Ich trete vor die Tür.
Regen fällt. Von der anderen Straßenseite winkt der freundlichste DHL-Mann von allen, einer der wenigen, der auch wirklich zu uns ins Hinterhaus findet. Die Welt ist herbstgelb und regengrau. Ich bin etwas später dran als sonst und stelle erfreut fest, dass nur wenige Menschen auf den Straßen sind. Im Sommer ist das anders, da ist immer jemand unterwegs. Im Regen, wenn die Luft frisch gebadet riecht, dieser erdige Duft nach leisem Verfall und den Früchten des Herbstes, wenn die Erde schmatzt, die Pfützen einen Blick in eine Anderwelt gewähren und alle übriggebliebenen Farben leuchten, dann bin ich besonders gern draußen. Es ist überraschend warm, schon nach wenigen Schritten ziehe ich meine Jacke aus. Der Regen nimmt Rücksicht und macht eine Pause.
Am Anleger ist alles ruhig.
Nun, beinahe: Das Rheinufer steht voller Busse. Goethifizierte Busse mit stilisierten Goethes an der Seite und auf dem hinteren Fenster: Goethe in der Campagna.
Goethe allerorten. Das #GoetheMoMa, das Goethe-Morgenmagazin von und mit Damian Mallepree, wurde gestern als eines der besten Digital-Projekte der Museen ausgezeichnet, mit dem DigAMus Award. Richtig schön, das freut mich sehr, denn dieses GoetheMoMa ist eins der schönen Dinge, die in diesem Jahr entstanden und es bereichern. Auch die anderen Projekte verdienen mehr als einen Blick (unbedingt Mood for Art). Es ist nicht alles schlecht an 2020!
Ein Raumschiff ist im Viertel gelandet.
Ein ausgedientes Bürogebäude wird dieser Tage ausgeweidet. Eigenartiges Innenleben offenbart sich. Keine Menschen, auch hier. Keine Abrissarbeiten im Regen.
Auf der Hundewiese treffen zwei lustig umherspringe Hundlinge aufeinander. Sie sehen sich auf eine schon beinahe komische Weise ähnlich. Weiß-braun gefleckte Setter-Artige mit fedriger Rute, flappenden, zipfeligen Ohren und langer Nase. Mit einem Unterschied: Einer der Hunde ist ungefähr ein Drittel kleiner als der andere. Ich möchte fotografieren, scheue mich aber. Die Inhaber sind sehr mit sich beschäftigt. Mich zu erklären, warum ich die Hunde knipse, das ist mir heute zuviel.
Der Stein im Magen.
Zwischendrin bemerke ich, dass ich noch immer meine Maske trage. Eigentlich nur auf belebteren Straßen gefordert, vergesse ich mittlerweile, sie abseits abzunehmen. Was ich nicht vergesse: Den Stein im Magen. Seit zwei, drei Wochen liegt er da wieder. Er rührt von den beunruhigenden Nachrichten in Sachen Corona her. Was soll das nur für ein Winter werden?
Es ist fürs Seelenheil umso wichtiger, nach etwas Gutem, Wahrem, Schönem Auschau zu halten. Ich mache einen Gang in den Rosengarten und halte einen kleinen Schwatz mit dem Rosengärtner. Noch eine Woche, dann schließt der Rosengarten, und die Tiere und Pflanzen dort haben wieder ein halbes Jahr Ruhe. Mir fällt auf, dass ich den Grund für dieses Vorgehen gar nicht kenne. Vielleicht liegt es an den Wegen zum Rosengarten, die schon jetzt bei Regen etwas glitschig sind.
Bis Eintritt der Dämmerung
Am Tor hängt ein Hinweis auf die aktuellen Schließungszeiten. Jüngst gab es in der benachbarten Flora wieder einen Fall von versehentlich eingeschlossenen Besucherinnen. Die Flora schließt bei Dämmerung. Was eine Dämmerung ist und wann diese eintritt, darüber gibt es offenbar unterschiedliche Meinungen.
Die Dämmerung. Der fließende Übergang zwischen Tag und Nacht. Die goldene Stunde, die blaue Stunde. Zur blauen Stunde finde ich eine schöne Betrachtung zu den Gedichten von Gottfried Benn und Ingeborg Bachmann. Drüben könnt Ihr alles lesen, hier nur einige Zeilen aus Ingeborg Bachmanns Gedicht, die mich spontan anspringen:
Gesellig die Lampen im blauen Licht,
bis der Raum mit der vagen Stunde bricht,
unter sanften Bissen dein Mund einkehrt
bei meinem Mund, bis dich Schmerz belehrt:
lebendig das Wort, das die Welt gewinnt,
ausspielt und verliert, und Liebe beginnt.