Heidewitzka!
Der Fahrradmensch schiebt mein Fahrrad aus der Werkstatt in den Ladenraum. Es ist repariert und fahrbereit. Halleluja! Rasch mache ich vorm Radladen ein Foto und stelle fest, dass ich überhaupt kein Bild gemacht habe von dem Schaden. Zu schmerzvoll war der Anblick nach dem Knall.
Nun sieht es dank Le Faubourg du Cycle wieder prächtig aus und das grüne Wunder reist auf dem Auto als tadelloses Zweihorn von Bergerac in unsere Unterkunft bei Monpazier. Während ich auf den Postboten gewartet und beim Langstreckenlesen einen Gutteil des Leseproviants vertilgt hatte, hatte der Herr des Geschehens bereits die Umgebung mit dem Rad erkundet und schöne Strecken für Ausfahrten gefunden. Nicht ohne sei die Gegend, hörte ich. Und besah mir nachdenklich die Höhenmeter, die der Mann bereits gesammelt hat. Man muss wahrlich nicht in die Alpen fahren, um Anstiege und Abfahrten zu finden. Wohlan.
Flanieren auf dem Rad
Der Radius für Erkundungen mit einem Auto mag größer sein. Mit dem Fahrrad sieht und erlebt man mehr. Man kommt nicht nur auf Straßen und Wege, die einem mit einem Auto verborgen bleiben. Der Kontakt mit der Gegend, durch die man sich bewegt, ist einfach ein anderer: das Auf und Ab, die Landschaft, die Tiere und Menschen darin, die Gerüche, Wind und Wetter, die Entfernungen – alles macht sich unmittelbar bemerkbar. Zwischendurch kann man umstandslos stehenbleiben, etwas trinken, sich umgucken und ein Foto machen. Auf jedem Meter, den man mit dem Rad unterwegs ist, ist man dabei und kommt dennoch herum. Ich liebe das sehr.
Saint-Avit-Rivière, Saint-Avit-Sénieur und Beaumontois en Périgord sind Orte, die wir mit den Rädern bereisen. Beeindruckende Wehrkirchen und Zeugnisse von jahrtausendealter Geschichte. Cafés mit ganz gegenwärtigem und frisch gelöschtem Küchenbrand, wo man in aller Gelassenheit Getränke serviert (Essen gerade leider nicht, quel dommage) und im Hintergrund die Feuerwahr noch herumfuhrwerkt. Zugeparkte Kirchhöfe. Vorbei an steil aufragenden Kalkfelsen und kilometerlang durch ehrfurchtgebietende Eichenwälder.
Lauter Betretungsverbotsschilde, weil nahezu alle Wälder privat sind. Die Idee, vielleicht mal selbst in die Pilze zu gehen, verwarfen wir rasch. Hier versteht man keinen Spaß bei der Übertretung von Grenzen und Gesetzen, selbst wenn es mitunter nur unsichtbare oder ungeschriebene sind. Das war deutlich zu spüren und man will als deutsche Tourist*in doch nicht allzu unangenehm in einem der einstigen Hauptaktionsgebiete der Résistance auffallen.
Weltkulturerbe zum Anfassen
Auf unserem Weg zurück liegt Cadouin. Durch diesen hübschen Ort führt einer der vier Jakobswege von Frankeich, die Via Lemovicensis. In gewisser Weise fühle ich mich stets gleich ein bisschen zuhause, wenn ich auf die Pilgermuschel treffe. Immerhin leben wir in Köln gleich am Jakobsweg und das verbindet. Die Zisterzienserabtei von Cadouin aus dem frühen 12. Jahrhundert ist mit ihrem berühmten Kreuzgang UNESCO-Weltkulturerbe und gilt als ein Meisterwerk der Gotik. Nun ja, uns hat der mittelalterliche Ort tiefer beeindruckt als der für Frankreich überraschend todsanierte Kreuzgang. Wir wandern eine ganze Weile durch die verwinkelten Gassen und mopsen von einem beeindruckenden Salbeibusch eine Handvoll Salbei fürs nächste Mahl.
