„Der einzige bürgerliche Beruf, den ich je erlernte, ist der einer Buchhändlerin.”
Wenn ich man mich fragt, was ich beruflich mache, ist das mein liebster Satz. Bevor ich erkläre, was ich seit Aufnahme meiner Selbstständigkeit vor zehn Jahren unternehme. Denn was ich auch tue: Die Buchhändlerin bleibt. Innerlich. Und so war es mir auch ein Fest, als ich in den Wochen vor Weihnachten den Buchladen Neusser Straße in Köln unterstützen durfte. Ihr wisst schon, meine Haus- und Hofbuchhandlung. Die mit dem #Lesemittwoch.
Meine Aufgabe war, den Buchladen für den Tag vorzubereiten, so dass die Kolleg:innen ihrer Arbeit nachgehen konnten, wenn der Buchladen um 9 Uhr öffnete. Gerade in der Vorweihnachtszeit fallen mehr Bestellungen an als üblich und das Abholfach platzt rasch aus allen Nähten. Ist alles angekommen? Wie ist der Zustand der gelieferten Bücher? Muss jemand über das Eintreffen der Bücher, Spiele, Filme, Hörbücher oder Kalender informiert werden? Und wenn ja, auf welchem Weg? Welche Bücher sollen geliefert werden und brauchen eine Rechnung? Wenn sie geliefert werden: An eine der Abholstellen (und damit Öffnungszeitenverlängerer) im Viertel, nach Hause oder per Post?
Von heute auf morgen: Lob und Preis dem Bücherwagendienst
Der Büchersammelverkehr der Buchbranche ist eine fantastische Einrichtung. Etwas Vergleichbares haben eigentlich nur die Apotheken in Deutschland. Wenn man bis 19 Uhr ein Buch in einer Buchhandlung bestellt, trifft es am nächsten Morgen in der Buchhandlung ein. Und zwar unabhängig davon, ob es eine Buchhandlung in einer Großstadt ist oder eine in der Provinz*. Zumindest, solange das Buch lieferbar ist. Und solange es bei den Barsortimenten auf Lager ist.
Im Zwischenbuchhandel herrscht momentan ordentlich Unruhe, denn eines der Barsortimente musste 2019 Insolvenz anmelden und berappelt sich gerade (hoffentlich) wieder. Ein anderes sortierte insbesondere Titel kleiner, unabhängiger Verlage aus und brachte die ohnehin durch die Insolvenz von KNV Gebeutelten noch mehr in Notlage.
Ski und Rodel gut?
Das Wetter kann einem natürlich in die Planung grätschen. Oder ein Stau. Im Buchladen fluppte die Lieferung der Bücher gut. Wirklich Winter gab’s in diesem Winter ohnehin noch nicht. Als der Bücherwagen doch mal Verspätung hatte, plöppte gleich eine Mail mit der entsprechenden Nachricht auf. An einem Tag schaffte es eine Wanne nicht mehr rechtzeitig mit auf den Bücherwagen. Weihnachtsgeschäft. Und Bücher sind nach wie vor ein beliebtes Geschenk. (Natürlich! Gibt kaum Besseres!) Geliefert wird übrigens seit langem in stabilen Mehrwegwannen, was ordentlich Papiermüll sparen hilft. Nur Kalender oder ähnlich großformatige Produkte sowie die Lieferungen direkt von den Verlagen kommen in Kartons.
Es gibt momentan viele Überlegungen, wie man den Buchhandel grüner machen kann. Verlage beginnen, auf die Schutzfolie zu verzichten und damit Plastik zu sparen. Schön fände ich, wenn die Toleranz von Buchleser:innen proportional stiege und nicht jeder kleine Makel gleich ein Desaster ist. Schutzumschlag. Auf diesem Begriff darf man vielleicht auch einige Minuten herumdenken. Denn der wurde damals erfunden, um das wertvolle Buch in diesem Schutzumschlag zu schützen. Inzwischen scheint dieser Schutzumschlag manchem wertvoller zu sein als der Inhalt …
Digital ist besser, nee, macht manches besser, ehrlich!
Nachdem ich fast zwanzig Jahre aus dem Buchhandel raus war, traf ich auf viele sinnvolle Neuerungen: eine Warenwirtschaft hatten wir zwar damals bei der Lehmanns Fachbuchhandlung auch schon, denn die waren digital dank einiger engagierter Mitarbeiter schon früh vorn, 1993 mit einem Webshop und eben damals schon mit einer Warenwirtschaft, in dem man auch die Bestände der anderen Filialen deutschlandweit einsehen und sich mit den Kolleg:innen absprechen konnte. Seitdem hat sich insgesamt viel getan und eine Warenwirtschaft ist so normal wie die Bestellmöglichkeit über eine Website. Und auch Bestellen per Mail, Telefon und in vielen Buchhandlungen auch per Messenger wie WhatsApp oder Signal ist möglich.
