Eine Reise in den Südwesten Frankreichs
Während der rheinische Winter die Welt draußen in maues Mehltaugrau taucht, mache ich im Blog eine Reise durch Raum und Zeit: Im Sommer 2021 ging es nach Frankreich. Womöglich erzählt es viel über das Jahr, dass diese Reise bisher im Blog nicht auftauchte. Nun, ich habe nicht zuletzt nach unserer Reise in die Alpen und an die Adria im vergangenen Jahr schlimmes Frankreichweh. Und vielleicht habt Ihr auch das Bedürfnis, inmitten der unerfreulichen Weltlage mal etwas anderes zu sehen und zu lesen.
Das Périgord, also. Während wir 2020 mit den Rädern durch den Osten Frankreichs reisten und die Lage durch die Pandemie eher sperriger als entspannter wurde, freuten wir uns über die Aussicht, im Südwesten Frankreichs das Haus einer Freundin bewohnen zu dürfen. Es schien uns doch verlässlicher als die schwankende Situation insbesondere auf den städtischen Campingplätzen, von denen etliche geschlossen blieben. Die Idee war, von der Unterkunft aus Erkundungen mit den Rädern oder vielleicht sogar eine Radreise über mehrere Tage vor Ort zu machen. Das Zelt war dabei, die Radtaschen auch. Nun, es sollte etwas anders kommen.
Aber erstmal Räder aufs Auto, Gepäck rein und auf in eine Gegend, auf die mich auch Martin Walkers Kriminalromane um Bruno, den Chef de police in dem fiktiven Ort Saint-Denis, neugierig gemacht haben.
Es ging los mit einem Knall
2021. Das Jahr, in dem Corona nochmal anstrengender wurde: Die aufreibende Jagd nach Impfmöglichkeiten, während die Coronaleugner und Maskenverweigerer es gelang, die mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und es in der Politik keine klare Linie gab. Abgewetzt und müde saßen wir im Auto und trafen die Entscheidung, über den Boulevard périphérique von Paris zu fahren. Unübersichtlich, chaotisch, ein durchdrehendes Navi und dann passierte es: Wir übersahen einen Hinwies auf eine Höhenbegrenzung, es knallte und der Schalthebel meines Fahrrads flog durch den Tunnel. Raus, Schaden sichten, Nerven beruhigen. Passiert ist passiert. Die jähe Befürchtung, dass das Rad hin ist, bewahrheitete sich nicht – Glück im Unglück.
Erste Stopps in Fahrradwerkstätten auf dem Weg zu unserem Zwischenhalt an der Loire waren indes ernüchternd: In einem Jahr, in dem ein Containerschiff den Suezkanal verstopfte und die pandemiebedingten Lockdowns zusätzlich weltweit Lieferketten unterbrachen, fehlte es an Ersatzteilen und Kapazitäten für rasche Reparaturen. Und nun?
Bunte Ballons und ein Froschlurchkonzert
Ich fühle mich ziemlich durch den Wolf gedreht und ratlos, als wir Chaumont-sur-Loire erreichen und dort gleich neben der Loire unser Zelt auf einer fantastischen, weitläufigen Wiese aufbauen konnen. Frankreich ist schon wegen seiner Campingplätze ein Lieblingsland: Die Tradition der städtischen Campingplätze ermöglicht umstandsloses Camping mit zumeist einfachen Sanitärgebäuden, ohne Animations-Firlefanz und unschlagbar günstig. Über das Zelten habe ich hier etwas geschrieben nach unserer Radreise durch Ostfrankreich.
In Chaumont-sur-Loire ist die Wiese gleich neben der Loire allein den Zeltreisenden vorbehalten und wir atmen aus. Was für ein wundervolles Plätzchen. Grillen zirpen. Vögel zwitschern. Vom nahen Ufer hört man vereinzeltes Quaken. Offenbar haben wir Nachbarn, die ohne Zelt auskommen und im Ufergras lauern. Das wird später in der Nacht noch interessant werden. Der nächste Kaufladen ist in Fußweite und wir statten uns für ein genüssliches Abendessen am Ufer eines der schönsten Flüsse Europas mit köstlichen Tomaten, Baguette und Käse aus.
Im Abendlicht tauchen immer mehr Heißluftballons auf. Kummer und Ärger sind vorerst vergessen. Was für ein Anblick: Beinahe lautlos schweben die bunten Ballons vorüber. Die untergehende Sonne taucht die Szenerie in güldenes Licht. Das hohe Gras, die Weiden, das Wasser des Stroms: alles leuchtet. Wir sind in Frankreich. Wir sitzen vorm Zelt. Was für ein Glück.