Nahe geht mir Saint-Avit-Sénieur, wo ebenfalls eine Abtei aus dem 12. Jahrhundert steht – auch auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela, auch UNESCO-Weltkulturerbe. Aber im Gegensatz zu Cadouin ungleich … vergessener? Obwohl man schon von weitem den Turm der Abteikirche hoch aufragen sieht. Die Abtei ist mitten im Ort. Womöglich ist es aber eher umgekehrt, dass der Ort sich um die Abtei schmiegt? Wir stoßen auf halbverfallene Mauern und einen prächtigen Lavendelgarten.
Hoch ragt die Kirche über uns auf. Es ist ein gigantischer Bau, machtvoll und wehrhaft. Tritt man ein, fällt der Blick auf sensationelle Fresken aus dem Mittelalter. Vor sichtlich längerer hat jemand mal einige Informationsschilder aufgestellt. Ich hätte sie besser fotografiert. Denn erstaunlicherweise findet man im Internet nur spärliche Informationen über die Abbaye de Saint-Avit-Sénieur. Ich denke immer noch an sie. Und das Café mit dem Küchenbrand befand sich direkt auf der Rückseite, gleich neben dem komplett zugeparkten Kirchhof.
Es war ein schöner Tag auf dem Rad.
Wir sehen große Höfe und Güter mit großen Walnussplantagen und weiten Tabakfeldern, halten an trutzigen Wehrkirchen, kehren hier und da ein, treffen auf reizende Einheimische (siehe unten) und fahren durch viele einsame Landstriche.
Alles gut? Nun ja, wenn da nicht Frau Holle wäre. Während die ersten Tage sonnig und sommerwarm waren, zieht sich der Himmel immer öfter zu. Mit ihrer Gießkanne geht die Wettergöttin großzügig übers Land und es wird kühler und kühler … Des einen Freud ist des anderen Leid. Wir freuen uns über warme Wolldecken in der Ferienunterkunft und blicken zunehmend betrübt auf die Regengüsse, die vorm Fenster niedergingen. Damit hatten wir nicht gerechnet. Es gibt allerdings genug zu lesen, genug zu essen – und wir entdecken eher zufällig, wie fabelhaft die Gartenkunst im Périgord gepflegt wird.
Und dorthinein nehme ich Euch im nächsten Teil mit.
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Während der rheinische Winter die Welt in müdes Grau taucht, mache ich im Blog eine Reise durch Raum und Zeit: Im Sommer 2021 ging es nach Frankreich. Eine Reise, die nun erzählt wird.
Teil 1: Ein fataler Knall und der Gesang der Frösche an der Loire
Teil 2: Ankommen im Périgord noir und Hoffnung fürs Fahrrad
Teil 3: Frankreich liegt uns auf der Zunge und ich fliege einem Postboten in die Arme
Teil 4: Von Wehrkirchen, Zisterzienserabteien und Eichenwäldern: Mit dem Rad unterwegs im Périgord
Teil 5: Französische Gartenkunst und eine unerhörte Begegnung
Teil 6: Auf dem Fernradweg La Vélomaritime in die deutsch-französische Geschichte
Teil 7: Ein Abdruck im Gras und unterwegs im Land der Sch’tis
danke fürs mitnehmen! 🙂
Danke fürs Mitkommen! ????
Wunderbar, dass wir hier im Januar, der etwas matschig zwischen Frühling und Winter herumeiert, einfach mal so in Frankreich mit dir herumstreifen können. Danke! (…Fernweh… schlimm!)
Danke, liebe Susanne. Ich freue mich, wenn Du mich bei meiner Selbsttherapie in diesen grauen Matschwochen in einen vergangenen Sommer begleitest. <3