Im Weihnachtsgeschäft gab es dann sehr reizende Geheimabsprachen, damit niemand etwas von einer Bestellung mitbekam, nicht die Kinder, nicht die Gattin, nicht der Gatte. Es wurden Parolen vereinbart, Decknamen und andere Kniffe, um vorzeitige Entdeckungen zu verhindern. Ich selbst erlebte eine ganz andere Weise, Bücher zu verschenken: Manch eine:r war so überzeugt von einem Buch, dass es gleich mehrfach an Freunde und Verwandte verschenkt wurde. Und auch ich wurde als Hüterin des Abholfachs „Opfer” einer dieser Verschwörungen. Hach!
Halbalbautomatisierter Versand von Benachrichtigungen an Kund:innen, das Kassensystem, die Bibliographiermöglichkeiten mit Einblicken in die Verfügbarkeit von Titeln bei verschiedenen Barsortimenten – was für Erleichterungen. Ich erinnere mich noch gut an meine Ausbildung zur Sortiments-Buchhändlerin, wo ich Laufkarten für die Bücher schrieb (und leider einige in verkauften Büchern vergass), mit der Hand Quittungen schrieb, Lieferscheine manuell abhakte, mit Kund:innen in zentnerschweren Katalogen des VLB (Verzeichnis lieferbarer Bücher) blätterte, die halbjährlich (?) neu erschienen und an das Hochfahren des Computers, wenn man etwas auf den CD-ROMs der Barsortimente prüfte.
Die wiederum gaben die Titel lange Zeit per Autopsie ein: Die Mitarbeiter:innen nahmen jeden Titel, den sie auf Lager nahmen, in die Hand und gaben die Daten ein, massen es etwa auch aus und wogen es und fütterten eine Datenbank mit den geprüften Daten. Das klingt nach heutigen Maßstäben umständlich und zeitintensiv, waren aber die bestgepflegten und brauchbarsten Daten, die ich kenne.
Von wegen altmodisch
In den paar Wochen bin ich nur in einen Teil der digitalen Möglichkeiten vorgedrungen (und ich war immer heilfroh, mir alles mögliche notiert zu haben, wenn es z.B. darum ging, mal flott einen Lieferschein zu schreiben), aber ich finde es schon eigenartig, dass ausgerechnet der Buchhandel von Branchenfernen oft als altmodisch bezeichnet wird. Da ist enorm viel passiert, selbst wenn man vielleicht nicht gleich begeistert auf jede Neuerung erpicht ist.
Und es ist so wie in jeder Branche, nein, wie generell im Leben: Die Zukunft ist da, aber ungleich verteilt. Um mein Lieblingszitat von Sci-Fi-Autor William Gibson auch noch unterzubringen. Und so wird man sicher auch noch Buchhandlungen finden, die auf das Digitale verzichten. Dafür gibt es dann die, die nur auf digitale Hilfsmittel setzen und dafür auf Fachpersonal verzichten.
Es ist schon beeindruckend, was Buchhandlungen vor Ort leisten. Und selbst wenn nicht jeder das Glück hat, in der Nähe einer Buchhandlung zu wohnen, die vielleicht zu den von mir Angeschwärmten gehört: Es gibt sie. Wirklich. Ich traf sie im letzten Jahr etwa in Rostock bei der Verleihung des Deutschen Buchhandlungspreises, begegnete vielen bei der Preisverleihung der Auszeichnung Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhandlungen auf der Frankfurter Buchmesse und noch mehr zumeist im digitalen Raum bei der deutschlandweiten Woche unabhängiger Buchhandlungen im November. Diese Buchhandlungen verändern einen Ort, sie schaffen Begegnungen zwischen Menschen und Büchern.
Vom Hölzken aufs Stöcksken und glücklich machende Serendipity
Was nur Buchhändler:innen können: So schnell, wie die Kolleg:innen anhand von hingeworfenen Informationsbröckchen aufs gesuchte Buch kommen oder auf eine Empfehlung, so schnell ist keine Sucheingabe nebst Sichtung der Ergebnisse.
„Kurzgeschichten, in denen ein Umzug vorkommt. Oder ein Reitunfall!” Gibt’s nicht? Von wegen. Kollegin Mira, die noch in der Ausbildung ist, konnte nach kurzem Stutzen ein Buch empfehlen, das hervorragend passte. Was auch daran liegt, dass im Team des Buchladens Menschen sind, Buchhändler:innen, die gern und viel lesen. Und die miteinander über Gelesenes sprechen. So reichert sich das Wissen laufend an, auch durch die Gespräche mit denen, die in den Laden kommen und sich darauf einlassen: Etwas zu finden, von dem man gar nicht wusste, das man es gesucht hat. Meiner Überzeugung macht das soviel glücklicher als das genau zu finden, was man suchte. Aber auch das ist ja möglich.