Zelten heißt auch: früh schlafen gehen. In Flussnähe wird es meist unabhängig von der Jahreszeit von unten feucht und kühl. Im Schlafsack lässt sich gemütlich noch etwas lesen. Licht aus. Gute Nacht. Stille senkt sich über den Campingplatz. Stille? Irgendwann in der Nacht hebt vom Flussufer ein unglaubliches Getöse an: Zwei Froschkolonien singen aus Leibeskräften gegeneinander an, dann quaken sie im Chor – es ist die Westside Story in der Froschlurchvariante. Während der Mann friedlich neben mir schlummert, kippe ich vor Lachen beinahe von der Isomatte.
Monate später erfuhr ich in einer Dokumentation über die Loire, dass sich der Tidenhub wohl bis weit ins Landesinnere bemerkbar macht. Der Wasserspiegel steigt und fällt also mit Ebbe und Flut. Vielleicht wurde es eng am Ufer und man musste sich gegenseitig anquaken? Vielleicht war es aber auch ganz normales Froschlurchverhalten. Herrlich!
Köpper in die französische Geschichte: Stippvisite in Amboise
In Amboise trinken wir einen Kaffee und begegnen Leonardo Da Vinci. Nun ja, nicht ihm höchstselbst, wenngleich er in Amboise starb und seine Grabstätte in der Kapelle gleich neben dem Schloss von Amboise zu finden ist. Der umtriebige König Franz I. hatte ihn damals aus Italien geholt. Durch einen Tunnel waren Schloss und Wohnsitz Da Vincis miteinander verbunden – der kurze Dienstweg. Geschichte liegt in der Luft. An diesem Tag ist das Loirestädtchen beschaulich und recht leer.
Im Nachhinein denke ich, wir hätten einfach ein, zwei Tage dort bleiben sollen, um die Stadt und das Schloss näher zu erkunden. Aber der Schrecken nach dem Vorfall mit dem Rad war groß und es musste eine Lösung her. Ohne Fahrrad geht es nicht. Es blieb also bei einem Spaziergang durch den Ort. Halbherzig halten wir noch am Château de Chenonceau, einst Wohnsitz von Katharina von Medici, die die einzigartige Galerie über den Fluss Cher bauen ließ. Dort jedoch stapeln sich die Tourist*innen vor den Toren und wir machen kehrt. Lieber an unserem Ziel ankommen und eine Lösung fürs verwundete Fahrrad finden.
Die Loire. Ich werde dort mal länger bleiben müssen. Bisher war die Loire immer noch eine Station auf Reisen durch Frankreich: Einmal zelteten wir in der Nähe von Nevers und fuhren mit den Rädern ins hübsche, geschichtsträchtige La Charité-sur-Loire. Dann gab es eine Nacht in Blois – unvergesslich nicht durch ein Froschkonzert, sondern durch Rothirsche, die nicht weit vom herbsteinsamen Campingplatz röhrten und ihre Geweihe gegeneinander donnerten. Im schönen Nevers strandeten wir, als wir aus der leider kühlen und nassen Auvergne zurück ins warme Burgund fuhren. Und nun eben Chaumont-sur-Loire. Und immer denke ich, dass ich mehr Zeit an der Lore brauche. Was für ein gewaltiger und schöner Fluss, der weitestgehend frei fließt, ohne Staudämme oder Schleusen, und dadurch sein Aussehen ständig verändert. Doch für diesmal hieß es wieder Abschied nehmen.
Und so ging es weiter durch von der Loire durch eine der am dünnsten besiedelten Regionen Frankreichs ins dunkle Herz des Périgord, das Périgord Noir.
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Während der rheinische Winter die Welt in müdes Grau taucht, mache ich im Blog eine Reise durch Raum und Zeit: Im Sommer 2021 ging es nach Frankreich. Eine Reise, die nun erzählt wird.
Teil 1: Ein fataler Knall und der Gesang der Frösche an der Loire
Teil 2: Ankommen im Périgord noir und Hoffnung fürs Fahrrad
Teil 3: Frankreich liegt uns auf der Zunge und ich fliege einem Postboten in die Arme
Teil 4: Von Wehrkirchen, Zisterzienserabteien und Eichenwäldern: Mit dem Rad unterwegs im Périgord
Teil 5: Französische Gartenkunst und eine unerhörte Begegnung
Teil 6: Auf dem Fernradweg La Vélomaritime in die deutsch-französische Geschichte
Teil 7: Ein Abdruck im Gras und unterwegs im Land der Sch’tis
Waaaas, das muss ich jetzt und hier erfahren, dass ihr damals deinen Schalthebel abrasiert habt? Und jetzt voll der Cliffhänger: wie wird es weitergehen …? Habt ihr eine Werkstatt gefunden? Konnte irgendwo ein Schalthebel in Werkstattarchiven ausgegraben werden? *nägelkau ????
Kicher. Voll schlimmer Cliffhänger, yay. Bin selbst beeindruckt, wie gut wir das verschweigen haben – TROTZ Social Media!