Unfassbar! Was ist das denn?
Ich starre verblüfft das Eis in meiner Hand an. Wir sind in Limeuil, einem überaus schönen Städtchen am Zusammenfluss von Vézère und Dordogne. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden an dieser Stelle Überreste und Tierzeichnungen aus dem Magdalénien (17.000 bis 10.000 Jahre v.Chr.) gefunden, wie ja ohnehin das Périgord als Wiege der Menschheit in Europa gilt. Nicht weit entfernt gibt es die berühmten Höhlen von Lascaux, eine von vielen Höhlen in dieser Gegend, in denen es prähistorische Funde und Malereien zu bestaunen gibt. Uns zieht es hügelan, zur Kirche und zum Jardin panomarique.
Es ist ein herrlicher Tag, an dem sich Sonne und Wolken abwechseln. In der Hochsaison platzt der kleine Ort vermutlich aus den Nähten, aber wir stromern mit überschaubar vielen Menschen durch die Gässchen. Je weiter es hochgeht, desto ruhiger wird es. Eigentlich lockt uns dann auf dem Hügel der Hinweis auf das Eis, aber dann stehen wir schon an der Kasse zum Garten und erwerben uns Zugang. Und Eis. Unfassbar. Unfassbar gut. Wer jemals Gelegenheit hat, Eis von Benoît de la Lune zu essen, sollte diese Gelegenheit nicht versäumen. Ich hatte Nuss und ein Eis aus grüner Tomate, Zitrone und Basilikum. Erwähnte ich schon, dass es im Périgord offenbar eine große Liebe zu gutem, hausgemachtem Eis gibt? Es ist nicht gerade günstig: eine Kugel kostete 3€. Aber dafür eine Delikatesse. Samt Hörnchen.
Der Garten von Limeuil war ebenfalls eine Entdeckung. Auf kleinem Raum findet sich eine enorme Vielfalt in Form von Themengärten und dazu gibt es einen fantastischen Blick über die Umgebung von Limeuil. Auffallend sind die Stationen für ein liebevoll gemachtes Escape Game, das durch den ganzen Garten führt. Im goldenen Abendlicht und kurz vor Schließung des Gartens gingen wir den Hügel wieder hinab und wir waren ganz beglückt. Gärten! Welche gibt es noch? Die Gärten von Marqueyssac hatte ich mir schon vor unserer Reise notiert, nachdem ich etwas davon in einer Doku bei ARTE gesehen hatte.
Nichts wie hin!
Vielleicht wären wir an dem Tag lieber nochmal aufs Rad gestiegen, wenn wir geahnt hätten, dass ein krasser Wetterumschwung bevorstand? Es war ein strahlend schöner Sommertag, als wir Richtung La Roque-Gageac fahren. In dieser Gegend knubbeln sich am Ufer der Dordogne die charakteristischen Sehenswürdigkeiten, für die das Périgord berühmt ist. Das Château des Milandes, das Josephine Baker gehörte, das prägnante Château de Beynac aus dem 11. Jahrhundert, La Roque-Gageac mit seiner Höhlenfestung und die Dordogne selbst, die dramatisch schön an Steilfelsen vorbeischlängelt. Auf Bildern sieht das alles toll aus, aber der bevorstehende Ferienbeginn der Franzosen lässt erahnen, dass es schon bald vor allem Autos, Autos, Autos geben wird. Und dazwischen Wohnmobile.
Als gemütliche Frühstücker, die sich nicht stressen, kommen wir kurz vor Mittag an. Stets eine gute Sache in Frankreich, sich beliebten Sehenswürdigkeiten möglichst in der Mittagszeit zu nähern. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Franzosen für ein, zwei Stunden zum Mittagsessen verschwinden, ist hoch. So auch in den jardins romantiques et pittoresques de Marqueyssac, laut Website die meistbesuchte Gartenanlage im Périgord. Hier wird der Buchs in allen möglichen Formen und Größen gefeiert und der Buchsbaumzünsler scheint fern. Wir erfahren, dass die 150.000 bis zu hundertjährigen Buchsbäume von Hand beschnitten werden. Etwa ein Dutzend Gärtner sind damit beschäftigt, alles top in Form zu halten.
Wir schreiten durch die Gartenkunst und es ist einfach eine Freude. Breite Wege und schmale Pfade, Orte der Ruhe und Orte der Zusammenkunft, akribisch getrimmte Büsche und wild sprießendes Grün – ein wundervoller Ort. Die Broschüre mit Informationen zur Geschichte von Marqueyssac ist auch online zu finden. Übrigens verwunderte nicht, dass es auch eine sehr gute Gastronomie in den Gärten gab. Wir saßen mit köstlichen Galettes im Schatten alter Eichen und schauten vor uns hin.
Am nächsten Tag erwachten wir bei Regen.
Das Wetter hatte sich deutlich abgekühlt. Wir ließen also abermals die Räder stehen und machten uns im Auto auf nach Sarlat-la-Canéda. Ein Bummel durch eine der größeren Städte der Region. Eine schöne Stadt, hörten wir. Zu sehen bekamen wir nichts. Wir steckten im Ferienanfangs- und Markttagstau fest, rangelten uns am Rand der Stadt irgendwie raus und suchten das Weite. Hauptsache, erstmal weg. Vielleicht nach Le Bugue? Beide hatten wir viele Bände von Martin Walkers Kriminalromane um Bruno, Chef de police, gelesen. Und Le Bugue ist wohl der Ort, der Vorlage für das erfundene Saint Denis ist. Dort sollten wir doch hoffentlich einen Kaffee bekommen.
