Ach du Scheiße!
In Filmen oder in Büchern entschlüpfen Menschen in Überraschungsmomente stets blumigere Ausrufe als derart Banales. Aber als wir über die Hügelkuppe von Arromanches-les-Bains fahren und unser Blick auf die dramatische Steilküste und das dunkeltürkisfarbene Meer fällt – wow. Während die Mitte Frankreichs gerade in kühlem Regen unter steingrauem Himmel fröstelt, reißen wir uns die Socken von den Füßen und die Pullis vom Leib.
Die Sonne scheint und taucht die Normandie für uns in Sommerurlaubsfarben. Der ausgespähte Campingplatz ist allerdings nichts für uns und nach einem Gang durch den Ort fahren wir weiter die Küste hinab. Wir stranden in Port-en-Bessin. Dort ist alles, was unser Zelturlauberherz begehrt: Ein ruhiger, freundlicher Platz mit hohen Bäumen. Im Ort Einkaufs- und Einkehrmöglichkeiten. Schon beim Zeltaufbau bereiten uns die lauthals quakenden, jaulenden und schreienden Möwen viel Vergnügen.
Normandie, also.
Wer hätte gedacht, dass wir am Ende am Meer sein werden? Wie so oft haben die Wettergötter uns in eine Gegend gewürfelt, auf die wir nicht ohne weiteres gekommen wären. Der Himmel zieht sich zwar am Abend wieder zu, aber die Wetter-App verspricht für die nächsten zwei, drei Tage blauen Himmel. Länger können wir in Port-en-Bessin ohnehin nicht bleiben, denn wir werden den Weg nach Hause antreten müssen. Aber was zählt, ist das Hier und Jetzt. Was nun zählt, ist die Erkundung der Normandie.
Der EuroVelo 4 – La Vélomaritime führt direkt an unserem Ort vorbei. Der 4000 Kilometer lange Radfernweg verbindet Roscoff in der Bretagne mit Kiew in der Ukraine. Zwei kleine Stücke davon werden wir mit unseren Rädern fahren, einmal in die östliche, einmal in die westliche Richtung.
Wir stellen fest, dass es auch am Meer munter hoch und runter gehen kann, dass sich die Ferienzeit vor allem durch den wahnwitzig anschwellenden Auto- und Wohnmobilverkehr bemerkbar macht und dass es bemerkenswert wenige deutsche Partnerstädte in diesem Teil Frankreichs gibt, in dem der Zweite Weltkrieg allgegenwärtig ist. Wir treffen auf Orte der Erinnerung an die Besetzung durch die Deutschen und die Landung der Alliierten im Rahmen der Operation Overlord – und halten inne. An die Ukraine und an Russland habe ich an dem Tag im fernen Sommer 2021 nicht gedacht, was heute anders wäre.
Kein Teppich für uns
Wir fahren also durch geschichtsträchtige Orte und Gegenden, treffen auf Strände voller zum Ferienspaß entschlossener Franzosen, kehren auf alle möglichen Getränke ein, weil man überall so schön sitzt und saugen das normannische Licht auf. Im Hinterland, durch das uns unsere Wege auch führen, geht es gemächlicher zu. Wir fahren über ruhige Pfade und Straßen an großen Bauernhöfen mit uns anstaunenden Tieren vorbei. In der Ferne sehen wir die sagenhafte Kathedrale von Bayeux. Hätten wir noch etwas Zeit gehabt, wären wir dort sicher hingefahren.
Vor vielen Jahren bestaunte ich den weltberühmten Teppich von Bayeux. Der Teppich erzählt auf 70 Metern in 58 gestickten Szenen die Geschichte der Eroberung Englands im 11. Jahrhundert aus normannischer Sicht. Sagenhaft. Aber gut, ein anderes Mal.
Mitunter ist es auch etwas schwierig, die Fahrräder sicher unterzubringen, wenn man sich etwas in einer lebhaften Stadt ansehen möchte. Dafür würde ich mir gerade an solchen Fernwegen von den Museen oder Städten Unterbringungsmöglichkeiten wünschen, damit man sich keine Sorgen machen muss.
Frankreichs Pizza: Ein Bekenntnis
In Port-en-Bessin essen wir am Abend ausgezeichnete Pizza. Alle Menschen, die denken, dass die besten Pizzen zwangsläufig italienisch sein müssen, hören jetzt mal weg: Ich habe kaum irgendwo so gute Pizza gegessen wie in Frankreich. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur vortragen, dass ich bisher selten in Italien war und zuhause vielleicht ein- oder zweimal im Jahr Pizza esse.
Es kommt zu einem amüsanten Vorfall: Eine Passantin spricht uns an. Ob ich Wibke Ladwig sei? Sie kennt mich von Instagram und ist Kundin des Buchladens. Eine wirklich nette Begegnung und ich fühle mich kurz ein bisschen berühmt.
Die wenigen Tage in der Normandie empfinden wir als eine Art Bonus-Urlaub: Wir schlafen ausgezeichnet in unserem tollen Zelt und freuen uns über den angenehmen Campingplatz. Port-en-Bessin war ein richtig guter Griff. Wir fahren mit den Rädern umher und entdecken diesen Teil der Normandie mit seiner Geschichte, Kultur und Natur.
Und dann heißt es wieder zusammenpacken.
Der Sommerurlaub neigt sich seinem Ende. Im nächsten Teil erzähle ich von unserem Zwischenhalt auf dem Weg zurück nach Köln und vielleicht noch Dies und Das zu Frankreich und warum wir immer wieder dorthin reisen müssen. Ich stelle ohnehin fest, dass es mich nervt, dass die Geschichten und Bilder der Reisen nach Frankreich in Social Media versickern. Vielleicht hole ich mal die ein oder andere im Blog hervor und erzähle sie. Da lauern noch all die Geschichten von Reisen ins Burgund und in die Auvergne, an den Atlantik und vor allem in die Vaucluse …
Und dann ist vielleicht die wintertrübe Zeit (in Köln nach wie vor schneelos) vorüber und es geht wieder raus!
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Während der rheinische Winter die Welt in müdes Grau taucht, mache ich im Blog eine Reise durch Raum und Zeit: Im Sommer 2021 ging es nach Frankreich. Eine Reise, die nun erzählt wird.
Teil 1: Ein fataler Knall und der Gesang der Frösche an der Loire
Teil 2: Ankommen im Périgord noir und Hoffnung fürs Fahrrad
Teil 3: Frankreich liegt uns auf der Zunge und ich fliege einem Postboten in die Arme
Teil 4: Von Wehrkirchen, Zisterzienserabteien und Eichenwäldern: Mit dem Rad unterwegs im Périgord
Teil 5: Französische Gartenkunst und eine unerhörte Begegnung
Teil 6: Auf dem Fernradweg La Vélomaritime in die deutsch-französische Geschichte
Teil 7: Ein Abdruck im Gras und unterwegs im Land der Sch’tis
Zum Abschluss noch etwas Zeltglück – man beachte auch die überaus passende Zeltlektüre: Mit Blick aufs Meer.