Meine Einsätze direkt am Menschen waren durch mein Wirken im Hintergrund rar, aber besonders glücklich machte mich das Gespräch mit einer Kundin, die einen historischen Krimi für ihren Vater suchte und ich ihr Mechtild Borrmanns Der Geiger ans Herz legen konnte. Und als sie dann noch zu einem Krimi griff, der in der Bretagne griff, weil sie im Sommer dorthin reist, konnte ich ihr gleich noch das Bistro bei uns im Viertel empfehlen, das bretonische Küche anbietet. Eine für uns beide erfreuliche Begegnung.
Ach, aber mein Endgegner blieb das Einpacken. Ich darf sagen, dass ich in sechs verschiedenen Geschenkpapieren nicht einpacken kann. Sobald jemand zusieht, wächst mir eine zusätzliche Hand und ständig ist ein Finger im Weg. Mein Einpacken war also dann mehr ein Überbrückungseinpacken, bei dem ich Kund:innen zuschwatzte, bis jemand kam, der oder die besser einpacken konnte. Übung würde vermutlich die Meisterin machen, indes, dazu kam es dann nicht.
Lesen hilft, viel lesen hilft noch mehr
Ich stelle fest, dass mir die über zwanzig Jahre Lesen seit meiner Ausbildung nicht geschadet haben. Ich verfügte damals über keinen reichen Schatz an Erlesenem, weshalb ich mich im Fachbuchhandel ganz wohlfühlte. Die Zeit in den Verlagen, die anhaltende Verbindung zur Buchbranche, die Begegnungen mit den Bibliotheksmenschen und ihrer Arbeit, die mit den Autor:innen und Übersetzer:innen auch in Social Media, sie alle reicherten diesen Schatz an. Wie schön, dass ich die Gelegenheit hatte, festzustellen, dass ich künftig mit noch mehr Inbrunst sage: „Der einzige bürgerliche Beruf, den ich je erlernte, ist der einer Buchhändlerin.”
Jeden Morgen bin ich also erfreut zur Buchhandlung gehüpft und tat, was zu tun war. Ich bin um Erfahrungen reicher. Eine Buchhandlung ist ein guter Ort. Und ich freue mich darauf, dass wir bei unserem ersten Treffen in diesem Jahr gleich Dinge für dieses Jahr ausheckten. Es gibt ein Jubliäum zu feiern und Buchladen-Inhaberin Dorothee Junck und ich haben einige Ideen, die wir mit Euch und für Euch umsetzen werden. Es wird ein weiteres Jahr mit viel #Buchladenliebe. Und es gibt weitere Projekte, auf die ich mich in diesem Jahr ebenfalls freue und wo ich wieder Mittlerin an der Schnittstelle zum Digitalen bin. Aber möglicherweise entsteht auch nun endlich das Buch, das schon längst auf die Welt wollte.
* Bevor nun die Stimmen kommen: Aber Amazon! Amazon Prime liefert am selben Tag nur in sogenannten Metropolregionen aus. Inwieweit das funktioniert, nun, ich hörte Unterschiedliches. Aber für den Buchhandel vor Ort spricht ja noch genügend anderes.
Ach wie schön! Obwohl auch in meinem jetzigen Beruf von Büchern umgeben (Bibliothek), ist der Beruf der Buchhändlerin auch mein ursprünglicher. Und ich habe ihn geliebt. In Münster haben leider Thalia und Co. die kleineren Vollbuchhandlungen verdrängt und so sitzt die Buchhandlung meines Vertrauens nun im Umland von Münster – und ist digital wunderbar aufgestellt und zu erreichen. Ob Buchempfehlungen im Webshop oder persönliche Anfragen über Facebook – alles möglich. Und hin und wieder klappt natürlich auch der persönliche Besuch 🙂 Danke für diesen schönen Artikel.
Ein Glück, dass dank des Digitalen auch die Buchhandlung des Vertrauens nicht weit ist! Danke fürs Lesen und Erzählen, liebe Andrea.
„Denn was ich auch tue, die Buchhändlerin bleibt, innerlich“ wie gut mir dieser Satz tut!! Genau so ist es. Auch meine 2. Ausbildung und die damit verbundene Berufstätigkeit hat mir Freude gemacht. Und doch: die Buchhändlerschule in Frankfurt, der Buchhandel vor Ort, die KollegInnen, die vielen Auszubildenden, die interessanten KundInnen, viele Freundschaften und die Bücherschätze, die ich entdecken konnte und die ich jetzt -in der zeitsouveränen Lebensphase – lese, wiederholt lese, (von manchen kann ich mich jetzt gut verabschieden) waren und sind soooo bereichernd und prägend für mein Leben gewesen! Diese Erfahrungen wünsche ich allen jungen KollegInnen!!!
Danke für diesen mutmachenden Bericht und die Unterstützung der Buchhandlung vor Ort!
Herzlichen Dank für den netten Kommentar. Dieser Beruf macht etwas mit einem … Vielleicht, weil Lesen und die Beschäftigung mit den Gedanken, Geschichten und Ideen anderer etwas mit einem macht – und die Begegnungen im Buchhandel selbst natürlich auch, so oder so. 🙂