Auf dem Weg dorthin sahen wir aus dem Augenwinkel einen Park mit grandiosen, alten Bäumen und einem Schloss. Bremsen, umdrehen, parken. Aussteigen. Ausatmen. Und dann: Im Park sehe ich eine Skulptur von Christian Lapie (Instagram). Was für ein ungeheuerlicher Zufall: Als wir 2019 aus dem Burgund über Troyes und Reims zurück nach Hause fuhren, fanden wir mit Müh und Not einen Platz für unser Zelt auf dem eigentlich ausgebuchten Campingplatz in einem kleinen Ort am Rande unserer Route. Am Abend machten wir einen Gang durch die Gemeinde und standen urplötzlich vor beeindruckenden Skulpturen und einem Atelier. So lernte ich die Kunst von Christian Lapie kennen. Und nun stehen wir wieder vor seinen Skulpturen und erfahren, dass im Schloss gerade eine Ausstellung mit weiteren Skulpturen, Bildern und Skizzen von ihm sind. Wo wir wiederum sehen, dass in den Gärten von Eyrignac weitere Skulpturen ausgestellt sind.
Zufall oder Fügung?
Als wir später im Regen fröstelnd und eher unbeeindruckt durchs komplett mit Autos verstopfte Le Bugue stapfen und in einem schön umstandslosen Café Getränke zu uns nehmen, beschließen wir, das Périgord zu verlassen und in die Sonne zu fahren. Die Wetter-App verspricht weiter im Norden besseres Wetter. Und so packen wir an diesem Tag unsere Sachen, verabschieden uns dankbar von unserer famosen Ferienunterkunft, zurren die Fahrräder auf dem Autodach fest und fahren am nächsten Tag Richtung Normandie. Auf dem Weg dorthin liegen die Gärten von Eyrignac. Wir treffen einen wunderbaren Garten an – und die Skulpturen von Christian Lapie. Seitdem frage ich mich, wann ich seiner Kunst wohl wieder begegnen werde. Und wo.
Am Abend schlagen wir unser Zelt oberhalb von Poitiers auf. In Poitiers tranken wir auf einer anderen Reise Kaffee, als uns die Wettergötter von der Provence zur Dune du Pilat geweht hatten. Aber das ist eine andere Geschichte, wiewohl ich zuletzt öfter daran dachte. Denn den schönen Campingplatz in dem Steineichenwäldchen gleich neben der höchsten Sanddüne Europas gibt es nicht mehr. 2022 ist dort alles verbrannt.
Von Poitiers aus reisen wir in die Normandie. Und warum mir ein „ach du Scheiße“ entfuhr, als wir an der Küste ankamen, erzähle ich dann im nächsten Teil. In dem übrigens auch wieder Rad gefahren wird und es Gutes in der Zeltküche gibt.
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Während der rheinische Winter die Welt in müdes Grau taucht, mache ich im Blog eine Reise durch Raum und Zeit: Im Sommer 2021 ging es nach Frankreich. Eine Reise, die nun erzählt wird.
Teil 1: Ein fataler Knall und der Gesang der Frösche an der Loire
Teil 2: Ankommen im Périgord noir und Hoffnung fürs Fahrrad
Teil 3: Frankreich liegt uns auf der Zunge und ich fliege einem Postboten in die Arme
Teil 4: Von Wehrkirchen, Zisterzienserabteien und Eichenwäldern: Mit dem Rad unterwegs im Périgord
Teil 5: Französische Gartenkunst und eine unerhörte Begegnung
Teil 6: Auf dem Fernradweg La Vélomaritime in die deutsch-französische Geschichte
Teil 7: Ein Abdruck im Gras und unterwegs im Land der Sch’tis
Als Addendum noch einige Bilder, weil’s einfach so schön ist. Hier die Gärten von Campagne:
Und die Gärten von Eyrignac benötigen unbedingt etwas Aufmerksamkeit. Alles so schön und so liebevoll. Die Geschichtenagentin besuchte übrigens auch schon mal die Gärten von Eyrignac und hat darüber gebloggt. Und auch bei Hilke Maunder findet sich ein schöner Einblick.
Ein herrlicher Reisebericht. Vielen Dank dafür. Unsere Wege haben sich vermutlich gekreuzt. Viele der Orte, die Du beschreibst haben wir auch gesehen – und einige werden wir sicherlich noch besuchen. Unsere Reise war geprägt vom Wasser. Campen an den Flüssen Vézère, Dordogne, Lot und Céré. Ausflüge zu Fuß, und per Kanu.
Och, wie schön! Womöglich war das so. Kanu fahren – das macht bestimmt auch viel Spaß dort und man erhält nochmal einen ganz anderen Blick auf die Landschaft und die Orte. Toll!
Ach wie schön, danke fürs Mitnehmen, liebe Wibke. Ich bin gespannt auf den nächsten Teil!