrgebiet. In Südfrankreich waren wir mal in einer Führung durch die Ockermine und auch das Bergbaumuseum in der Eifel besuchten wir mal. So richtig viel blieb nicht hängen. Es braucht eine Christa, die Zusammenhänge erklären kann und man versteht sehr viel mehr von der Geschichte einer Region und die anhaltende Bedeutung dieses Kapitels Industriegeschichte für Europa. Falls Ihr also die Gelegenheit habt, vereinbart Ihr die deutschsprachige Führung mit ihr.
Nicht geeignet ist der Besuch für Menschen, die nicht gut zu Fuß sind und sich vor dunklen Räumen in großer Tiefe oder abenteuerlichen Fahrten in recht luftigen Aufzügen fürchten. Man bewegt sich zwischen 60 Metern in der Tiefe und 45 Metern in der Höhe.
Transparenzhinweis
Die Reisekosten wurden von Visit Wallonia Deutschland übernommen, und zwar vom 23. bis 26. Mai 2024 inklusive Anreise und Auslagen. Herzlichen Dank für das unkomplizierte und herzliche Miteinander!
Ich müsste hier aus formalen Gründen schreiben, dass meine Meinung unbeeinflusst war und ist, aber spätestens seit der ersten #KultourWallonie bin ich komplett voreingenommen, was die Wallonie und Visit Wallonia Deutschland betrifft. Die Gegend ist eine Wucht, die Leute toll. Sprecht sie gern selbst an, wenn Ihr Fragen zur Wallonie habt. Dort antwortet immer jemand und man merkt, dass sie selbst die Region schätzen, kennen und mögen.
Die Zusammenfassung der #KultourWallonie.
*Die #KultourWallonie führt uns Herbergsmütter in Kooperation mit VisitWallonia Deutschland auf verschiedenen Routen durch den südlichen und französischsprachigen Teil Belgiens, die Wallonie.